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Berliner Zeitung 30.01.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 25 · M ittwoch, 30. Januar 2019 11 *<br />

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Berlin<br />

Feuerattacke<br />

nach Streit um<br />

Schnaps<br />

Obdachlose angezündet:<br />

Zeuge sagt vor Gericht aus<br />

VonKatrin Bischoff<br />

A<br />

ndreas V. hat einmal als Maurer<br />

gearbeitet. Er war verheiratet, er<br />

soll ein Kind haben. Dann verlor er<br />

alles. Erlebte auf der Straße, zum<br />

Schluss auf dem Vorplatz des S-<br />

Bahnhofs Schöneweide in Treptow.<br />

Mit seinem Hund Ricky. Soerzählen<br />

es seine Kumpel, die an diesem<br />

Dienstag in das Landgericht gekommen<br />

sind. Um den Mann zu sehen,<br />

der Andreas V. auf dem Gewissen haben<br />

soll. Derihren Freund und einen<br />

zweiten Obdachlosen laut Anklage<br />

mit Benzin übergossen und anzündet<br />

haben soll.<br />

Der Mann, der auf der Anklagebank<br />

sitzt, heißt Aleksandr T. Er ist 48<br />

Jahre alt, von Beruf Schlosser und<br />

verheiratet. Er lebt offenbar ab und<br />

zu auf der Straße und soll mehrfach<br />

mit den beiden späteren Opfern<br />

Andreas V. und Lothar D. getrunken<br />

haben. Zu den Vorwürfen der Staatsanwältin<br />

schweigt er an diesem ersten<br />

Verhandlungstag.<br />

Am späten Abend des 22. Juli des<br />

vergangenen Jahres soll es zwischen<br />

dem Angeklagten sowie Andreas V.<br />

und Lothar D. zu einem Streit gekommen<br />

sein. Der Angeklagte soll<br />

den Vorplatz des S-Bahnhofs verlassen<br />

und an einer nahe gelegenen<br />

Tankstelle Benzin gekauft haben.<br />

Gegen 23 Uhr kehrte er zurück, trat<br />

an die obdachlosen Männer heran,<br />

die gerade ihren Schlafplatz zurechtgemacht<br />

hatten, übergoss sie mit<br />

Benzin und zündete sie an. Dabei, so<br />

die Staatsanwältin, habe der Angeklagte<br />

den Todder Männer billigend<br />

in Kauf genommen.<br />

In der Annahme, erhabe seinen<br />

Widersachern tödliche Verletzungen<br />

zugefügt und um nicht gefasst zu<br />

werden, sei Aleksandr T. geflohen.<br />

Passanten konnten die Flammen löschen.<br />

Rettungswagen brachten Andreas<br />

V. und Lothar D. in das Unfallkrankenhaus<br />

Berlin.Während der 62-<br />

jährige Lothar D. nach zehn Tagen<br />

entlassen werden konnte, musste<br />

Andreas V. ins künstliche Koma versetzt<br />

werden. Er starb vier Monate<br />

später. Daher wurde die Anklage auf<br />

vollendeten Totschlag erweitert.<br />

Lothar D. kann sich an den Abend<br />

erinnern. Er sagt als Zeuge,der Angeklagte<br />

habe den Schnaps von Andreas<br />

V. gewollt. „Der wollte partout<br />

nicht gehen“, wiederholt der 62-Jährige<br />

vorGericht immer wieder.Ererzählt,<br />

dass er seine brennenden Kleider<br />

selbst habe löschen können.<br />

Doch Andreas habe richtig gebrannt.<br />

Er habe ihn nie wieder gesehen.<br />

„Für mich ist das richtiger Kitsch“<br />

Architekt Siegfried Wagner hat einst den Müggelturmmit entworfen. Er istgegen dengeplanten Zwillingsbau<br />

