Berliner Kurier 29.09.2018
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Nr.39, Ausgabe 29./30. September 2018<br />
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Bilder:ZRS Architekten GvAmbH<br />
In Anlehnung an historische Bauweisen schafft<br />
das ArchitekturbüroZRS mit<br />
natürlichen Baustoffenaußergewöhnliche<br />
Gebäude,wie hier etwa am Wannsee.<br />
Schieferals Fassadeneindeckung istinmanchen<br />
Gegenden Tradition, am Neubau eher ungewöhnlich.<br />
setzt. Der Wandel sei auch ganz praktisch<br />
greifbar, etwa was die Normierung angeht.<br />
„Beim Lehm muss man nicht mehr auf die<br />
Grube hinter dem Haus zurückgreifen, sondern<br />
findet viele Hersteller“, erklärt der Architekt<br />
mit einem Lächeln.<br />
Regional orientiert. „In allenRegionen, in denen<br />
wir tätig sind, versuchen wir möglichst<br />
lokales Material einzusetzen. In den warmen<br />
und heißen Klimazonen bauen wir die Wände<br />
beispielsweise aus dicken, tragenden Lehmkonstruktionen<br />
und die Decken und Dächer<br />
aus Bambus oder Holz“, berichtet auch Eike<br />
Roswag-Klinge, Professor am Institut für<br />
Architektur an der TU Berlin und Geschäftsführer<br />
des Kreuzberger Büros ZRS. „In<br />
Berlin bauen wir unsere Produktionsgebäude,<br />
Schulen und Wohnhäuser so weit wie<br />
möglich aus Brandenburgischer Kiefer und<br />
heimischem Lehm.“ Die Vorteile liegen für<br />
den Professor dabei auf der Hand. Angesichts<br />
der zunehmenden Verknappung von<br />
Ressourcen sei es wichtig, auf erneuerbare<br />
und wiederverwertbare Materialien Wert zu<br />
legen. Zudem seien Baustoffe wie Lehm oder<br />
Naturfasern unschlagbar, wenn es um ein<br />
gesundes und angenehmes Raumklima gehe.<br />
„Diese klimaaktiven, also feuchtesteuernde<br />
Baumaterialien ermöglichen Gebäude die<br />
auf Lüftungsanlagen verzichten können“,<br />
sagt Roswag-Klinge. Auch in Deutschland<br />
setzt der Architekt deshalb auf Lehmbausteine<br />
in den Innenwänden. Wie seine Kollegen<br />
an der ETH Zürich macht Roswag-Klinge<br />
dabei historische Bautechniken fit für<br />
das 21. Jahrhundert. „Wir verstehen unser<br />
Holz-Lehm-Bausystem als neue Interpretation<br />
des Fachwerkhauses. Wir nutzen all die<br />
positiven Eigenschaften dieser historischen<br />
Bautechnik, passen diese aber an heutige<br />
Anforderungen der Architektur und an neue<br />
digitale Produktionstechniken an“, erklärt<br />
Roswag-Klinge.<br />
Spannende Entwicklungen. Hier zeigt sich<br />
bereits, dass der Rückgriff auf natürliche<br />
Materialien nicht der einzige Weg ist, um<br />
möglichst nachhaltig zu bauen. „Für die Herstellung<br />
der Dämmstoffe setzen Hersteller<br />
wie Isover auf Recycling-Materialien, umweltschonende<br />
Verfahren und mineralische<br />
Rohstoffe aus Deutschland und angrenzenden<br />
Ländern“, sagt etwa Alina Maximeyko<br />
von der Baumarktkette toom. Gerade für<br />
Großprojekte werden zudem auf Grundlage<br />
intensiver Forschung immer mehr Baustoffe<br />
entwickelt, die die Eigenschaften altbewährter<br />
Materialien besitzen und gleichzeitig die<br />
Umwelt schonen. So entwickelte das <strong>Berliner</strong><br />
Büro „elegant embellishments“ gleich zwei<br />
„Hexchar“ hext Kohlendioxid<br />
