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Berliner Kurier 04.11.2018

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JOURNAL<br />

Die gezügelte<br />

Revolution<br />

Berlin, 9. November 1918: Die Monarchie<br />

nimmt ihr Ende, die Republik ihren Anfang –<br />

dazwischen liegen Irrungen und Wirrungen.<br />

Eine historische 24-Stunden-Reportage<br />

Von<br />

MICHAEL BRETTIN<br />

Prolog<br />

Aus und vorbei! Generalfeldmarschall<br />

Paul von Hindenburg<br />

und Generalquartiermeister<br />

Erich Ludendorff müssen<br />

Anfang Herbst 1918 ihrem Kaiser<br />

gestehen: Der Krieg ist für<br />

das Reich verloren.<br />

Kaiser Wilhelm II. lässt sich<br />

am 29. September von Ludendorff<br />

überzeugen, dass das<br />

Reich schnellstmöglich ein<br />

Waffenstillstands- und Friedensangebot<br />

an US-Präsident<br />

Woodrow Wilson richten müsse.<br />

Aber: Nicht die Oberste<br />

Heeresleitung (OHL), sondern<br />

eine neue, von den Mehrheitsparteien<br />

des Reichstags getragene<br />

Regierung solle die Verantwortung<br />

übernehmen.<br />

Gegenüber seinen Stabsoffizieren<br />

erklärt Ludendorff zwei<br />

Tage später: „Diese Herren in<br />

den Ministerien (...) sollen nun<br />

den Frieden schließen, der jetzt<br />

geschlossen werden muss. Sie<br />

sollen die Suppe jetzt essen, die<br />

sie uns eingebrockt haben.“<br />

Die „Dolchstoßlegende“ wird<br />

geboren: Das deutsche Heer sei<br />

„im Felde unbesiegt“ geblieben,<br />

es sei durch „vaterlandslose“<br />

Zivilisten aus der Heimat gemeuchelt<br />

worden.<br />

Mit einer „Revolution von<br />

oben“ wird am 3. Oktober die<br />

erste parlamentarische Regierung<br />

in der deutschen Geschichte<br />

gebildet: mit Prinz<br />

Max von Baden, einem Vetter<br />

des Kaisers, als Reichskanzler<br />

und Vertretern der MSPD<br />

Revolution! Arbeiter<br />

und Soldaten, aber auch<br />

Sympathisanten und<br />

Schaulustige, marschieren<br />

am 9. November 1918<br />

durchs Brandenburger Tor.<br />

(Mehrheitssozialdemokratische<br />

Partei Deutschlands, später<br />

SPD), der Fortschrittlichen<br />

Volkspartei und des Zentrums.<br />

US-Präsident Wilson fordert<br />

in seiner dritten und letzten<br />

Note an die neue deutsche Regierung<br />

am 23. Oktober die Kapitulation<br />

des Reichs und die<br />

Abdankung des Kaisers. Hindenburg<br />

und Ludendorff rufen<br />

daraufhin zur Fortsetzung des<br />

Krieges auf. Die Regierung<br />

übergehen sie.<br />

Als die Marineleitung die vor<br />

Wilhelmshaven und Kiel ankernde<br />

deutsche Hochseeflotte<br />

in eine Alles-oder-nichts-<br />

Schlacht gegen die englische<br />

Flotte auslaufen lassen will,<br />

meutern Matrosen. Die Aufständischen<br />

bilden am 4. November<br />

einen Provisorischen<br />

Zentralen Arbeiter- und Soldatenrat.<br />

Ihre erste Forderung:<br />

Abdankung des Hohenzollernhauses<br />

mit Kaiser Wilhelm und<br />

Kronprinz Wilhelm.<br />

Der Aufstand breitet sich wie<br />

Flächenbrand aus. Mit Ausnahme<br />

Berlins reißen Arbeiterund<br />

Soldatenräte bis zum 9. November<br />

die Macht an sich, indem<br />

sie die Kommandogewalt<br />

in den Garnisonen und die Kontrolle<br />

in den Verwaltungsgebäuden<br />

übernehmen. Die Räte<br />

nehmen sich die Sowjets der<br />

Russischen Revolution zum<br />

Vorbild, mehrheitlich allerdings<br />

ohne die Programmatik<br />

der Bolschewiki.<br />

Überrascht von dieser revolutionären<br />

Initiative werden<br />

auch die sozialistischen Parteien<br />

SPD und USPD (Unabhängige<br />

Sozialdemokratische Partei<br />

Deutschlands) mit der Spartakusgruppe,<br />

ihrem linken Flügel.<br />

Die SPD strebt eine Übereinkunft<br />

mit der Monarchie an:<br />

Ein vorzeigbarer „Ersatzkaiser“<br />

(Reichsverweser) soll an<br />

die Stelle des diskreditierten<br />

Wilhelm II. treten; die linkssozialistische<br />

USPD will eine<br />

mehr oder weniger autoritäre<br />

Räte-Herrschaft der Arbeiterklasse,<br />

die linksradikale Spartakusgruppe<br />

eine kommunistische<br />

Diktatur nach Vorbild der<br />

jungen Sowjetunion.<br />

Der SPD-Vorsitzende Friedrich<br />

Ebert versichert am 6. No-

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