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1989<br />
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1935<br />
1901<br />
877<br />
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das Geld längst bezahlt ist. Ihr aber haben wohl die<br />
Worte des Nachsatzes am meisten imponiert und<br />
wörtlich richtet sie aus: „Meine Muttel hat gesagt,<br />
sie hätte es längst bezahlt, da soll doch die... usw.“<br />
Heut’ natürlich bin ich Frl. Jakob dankbar, dass sie<br />
die Angelegenheit so freundlich verschleiert hat.<br />
Gerdha aber, die sich in ihrem Recht gekränkt fühlte,<br />
erhob deshalb damals ihr fürchterliches Gebrüll,<br />
sah sie doch keinen Grund dafür ein, für mich zu<br />
leiden und in einem Zimmer eingesperrt zu werden.<br />
Um so heldenhafter war’s, dass sie mir damals den<br />
wirklichen Grund verheimlichte. [...] Mit ihren Freundinnen<br />
ist Gerdha nicht intim, ist auch in ihrem<br />
Wesen, sobald sie Gäste hat, unnatürlich. Sie hält<br />
sich stets zu mir und ist wenig selbständig.<br />
Puppenspiel bereitet auf die Mutterrolle vor.<br />
Die Puppen werden aber leidenschaftlich geliebt,<br />
gepäppelt und bemuttert. Jeden Abend werden<br />
sie alle ausgezogen ins Puppenbettchen (es hat<br />
zum Glück eine Länge von einem Meter und die<br />
entsprechende Breite) gelegt und jeder ein Kuss<br />
aufgedrückt. Sind die Püppchen noch nicht im Bett,<br />
so kann auch Klein Gerdha unmöglich schlafen<br />
gehen. Oft wurde Großmutter in Warmbrunn besucht.<br />
Viel frohe Ferien wurden bei ihr verlebt. Der<br />
Sommer wie der Winter brachten dort ihre Freuden.<br />
Jahre ist’s her, da flog mal ein Storch über Großels<br />
Dach. Gerdha sieht ihm sehr interessiert nach und<br />
meint dann ruhig: „Da wird wohl die Großel ein Kind<br />
bekommen.“ Gerdha macht weiter ihre Sache in<br />
der Schule, immer die goldene Mittelstraße. Hat sie<br />
Arbeiten zurückbekommen, so hält sie das nicht für<br />
nötig, mir zu vermelden. Darüber von mir zur Rede<br />
gestellt, meint sie seelenruhig: „Wenn ich dir nun<br />
heut’ gesagt hätte, dass ich eine sehr gute Arbeit<br />
zurückbekommen habe, dann müsste ich es dir ja<br />
auch melden, wenn ich andermal eine Schlechte<br />
zurückbringe.“<br />
Mit dem Kind wird gebetet. Spiritualität ist eine<br />
Grundlage im <strong>Matriarchat</strong>.<br />
Als kleines Mädchen hat sie mich mal gefragt, ob<br />
der liebe Gott Joseph heiße. Auf meine überraschte<br />
Anfrage, wie sie darauf käme, erklärte sie das sehr<br />
einfach: „Der liebe Gott muss doch Joseph heißen,<br />
denn er ist doch der Vater vom Jesuskindel und<br />
der hieß Joseph.“ Im Gebet: „Gott, mein Gott kann<br />
vor Gefahren ...“ usw. verdreht sie die Stelle, ohne<br />
dass ich’s merke, in: „Gott, mein Gott kam vorgefahren“,<br />
bis ich durch ihre Anfrage: „Warum kommt<br />
Er denn vorgefahren?“ darauf aufmerksam wurde.<br />
Gerdha bleibt linkshändig, sie wird ein großes und<br />
sehr kräftiges Mädel, hat aber keinerlei Ehrgeiz und<br />
keinen Unternehmungsgeist. Sie hat nicht zu viele<br />
Freundinnen und ist auch mit diesen nicht intim,<br />
hält sich vielmehr immer ans Haus und die Familie.<br />
Am Brüderchen hängt sie sehr und ebenso groß wie<br />
die Freude über seine Geburt, ist der Schmerz über<br />
seinen frühen Heimgang. Oft werden Reisen unternommen,<br />
meist zu Großel Clara ins Riesengebirge<br />
[...] Gerdha fühlt sich überall wohl und wird gern als<br />
Gast gesehen, lässt sie doch ihre Fehler bei solchen<br />
Gelegenheiten daheim. - Die Jahre fliehen pfeilgeschwind,<br />
Gerdha wird im März 1917 konfirmiert und<br />
verlässt am 26. März 1918 die Schule. Ihr Abgangszeugnis<br />
ist nicht schlecht, doch zu weiteren Studien<br />
verspürt sie keine Lust. Wir schieben deshalb eine<br />
Berufswahl hinaus [...] Also Gerdha bleibt vorläufig<br />
daheim, ich würde sie auch jetzt während der<br />
Kriegszeit ungern fortgeben. Sie hilft in Haus und<br />
Garten und spielt viel mit dem kleinen Schwesterchen,<br />
unserem Sonnenschein, der am 29. Januar<br />
1916 geborenen Ilse-Senta.<br />
Das Malen habe ich von meiner Mutter geerbt.<br />
Daheim in Jauer stürzt sich Gerdha jetzt auf die<br />
Malerei. Sie scheint Talent zu haben, und ich habe<br />
Freude an ihren Fortschritten. [...] Von Neujahr<br />
an geht’s in die Schneiderstunde, das macht viel<br />
Freude, und ganz regelmäßig sitzt Gerdha von 8<br />
<strong>–</strong> 12 Uhr unter den Nähmädchen der Frl. Keil, die<br />
ihre Sache ausgezeichnet zu verstehen scheint.<br />
<strong>Ein</strong> Kunstwerk nach dem andern entquillt Gerdhas<br />
linker Hand und so schafft sie sich nach und<br />
nach eine ganze Ausstattung für das beabsichtigte<br />
Pensionsjahr in irgendeiner Maidenschule in Mitteldeutschland.<br />
Der Vater hat als Beschützer und Unterstützer der<br />
Mutter eine wichtige Rolle.<br />
Vater will nach Rudolfstadt hinfahren und sich die<br />
Schule ansehen, danach werden dann Entschlüsse<br />
gefasst werden.