VonNorbertKoch-Klaucke<br />

Siegfried Wagner steht im<br />

Wohnzimmer seines Hauses<br />

in Pankowund schüttelt immer<br />

wieder mit dem Kopf.<br />

Sein Blick fällt dabei zum Kamin, auf<br />

dem ein großes Schwarz-weiß-Foto<br />

mit dem Müggelturm steht. Dann<br />

schaut er zum hölzernen Wohnzimmertisch,<br />

auf dem eine aufgeschlagene<br />

<strong>Zeitung</strong> liegt. Eine Abbildung<br />

darin zeigt den Müggelturm. Seinen<br />

Müggelturm. Und einen geplanten<br />

Zwillingsturm daneben. „Nein, das<br />

geht überhaupt nicht“, sagt Wagner.<br />

„Dieser Zwillingsblödsinn darf auf<br />

keinem Fall gebaut werden.“<br />

Siegfried Wagner, 87Jahre alt, ist<br />

einer der Architekten, die 1958 die<br />

Pläne für den Müggelturm entworfen<br />

haben. Bis<br />

1961 wurde ihr<br />

Müggelturm<br />

dann in den<br />

Müggelbergen<br />

errichtet. Dass<br />

der jetzige<br />

Grundstückseigner<br />

und Immo-<br />

Architekt bilienunterneh-<br />

mer Matthias<br />

Siegfried Wagner<br />

Große neben<br />

dem alten Müggelturm noch einen<br />

zweiten errichten will, erfuhr Wagner<br />

aus der <strong>Zeitung</strong>. Seitdem ärgert<br />

er sich darüber,was auf den Müggelbergen<br />

künftig passieren soll, auch<br />

wenn der Bezirk Treptow-Köpenick<br />

diesem Plan noch nicht zugestimmt<br />

hat. „Für mich ist der Plan richtiger<br />

Kitsch“, sagt Wagner. Das beliebte<br />

Ausflugsziel der <strong>Berliner</strong> sei „ein einzigartiges<br />

Ensemble,das nicht durch<br />

einen zweiten Turm zerstört werden<br />

darf“. Wagner sagt: „Die Zwillingstürme<br />

entwürdigen das ganze<br />

Areal.“ Seit jeher habe auf den Müggelbergen<br />

nur ein Turm gestanden.<br />

Zuerst war es ein Holzaussichtsturm,<br />

den 1889 der Köpenicker Wäscherei-Unternehmer<br />

Carl Spindler<br />

aufbauen ließ. Der brannte im Jahr<br />

1958 bei Renovierungsarbeiten ab.<br />

Mit Spenden der <strong>Berliner</strong> über das<br />

Nationale Aufbauwerk sollte ein<br />

neuer Turm errichtet werden. Über<br />

130 000 DDR-Mark kamen zusammen.<br />

„Staatliches Geld floss damals<br />

eher in den Bau für Wohnungen im<br />

Stadtzentrum. Für Bauten wie einen<br />

neuen Aussichtsturm amStadtrand<br />

war kaum Geld da“, erzählt Wagner.<br />

Er erinnertsich an diese Zeit noch<br />

genau, die sein berufliches Leben<br />

verändernsollte.Der gelernte Tischler<br />

studierte damals Architektur an<br />

der Kunsthochschule Weißensee. Er<br />

war 1958 im fünften Studienjahr, als<br />

er und seine Kommilitonen Jörg<br />

Streitparth und Klaus Weißhaupt<br />

den Auftrag erhielten, einen Entwurf<br />

BLZ/PONIZAK<br />

So soll der Müggelturmmit dem Zwillings-Anbau aussehen.<br />

In Ovalform: Der ursprüngliche Entwurf<br />

für den Müggelturm<br />

BLZ/PONIZAK<br />

ZUR GESCHICHTE<br />

Im Jahr 1890 stiftet der Köpenicker Wäschereibesitzer<br />

Spindler eine 27 Meter<br />

hohe Pagode für die Müggelberge. Sie<br />

brennt 1958 ab.1961 wird der jetzige<br />

Müggelturmeröffnet. Er ist 29 Meter<br />

hoch.<br />

M. GROSSE<br />

Im Jahr 1995 gehen Turm und 6000<br />

Quadratmeter Gelände ans Land Berlin.<br />

2007 wird das Ganze für 25 000 Euro<br />

verkauft. Der Vertrag wird 2012 rückgängig<br />

gemacht. Ab 1. Mai 2014 ist der Köpenicker<br />

Matthias Große Eigentümer.<br />

für den neuen Müggelturm anzufertigen.<br />

Streitparth und Weißhaupt<br />

sind bereits gestorben.<br />

„Es gab einen Ideenwettbewerb,<br />

den damals die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> zusammen<br />