weg,und Prosolve filtert<br />
Feinstaub aus derLuft.<br />
Baustoffe, die für eine saubere Luft sorgen:<br />
Das Fassadenmodul Prosolve filtert etwa<br />
Feinstaub aus der umgebenden Luft und das<br />
auf den Namen „Hexchar“ getaufte Material<br />
besteht aus verkohlten Pflanzenresten und<br />
bindet so langfristig Kohlendioxid, das sonst<br />
in der Luft landen würde. Hier bedeutet Verschwendung<br />
Nachhaltigkeit, denn je mehr<br />
von diesem Material verbaut wird, desto<br />
weniger CO2 landet in der Atmosphäre.<br />
Beton ohne Stahl. Ein anderes Beispiel für<br />
innovative Neuentwicklungen ist Carbonbeton.<br />
Seit 20 Jahren arbeiten Wissenschaftler<br />
an der TU Dresden und der RWTH Aachen<br />
in Kooperation mit Bauunternehmern oder<br />
Zulieferern an dem Materialverbund aus<br />
Carbonfasern und Beton, der den beliebten,<br />
aber wenig umweltfreundlichen Stahlbeton<br />
ersetzen soll. „Die korrosionsempfindliche<br />
Stahlbewehrung ist für einen Großteil der<br />
Instandhaltungskosten verantwortlich –viele<br />
Bauwerke werden kaum mehr älter als<br />
wir Menschen“, erläutert Chris Gärtner von<br />
der TU Dresden. Zudem werde allein bei<br />
der Herstellung von Zement dreimal soviel<br />
Kohlenstoffdioxid ausgestoßen, wie durch<br />
die globale Luftfahrt in die Atmosphäre geblasen<br />
wird.<br />
Intelligenter Baustoff. Die an Gärtners Institut<br />
mitentwickelte Alternative sei dabei widerstandsfähiger,leichter<br />
und tragfähiger als<br />
Stahl. „Carbonbeton ist weitaus beständiger<br />
als Stahlbeton, da das Material nicht korrodiert.<br />
Bauteile aus Carbonbeton können daher<br />
wesentlich schlanker ausfallen, was den<br />
Rohstoffbedarf verringert. Energieverbrauch<br />
und CO2-Ausstoß sinken auf etwa die Hälfte.<br />
Die flexible Formbarkeit der Kohlenstofffasern<br />
ermöglicht eine sehr filigrane Gestalt<br />
von Bauwerken, deren Lebensdauer zudem<br />
deutlich länger ist als bei der Bauweise mit<br />
Stahlbeton“, meint Gärtner. Unter dem Titel<br />
„Carbon Concrete Composite“ (C³) soll<br />
das Produkt bei Schlüsselanwendungen in<br />
nächster Zeit am Markt etabliert werden.<br />
Die Anwendungsmöglichkeiten sind dabei<br />
vielseitig und reichen vom Hochbau über<br />
Fassaden und Balkone bis zu Schalentragwerken.<br />
„Durch die Vorfertigung zu Modulen<br />
können Zusatzfunktionen, wie beispielsweise<br />
Dämmung, Heizung oder Sensorik,<br />
realisiert und neue intelligente Bauweisen<br />
ermöglicht werden“, sagt Gärtner.<br />
Individuell kombiniert. Allerdings: Das alleinige<br />
Patentrezept sind weder innovative<br />
Neuentwicklungen wie Leichtbeton,<br />
noch Klassiker wie Lehm. „Für jedes Projekt<br />
muss das Kriterium der Nachhaltigkeit<br />
einzeln bestimmt und in der Gesamtheit<br />
bewertet werden“, meint etwa<br />
Architekt Guntram Jankowski. Baustoffe<br />
wie Beton könnten sinnvoll sein, wenn<br />
das Gebäude damit langfristig hält. „Zukünftig<br />
könnte es eine stärkere Diversifizierung<br />
geben. Also statt nur Stahlbeton oder<br />
Natursandstein – je nach Anforderungen<br />
und Eigenschaften eines Projektes –auch der<br />
stärkere Einsatz anderer Materialien“, prognostiziert<br />
Jankowski.<br />
Philip Aubreville