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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 25 · M ittwoch, 30. Januar 2019 5 ***<br />
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Hauptstadt<br />
Kardinal-Höffner-Kreis<br />
Im gottlosen<br />
Berlin<br />
Dieser Parlamentskreis ist aus der Angst vordem gottlosen<br />
Berlin entstanden. So erzählt es auch der aktuelle<br />
Vorsitzende des Kreises, Christian Hirte. Der 42-jährige<br />
Bundestagsabgeordnete aus Thüringen war schon<br />
aus Altersgründen nicht dabei, als sich die Unionsfraktion<br />
Anfang der 90er-JahresoihreGedanken machte.Der Bundestag<br />
hatte beschlossen, dass Regierung und Parlament<br />
nach Berlin umziehen und trotz aller Verzögerungen<br />
wurde es Mitte der 90er-Jahre doch allmählich ernst. „Da<br />
hatte man wohl einige Bedenken, dass der Katholizismus<br />
an politischer Bedeutung einbüßt, wenn man vomRhein<br />
an die Spreeumzieht“, sagt Hirte. So wurde 1993 der Kardinal-Höffner-Kreis<br />
ins Leben gerufen. Dem Namensgeber<br />
verpflichtet sollten es sich die Mitglieder zur Aufgabe<br />
machen, das Gespräch zwischen Kirche, Politik und gesellschaftlichen<br />
Gruppen zu befördern. Eine gewisse gegenseitige<br />
Vergewisserung scheint als Motivation aber<br />
auch dabei gewesen zu sein.<br />
DerParlamentskreis ist den Unionsabgeordneten vorbehalten,<br />
er nimmt aber nicht nur Katholiken auf. Volker<br />
Kauder etwa, der frühereFraktionsvorsitzende,ist Protestant<br />
und dennoch seit vielen Jahren dabei. Beim Festakt<br />
im Bundestag, mit dem der 25. Geburtstag des Kreises gefeiertwurde,wies<br />
man auf beides hin, woraus man schließen<br />
könnte,dass die Ökumene doch nicht ganz so selbstverständlich<br />
ist. Am gleichen Abend fragte der Fraktionsvorsitzende<br />
Ralph Brinkhaus bei den früheren Vorsitzenden<br />
des Kreises herum, was deren schönste Erlebnisse<br />
waren. DieAntwortwar einhellig: Höhepunkte waren immer<br />
die gemeinsamen Reisen, vorallem die nach Rom.<br />
Parlamentskreis Fahrrad<br />
Ganz große<br />
Koalition<br />
Radfahrer sind offenbar doch bessere Menschen. Zumindest<br />
werden sie oft so wahrgenommen. Anders ist<br />
es nicht zu erklären, dass die Gründung des PAKFahrrad<br />
keinerlei Häme nach sich zog. Dabei entstand der Parlamentarierkreis<br />
aus der jährlichen Parlamentarischen<br />
Fahrradtour.Die wiederum wirdals politisches Statement<br />
und nicht als Freizeitvergnügen gerühmt. Als Stefan<br />
Gelbhaar (Grüne), Mathias Stein (SPD), Christian Jung<br />
(FDP) und Andreas Wagner (Linke) und Gero Storjohann<br />
(CDU) im vergangenen Herbst zur fraktionsübergreifenden<br />
Zusammenarbeit einluden, gab es<br />
große Resonanz. Das lag vermutlich auch daran, dass<br />
die Gründung gewissermaßen der Höhepunkt eines<br />
Parlamentarischen Abends war,auf dem es um<br />
das Fahrrad als Wirtschaftsfaktor ging. Eingeladen<br />
hatten dazu drei Fahrrad-Verbände, eskamen insgesamt<br />
200 Besucher. Der PAKsoll nun den Radverkehr<br />
als „sinnvolle Ergänzung im Individualverkehr“ voranbringen.<br />
Initiator Gero Storjohann ist überzeugt:„Wir haben<br />
da noch jede Menge Arbeit voruns.“<br />
Parlamentskreis Mittelstand<br />
Für die<br />
Familienfirmen<br />
Sein Kreis sei nicht mit den anderen vergleichbar, sagt<br />
Christian Freiherr von Stetten, der Vorsitzende des<br />
Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion. Er ist<br />
vermutlich der älteste aller Parlamentarier-Kreise. Inhaltlich<br />
geht es um die Förderung der familiengeführten<br />
Unternehmen in Deutschland, die nun mal andere<br />
Interessen hätten als die Großkonzerne und<br />
die Gewerkschaften. Dass im Entgelttransparenzgesetz<br />
Frauen einen Auskunftsanspruch nur<br />
haben, wenn sie in Unternehmen mit mehr<br />
als 200 Mitarbeitern arbeiten, „das hat<br />
auch mit uns zu tun“, sagt von Stetten<br />
stolz. „So stark wie jetzt waren wir noch<br />
nie.“ DieArbeit des Kreises,dem etwa<br />
die Hälfte der 246 Unionsabgeordneten<br />
angehören, wirddurch einen<br />
eigenen Verein unterstützt, der<br />
vorallem das jährliche Sommerfest<br />
organisiert. Die Mitglieder<br />
zahlen einen dreistelligen Jahresbeitrag.<br />
Worüber man<br />
mal sprechen<br />
müsste<br />
Politiker bilden gerne Netzwerke.<br />
So können sie ihren Anliegen größeres<br />
Gewicht verleihen. Wenn<br />
Bundestagsabgeordnete Mitstreiter suchen,<br />
dann gründen sie einen Parlamentarischen<br />
Arbeitskreis. Der Fantasie sind dabei keine<br />
