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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 25 · M ittwoch, 30. Januar 2019 – S eite 21<br />
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Feuilleton<br />
Themis e.V.unterstützt<br />
MeToo-Opfer in Theater,<br />
Film und Fernsehen<br />
Seite 23<br />
„Er würde eine Komödie über Trump drehen.“<br />
Nicola Lubitsch auf die Frage, was ihr Vater heute tun würde Seite 22<br />
Weltzentrum Dahlem<br />
<strong>Berliner</strong><br />
Binnensichten<br />
Nikolaus Bernau<br />
staunt mal wieder über die<br />
Nehmerlaune dieser Stadt<br />
Das muss man erst mal schaffen:<br />
Zwei Stunden über einzigartige<br />
Sammlungen eines weltberühmten<br />
Ethnologischen Museums mit hoher<br />
emotionaler Temperatur zu debattieren,<br />
ohne auch nur ein einziges<br />
Mal das Wort Kolonialzeit auszusprechen,<br />
ohne Stuttgart, Hamburg,<br />
Brüssel oder Paris zuerwähnen, wo<br />
überall gerade wie in Berlin neue<br />
ethnologische Museen entstehen.<br />
Wasinteressiert uns das alles, war<br />
unausgesprochen der Tenor am<br />
Montag im Vortragssaal des Ethnologischen<br />
Museums in Dahlem. Es ging<br />
um die Nachnutzung der vor allem<br />
zwischen 1964 und 1972 entstandenen<br />
Bauten, die einst als „Museum<br />
Dahlem“ weltberühmt waren, in denen<br />
seit zwei Jahren aber nur noch die<br />
Ausstellungen des Museums Europäischer<br />
Kulturen zu sehen sind.<br />
Mindestens 10000 Quadratmeter,<br />
wirdgemunkelt, stehen da frei.<br />
Und so fordert der Bezirk, dass<br />
Dahlem mit Mitte um Touristen konkurrieren<br />
müsse. Die freie Kulturszene<br />
will am besten kostenlose Ateliers<br />
und Räume für Musik, Tanz,<br />
Performance. Der umtriebige Ex-<br />
Kultursenator Volker Hassemer zeigt<br />
zwar Verständnis dafür, dass die<br />
Staatlichen Museen als aktuelle Besitzer<br />
nur für sich planen könnten,<br />
aber der Senat möge doch die Interessen<br />
Berlins hartindie Debatte einbringen.<br />
Der verzweifelte Einwurf<br />
des Generaldirektors der Museen,<br />
Michael Eissenhauer, dass es diese<br />
10 000 freien Quadratmeter gar nicht<br />
gibt, weil er ein marodes,überfülltes<br />
Depot räumen muss,weil er Flächen<br />
für neue Depots, Labore, Bibliotheken,<br />
Büros und Probebühnen für das<br />
Humboldt-Forum benötigt, das ging<br />
in der versammelten <strong>Berliner</strong> Anspruchshaltung<br />
unter.<br />
Keiner im Saal stellte die Frage,<br />
warum die Geberländer Berlin durch<br />
Platzüberlassung ein weiteres Kulturzentrum<br />
finanzieren sollen. Solche<br />
Subvention ist man hier schließlich<br />
gewöhnt aus schönen alten<br />
West-<strong>Berliner</strong> Zeiten, als Dahlems<br />
Museen noch Weltmuseen waren.<br />
Festivaldirektor Dieter Kosslick bei der obligatorischen Berlinale-Pressekonferenz. Nach 18 Jahren gibt er das Amt Ende Mai ab.<br />
Alte Bekannte<br />
69. <strong>Berliner</strong> Filmfestspiele −DieterKosslick stellt das Programm und die Jury vor.Mit dabei: Sandra Hüller<br />
VonFrank Junghänel<br />
Wenn der Chef geht,<br />
kommen sie alle noch<br />
mal vorbei. Zu seiner<br />
letzten Berlinale hat<br />
Dieter Kosslick viele alte Bekannte in<br />
den Wettbewerb jenes Festivals eingeladen,<br />
das er in den vergangenen<br />
18 Jahren mit seiner Person wie wohl<br />
keiner der drei Direktoren vor ihm<br />
