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Fremdsein überwinden (2016)

Kongressband Dreiländerkongress 2016 in Bielefeld

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zuteilwird, hängt davon ab, wie die Ordnung beschaffen ist, in der unser<br />

Leben, unsere Erfahrung, unsere Sprache, unser Tun und unser Schaffen<br />

Gestalt annimmt.“ Nur durch die Konfrontation mit unseren Grenzen besitzen<br />

wir überhaupt die Möglichkeit, uns selbst zu definieren. Dabei gilt es zu<br />

bedenken, dass das Fremde, und in diesem Zusammenhang der Fremde,<br />

nicht automatisch mit dem Anderen gleichgesetzt werden kann. In einer<br />

Gruppe von mehreren Individuen kann der Andere zur kulturellen Gemeinschaft<br />

gehören, aber da der Fremde im Unterschied zum Eigenen charakterisiert<br />

werden muss, ist der Fremde vor diesem Hintergrund stets ein Anderer.<br />

Doch ganz anders verhält es sich, wenn wir uns selbst fremd werden<br />

und wir zu Fremden in unserer eigenen Umgebung werden. Albert Camus<br />

Roman „Der Fremde“ ließe sich hier paradigmatisch anführen. Camus charakterisiert<br />

die Hauptfigur Meursault als eine Person ohne ethische Überzeugungen,<br />

die mit großer Gleichgültigkeit auf Ungerechtigkeiten, Gewalt<br />

und traurige Nachrichten reagiert. Meursault scheint geradezu eine emotionale<br />

Taubheit eigen zu sein, die an die Symptomatik einer Depersonalisation<br />

erinnert. In dieser Steigerung ist die Person nicht nur fremd seiner eigenen<br />

Kultur gegenüber, sondern vor allem sich selbst. „Je est un autre.“ Mit dieser<br />

Äußerung von Rimbaud wird die intersubjektive Fremdheit erweitert zu<br />

einer „intrasubjektiven Fremdheit“. Dieser Ausdruck einer intrasubjektiven<br />

Fremdheit wird aber im Sinne von Rimbaud nicht pathologisch, sondern als<br />

Ausdruck eines generellen Verlustes des eigenen Ichs in unserer modernen<br />

Gesellschaft verstanden. Vor diesem Hintergrund ist eine Definition des<br />

eigenen Ichs kaum noch möglich. Folgen wir dieser Logik, dann ließe sich in<br />

letzter Konsequenz auch das Fremde nicht mehr erfassen. Waldenfels merkt<br />

dazu an: „Es gäbe nichts mehr, mit dem das Fremde kontrastieren würde.<br />

Mit der Abschaffung der Eigenheit hätten wir auch die Fremdheit selbst<br />

abgeschafft. Wir wären in die Nacht zurückgekehrt, in der alle Katzen grau<br />

sind.“ Er schlägt als Ausweg vor, zu unterscheiden zwischen der „eigenen<br />

Fremdheit“ und der „fremden Fremdheit“. Die eigene Fremdheit ist konstituierendes<br />

Element des eigenen Ichs, die fremde Fremdheit ist dagegen die<br />

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