mit dem Magistrat und<br />

dem Rat des Stadtbezirkes ausgerufen<br />

hatte. Insgesamt 36 Entwürfe<br />

wurden eingereicht, einer kam sogar<br />

von einem West-<strong>Berliner</strong> Architekten“,<br />

erzähltWagner.Zugegeben, der<br />

Entwurf der drei Nachwuchs-Architekten<br />

war für die damalige Zeit gewagt<br />

–ihr Turm hatte einen ovalen<br />

Grundriss. „Aber wir siegten“, sagt<br />

Wagner. Allerdings habe die Baukommission<br />

später gefordert, dass<br />

ihr Plan geändert werde, weil die<br />

ovale Form angeblich bautechnisch<br />

nicht realisierbar gewesen sei.<br />

„Ich vermute, unser Turm wirkte<br />

der Kommission zu westlich und<br />

entsprach nicht den Richtlinien der<br />

DDR-Architektur jener Zeit. Nach<br />

langem Hin und Her änderten wir<br />

den Entwurf. Der Müggelturm erhielt<br />

eine Kastenform.“ Als Anerkennung<br />

erhielten die Studenten einen<br />

Blumenstrauß und eine Flasche<br />

Sekt, später eine Reise nach Prag.<br />

Dank des Müggelturmes wurden<br />

die Studenten zu den gefragtesten<br />

Architekten der DDR. Sie waren an<br />

der Planung des Hauses des Lehrers<br />

am Alex beteiligt. Streitparth arbeitete<br />

beim Entwurfzum Fernsehturm<br />

mit. Wagner erinnert sich, dass er<br />

noch während des Baus des Müggelturms<br />

die Pläne für die Kongresshalle<br />

am Alexanderplatz erstellte.<br />

Danach wurde er für fünf Jahre zum<br />

Stadtarchitekten von Hoyerswerda<br />

ernannt. In den 1970er-Jahren arbeitete<br />

Wagner am Palast der Republik<br />

mit, er gestaltete den Operationstrakt<br />

der Charité, er war auch für den<br />

Wohnungsbau in Marzahn und Ahrensfelde<br />

zuständig.<br />

Nunwill sich der Architekt wieder<br />

mit dem Müggelturm beschäftigen.<br />

Auch wenn es nur darum geht, einen<br />

Zwillingsbau zu verhindern. Dabei<br />

kennt auch Wagner das Manko des<br />

Müggelturms: Die126 Stufen bis zur<br />

Aussichtsplattform halten viele Besucher<br />

von einem Aufstieg ab. „Ein<br />

Fahrstuhl war damals wegen Geldmangels<br />

nicht gefordert“, sagt Architekt<br />

Wagner.<br />

Doch die Idee, einen zweiten<br />

Turm mit Fahrstuhl zu bauen, damit<br />

jeder die Aussicht auf die Müggelberge<br />

in fast 30 Metern Höhe genießen<br />

kann, sei ein Unding. „Wenn ich<br />

dem zustimmen würde,würden sich<br />

meine einstigen Mitstreiter im Grab<br />

umdrehen“, sagt Siegfried Wagner.<br />

„Ich werde nach einer Lösung suchen,<br />

wie Menschen mit Handicap<br />

auch ohne zweiten Turm nach oben<br />

kommen. DenEntwurflege ich dann<br />

dem Denkmalschutz vor.“<br />

25 Millionen<br />

Euro mehr für<br />

Jugendarbeit<br />

Scheeres legt Gesetz zur<br />

Jugendförderung vor<br />

VonMartin Klesmann<br />

InBerlin gibt es wieder mehr Kinder,<br />

aber immer weniger Geld<br />

wurde für die Jugendarbeit ausgegeben.<br />

Das soll sich nun ändern. Der<br />

Senat hat am Dienstag dem von Bildungssenatorin<br />

Sandra Scheeres<br />

(SPD) vorgelegten Entwurf des Jugendfördergesetzes<br />

zugestimmt.<br />

Demnach sollen von 2020 bis 2023<br />

neben den bisher eingeplanten 85<br />

Millionen Euro weitere 25Millionen<br />

Euro zur Verfügung stehen.<br />

Erstmals wird indem Gesetzentwurf<br />

verbindlich festgelegt, welche<br />

Angebote Berlin seinen Kindernund<br />

Jugendlichen machen muss. Den<br />

Bezirken werden genauereVorgaben<br />

gemacht. Es geht um Einrichtungen<br />

für die offene Jugendarbeit wie Jugendclubs<br />

oder Abenteuerspielplätzeoder<br />

um mobile Angebote wie<br />

HipHop-Mobile –aber auch um Erholungsfahrten<br />

und internationale<br />

Begegnungen, um vonJugendlichen<br />

selbstverwaltete Projekte und um<br />

Seminare für Jugendliche. Bezogen<br />

auf die konkrete Einwohnerzahl junger<br />

Menschen wird der Bedarf nach<br />

dem Gesetz künftig genauer errechnet.<br />

So soll zum Beispiel jeder 6- bis<br />

27-Jährige einmal an einer Erholungs-<br />

oder internationalen Begegnungsfahrt<br />

teilnehmen. Demokratiebildung<br />

soll im Zentrum stehen.<br />

„Bildung findet nicht nur in der<br />

Schule statt“, sagte Elvira Berndt,<br />

Vorsitzende des Landesjugendhilfeausschusses.<br />

Bezirke handelten uneinheitlich<br />

Dieklareren Vorgaben könnten Konflikte<br />

wie um dasWeiterbestehen des<br />

Jugendzentrums Potse in Schöneberg<br />

oder des Kinderbauernhofes<br />

Pankow entschärfen. Zehn Prozent<br />

ihrer Jugendhilfemittel hätten die<br />

Bezirke eigentlich für solche Projekte<br />

ausgeben sollen. Das sei aber nicht<br />

der Fall gewesen, kritisierte Scheeres.<br />

Die tatsächlich ausgegebenen<br />

Summen reichten 2018 von 4,5 Millionen<br />

Euro in Reinickendorf bis 9,8<br />

Millionen Euro in Pankow.<br />

Auf Landes- und Bezirksebene<br />

müssen alle vier Jahr Förderpläne<br />

wieder unter Beteiligung von Jugendlichen<br />

erstellt werden. Der Rat<br />

der Bürgermeister muss noch zustimmen.<br />

Sozialverbände wie der<br />

ParitätischeWohlfahrtsverband oder<br />

der Landesjugendring begrüßten<br />

den Gesetzentwurf, die FDP mahnte,<br />

das Ganze dürfe nicht zu Lasten anderer<br />

Einrichtungen wie Schulstationen<br />

gehen.

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