geprägt hat. „Bis auf Kleinigkeiten<br />
hat es immer Spaß gemacht“, lautete<br />
am Dienstag bei der obligatorischen<br />
Programmkonferenz sein Schlusswort<br />
an die Journalisten. Und die,<br />
obgleich zuletzt nicht immer mit seiner<br />
Festivalpolitik einverstanden,<br />
bedachten ihn mit langem Applaus<br />
und vereinzelten Juchzern.<br />
Die Stimmung war also gelöst,<br />
was auch daran gelegen haben mag,<br />
dass die Erwartungen bereits auf die<br />
Zeit nach Kosslick gerichtet sind.<br />
Jetzt ist noch einmal Gelegenheit für<br />
ein Schaulaufen mit einigen jener<br />
Regisseurinnen und Regisseure, die<br />
das künstlerische Profil der ÄraKosslick<br />
geprägt haben. So etwa die dänische<br />
Filmemacherin Lone Scherfig<br />
(„Italienisch für Anfänger“), deren<br />
Film „The Kindness of Strangers“ am<br />
7. Februar die 69. Berlinale eröffnet.<br />
François Ozon aus Frankreich ist<br />
wieder dabei, wie auch die polnische<br />
Regisseurin Agnieszka Holland und<br />
die Spanierin Isabel Coixet. Der<br />
deutsche Film wird diesmal von der<br />
Debütantin Nora Fingscheidt und<br />
den beiden Berlinale-Vertrauten Angela<br />
Schanelec und Fatih Akin vertreten.<br />
Insgesamt bewerben sich 17<br />
Filme um den Goldenen Bären und<br />
seine silbernen Ableger. Beendet<br />
wird die Konkurrenz schließlich von<br />
einem Altmeister des Weltkinos:<br />
Zhang Yimou zeigt seinen neuen<br />
Film „One Second“. Vor 40 Jahren<br />
wurde der chinesische Regisseur in<br />
DIE INTERNATIONALE JURY<br />
Die Präsidentin: Juliette Binoche. Die französische Schauspielerin wurde 1997 für ihre Rolle<br />
in dem Film „Der englische Patient“ mit dem Silbernen Bären und dem Oscar geehrt.<br />
Die Mitglieder: Justin Chang (USA), Filmkritiker der Los Angeles Times, Sandra Hüller<br />
(Deutschland), Schauspielerin, 2006 gewann sie für „Requiem“ den Silbernen Bären,<br />
Sebastián Lelio (Chile), Regisseur,2017 Oscar für seinen Berlinale-Film „Eine fantastische<br />
Frau“, Rajendra Roy(USA) leitender Filmkurator des Museums of ModernArt in NewYork,<br />
Trudie Styler (Großbritannien), Schauspielerin, Regisseurin und Unicef-Botschafterin<br />
Berlin für „Rotes Kornfeld“ mit dem<br />
Hauptpreis geehrt.<br />
In diesem Jahr entscheidet die Internationale<br />
Jury unter Leitung von<br />
Juliette Binoche, ebenfalls ein<br />
Stammgast des Festivals, über die<br />
Vergabe der Bären. Unterstützung<br />
erhält die französische Actrice von<br />
ihrer deutschen Kollegin Sandra<br />
Hüller (Silberner Bär 2006), von der<br />
britischen Schauspielerin Trudie<br />
Styler, dem US-amerikanischen<br />
Filmkurator Rajendra Roy, dem chilenischen<br />
Regisseur Sebastián Lelio<br />
und dem Cheffilmkritiker der Los<br />
Angeles Times,Justin Chang.<br />
TOBIAS SCHWARZ<br />
Nominell spricht diese Besetzung<br />
mit drei Schauspielerinnen und einem<br />
Oscar-prämierten Regisseur<br />
womöglich eher für eine Präferenz<br />
der Jury in Richtung Publikumsfilm,<br />
aber Überraschungen gehören zur<br />
Tradition der Berlinale, und so liegt<br />
zumindest in dieser Hinsicht etwas<br />
Spannung auf dem Wettbewerb, der<br />
in seiner Papierformvielleicht etwas<br />
zu ausrechenbar ist. Am schönsten<br />
sind sowieso die Filme, von denen<br />
man sich vorabgar kein Bild macht.<br />
Siesind bei der Berlinale in den sogenannten<br />
Nebenreihen zu sehen,<br />
die für viele Besucher längst das<br />
Hauptprogramm bilden. Forum und<br />
Generation zeigen in diesem Jahr<br />
viele Filme aus Lateinamerika und<br />
hier besonders aus Brasilien, deren<br />
Abwesenheit in der Konkurrenz von<br />
einer Journalistin beklagt wurde. So<br />
ist das aber in jedem Jahr.Wosind die<br />
Russen? Wo die Afrikaner? Wo ist das<br />
junge Kino? Alles da, man muss die<br />
Filme nur unter den 400Titeln finden.<br />
Eine Frage, die Dieter Kosslick<br />
stets genervt hat, wurde ihm diesmal<br />
gar nicht gestellt, die nach den Stars.<br />
Kurz gesagt kommen die, auf die er<br />
sich immer verlassen konnte: Tilda<br />
Swinton, Catherine Deneuve, Stellan<br />
Skarsgård, Bill Nighy.Alte Bekannte.<br />
NACHRICHTEN<br />
Wirbel um Valentin-Orden für<br />
Musiker Andreas Gabalier<br />
DieVerleihung des Karl-Valentin-Ordens<br />
an den österreichischen Musiker<br />
Andreas Gabalier an diesem<br />
Sonnabend in München stößt aufWiderspruch.<br />
Gabaliers Kunst habe<br />
nichts mit der Kunst vonKarlValentin<br />
zu tun,„und zwar gar nichts“, sagte<br />
die Direktorin des MünchnerValentin-Karlstadt-Musäums,Sabine<br />
Rinberger,amDienstag.<br />
Siedistanziere<br />
sich vonder gesellschaftspolitischen<br />
Haltung Gabaliers,die rechtspopulistisch,<br />
homophob und frauenfeindlich<br />
sei.Verliehen wirdder Orden von<br />
der Münchner Faschingsgesellschaft<br />
Narrhalla.„Texte vonKünstlernsind<br />
vielseitig auslegbar und werden offensichtlich<br />
vonbestimmten Personen<br />
je nach Neigung unterschiedlich<br />
wahrgenommen“, erklärte dasVereinspräsidium.<br />
(dpa)<br />
Kupferstich-Kabinett erhält<br />
vermisste Zeichnung zurück<br />
DasKupferstich-Kabinett Dresden<br />
hat ein weiteres seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg vermisstes Kunstwerkzurückerhalten.<br />
DieZeichnung des flämischen<br />
Künstlers David Teniers d.J.<br />
(1610-1690) wurde aus Privatbesitz<br />
erworben, wie Direktorin Stephanie<br />
Buck sagte.Das Blatt zeigt einen rauchenden<br />
Bauernund seine Frau. „Es<br />
ist ein charakteristischesWerk für die<br />
niederländische Genrekunst.“ Die<br />
Zeichnung gehörte 1945 zu den<br />
Kunstbeständen, die Trophäenkommissionen<br />
der Sowjetarmee abtransportierthatten.<br />
Nach Angaben der<br />
Direktorin sind erst rund 70 der etwa<br />
5000 verschollenen Werkedes Museums<br />
zurückgekehrt. (dpa)<br />
Katharina Thalbach erhält<br />
Ordre des Arts et des Lettres<br />
DieSchauspielerin Katharina Thalbach<br />
wirdfür ihrekünstlerischen<br />
Verdienste mit dem französischen<br />
Ordredes Arts et des Lettres im Offiziersrang<br />
ausgezeichnet. Siebekommt<br />
die Ehrung vonder französischen<br />
Botschafterin Anne-Marie<br />
Descôtes am 3. Februar nach einer<br />
Vorstellung von„Hase Hase“ im<br />
Schiller Theater.Die <strong>Berliner</strong>in war<br />
in Frankreich als Schauspielerin und<br />
als Regisseurin aktiv. (dpa)<br />
UNTERM<br />
Strich<br />
Fontane der Woche<br />
Frischer Kuchen<br />
ist das Ziel<br />
VonAhne<br />
Der von mir gering geschätzte Autor<br />
Theodor Fontane, ein Mann, welcher<br />
durch die Mark Brandenburg nie gewandert<br />
ist, allerhöchstens mal um ein Herrenhaus<br />
herum, hat in seinem Leben durchaus auch<br />
mal ein Korn gefunden. Ja, obschon weder<br />
blind noch ein Huhn, prägte er den intelligenten<br />
Spruch: „Man muss es so einrichten,<br />
dass einem das Ziel entgegen kommt.“ Sicher,<br />
jenes „muss“ stört ein wenig, es atmet<br />
den Fontane beherrschenden preußisch-militaristischen<br />
Geist, sonst jedoch: Chapeau!,<br />
um mal jene Sprache zu nutzen, die von einem<br />
Volk gesprochen wird, welches Fontane<br />
Zeit seines Lebens verachtete, Polen könne<br />
man unter deutscher Anleitung erziehen,<br />
aber Franzosen seien ja wohl das Letzte.<br />
Mir bleibt es ein Rätsel, wieso Fontane<br />
ausgerechnet in der DDR so gefeiert wurde.<br />
Viele werden jetzt sagen, war eben eine andere<br />
Zeit, damals dachten die Menschen<br />
eben so, außerdem stammt Fontane aus einer<br />
Familie von Hugenotten, die in Frankreich<br />
aufgrund ihres Glaubens verfolgt worden<br />
sind. Kann sein. Deswegen wird esaber<br />
auch nicht besser.Chauvinist.<br />
Wenn er wenigstens spannend geschrieben<br />
hätte. Witzig. Interessant. Stattdessen<br />
Langeweile.Ermüdende Ausführungen über<br />
geschlagene Schlachten, viele Seiten lang.<br />
Kein einziges Buch konnte ich in Gänze von<br />
ihm lesen. „Man muss es so einrichten, dass<br />
einem das Ziel entgegen kommt.“ Ich habe<br />
auf Fontane gehört und die Lektüre seiner<br />
Wanderungen beendet. Dadurch bin ich<br />
meinem Ziel, endlich etwas anderes lesen zu<br />
können, erheblich näher gekommen, ganz<br />
ohne Anstrengung. Danke,Fontane!<br />
BARBARA WREDE<br />
Das Ziel ist dir ja nicht entgegen gekommen,<br />
wirdnun jemand einwerfen, du hast ja<br />
aktiv, was in diesem Falle gleichbedeutend<br />
mit inaktiv ist, deine Pläne geändert. Doch<br />
meint nicht genau jenes auch Fontane? Man<br />
richtet es ja ein, dass einem das Ziel entgegen<br />
kommt. Und das Einrichten verlangt ja eine<br />
gewisse Entschlusskraft. Ohnedies wird einem<br />
ein Ziel nicht entgegen entgegenkommen,<br />
es entspringt ja deinem Willen. Oder?<br />
Vielleicht wenn man an der Furt eines<br />
Flusses darauf wartet, bis das Holzschüsselchen<br />
mit frischem Kuchen, welches einem die<br />
Angebetete am Oberlauf ins Wasser setzte,zu<br />
dir hin getrieben wird, statt dass man der Strömung<br />
entgegen schwimmt? Habe ich zwar so<br />
noch nicht erlebt, aber schöne Vorstellung.<br />
Doch selbst dann hast du ja gewusst, dass das<br />
Ziel kommt. Ihr müsst euch abgesprochen<br />
haben, habt den Strömungsverlauf beachtet<br />
und eine günstige Stelle gesucht, an der du gefahrlos<br />
das Holzschüsselchen mit dem frischen<br />
Kuchen dem Flusse entnehmen könntest.<br />
Ihr habt ein Schüsselchen gewählt, welches<br />
schwimmt, Holz eignet sich da besser als<br />
Krupp-Stahl, der Schwerpunkt muss beachtet<br />
werden undder Kuchen darfnicht durchnässen,<br />
der frische.<br />
Ach, frischer Kuchen! Frischer Apfelkuchen!<br />
Frischer Apfelkuchen mit Streuseln!<br />
Ichhabe, verdammt noch mal, gerade richtig<br />
Appetit auf frischen Apfelkuchen mit Streuseln,<br />
merke ich. Oh nein! Wo bekomme ich<br />
denn um diese Uhrzeit, es ist 23.24 Uhr, frischen<br />
Apfelkuchen mit Streuseln her? Setze<br />
ich mich vor einen Bäcker und zähle bis<br />
zwölf Milliarden? Vergeht sodie Zeit schneller?<br />
Kommtmir dann das Ziel entgegen? Gefühlt<br />
zumindest?<br />
UnserAutor Ahne liest jeden Sonntag20Uhr bei der Reformbühne<br />
Heim &WeltimRoten Salonder Volksbühne