Grenzen gesetzt.<br />
VonChristine Dankbar (Text) und Steffi Reeg(Illustration)<br />
Parlamentskreis Fluglärm<br />
Hartnäckige<br />
Initiatorinnen<br />
Der Parlamentskreis Fluglärmist gewissermaßen<br />
aus dem Parlamentskreis (PAK)<br />
Bahnlärm hervorgegangen. „Wir haben gesehen,<br />
dass man sehr gut Druck aufbauen kann, wenn<br />
man sich über die Fraktion hinweg mit so einem Thema<br />
beschäftigt“, sagt die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner.<br />
DerPAK Bahnlärmhabe dafür gesorgt, dass ein geplantes<br />
Gesetz zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen nicht<br />
länger auf die lange Bank geschoben wurde.Vor knapp einem<br />
Jahr trafen sich die Initiatorinnen vondamals erneut<br />
–Ursula Groden-Kranich von der CDU, Ulrike „Ulli“ Nissenvon<br />
derSPD und Tabea Rößner.Nun stehtdie Novelle<br />
des Fluglärmschutzgesetzes an, auf die die Politikerinnen<br />
und ihre rund 50Mitstreiter aus den anderen Fraktionen<br />
Einfluss nehmen möchten. 2018 gab es alle zwei, drei Monate<br />
Treffen mit Bürgerinitiativen, Wissenschaftlern<br />
undVertreternvon Fluggesellschaften. EinTreffen mit den<br />
Beauftragten vonFlughäfen habe noch nicht geklappt, so<br />
Rößner.Man bleibe aber hartnäckig: „Wir wollen tatsächlich<br />
etwas erreichen.“<br />
Automobiles Kulturgut<br />
Die<br />
Oldtimer-Lobby<br />
Ein Hobbynur für Wohlhabende? Mitdiesem Argwohn<br />
muss sich auch der Parlamentskreis Automobiles Kulturgut<br />
auseinandersetzen. Vielleicht zeigt sich der vor<br />
zehn Jahren gegründete fraktionsübergreifende Arbeitskreis<br />
deshalb besonders offen: Zu den Mitgliedern gehören<br />
nicht nur Parlamentarier, sondern auch Mitarbeiter<br />
der Fraktionen und des Bundestags. Themen gibt es<br />
ebenfalls genug. So geht es bei den regelmäßigen<br />
Treffen mit Experten und Enthusiasten um Problematiken<br />
wie Kältemittel in historischen Autos oder<br />
Versicherungstarife.Transparent ist hier Trumpf:<br />
Die Protokolle sind auf der Webseite des ADAC<br />
nachzulesen. Initiiert wurde der Kreis vom bekennenden<br />
Auto-Enthusiasten Andreas Scheuer<br />
(CSU), der unter anderem Hans Eichel von der<br />
SPD und Dagmar Enkelmann von<br />
den Linken an seiner Seite wusste.<br />
Parlamentskreis Pferd<br />
Das Glück<br />
der Erde<br />
Nichts als Häme gab es für die Initiatoren des Parlamentskreises<br />
Pferd, der Ende November gegründet<br />
wurde. Das Thema lud zu allerlei bösen Wortspielen ein.<br />
Da war vomAufgalopp im Bundestag die Rede und<br />
dass sich die Abgeordneten eben gerne was vom<br />
Pferd erzählen. Dennoch haben sich 38 Abgeordnete<br />
aus allen Fraktionen (außer der Linken und der<br />
AfD) gefunden, die sich wichtigen Pferdefragen<br />
widmen wollen. Die gibt es, betont der<br />
FDP-Abgeordnete Pascal Kober. Die<br />
pferdegestützte Therapie gewinne an<br />
Bedeutung. Und vor allem: „Fast<br />
vier Millionen Menschen in<br />
Deutschland reiten regelmäßig“,<br />
sagt er. „Man unterschätzt die<br />
Bedeutung des Themas.“ Er hat<br />
noch eine Zahl: Rund ein Drittel<br />
der Reiter verdienten weniger als<br />
2000 Euro brutto. Von<br />
einem Sport<br />
für Reiche<br />
könne da<br />
wohl kaum die<br />
Rede sein. Geritten<br />
wird imArbeitskreis<br />
nicht.<br />
PLATZ DER REPUBLIK<br />
Volksnähe mit<br />
Beinfreiheit<br />
Tanja Brandes<br />
über Politiker auf Reisen.<br />
Politiker leben, was den Grad ihrer<br />
Prominenz angeht, in einer Grauzone.<br />
Als richtige Promis gelten hierzulande<br />
die wenigsten Volksvertreter<br />
–selbst Angela Merkel muss mindestens<br />
beim Langlauf stürzen, damit die<br />
Bunte-Redaktion Interesse zeigt. Andererseits:<br />
Was heißt Prominenz<br />
schon in einem Land, in dem man<br />
sich nur im Urwald übergeben muss,<br />
um vomUnterhaltungsressortfast jeder<br />
<strong>Zeitung</strong> gefeiertzuwerden?<br />
Es hat ja auch sein Gutes, nicht<br />
dauernd erkannt zu werden. Gerade<br />
wenn man sich – wie die meisten<br />
Bundestagsabgeordneten –dem öffentlichen<br />
Leben qua Berufsprofil<br />
nicht entziehen kann. In den sitzungsfreien<br />
Wochen reisen die Parlamentarier<br />
durch die Republik, um<br />
das Volk nicht nur in Berlin, sondern<br />
auch im eigenen Wahlkreis zu vertreten.<br />
Viele Abgeordnete tun das übrigens<br />
mit der Bahn. Siehaben dafür sicher<br />
gute Gründe,den Umweltschutz<br />
etwa oder die Beinfreiheit. Der entscheidende<br />
Grund aber wird ein anderer<br />
sein: Anders als im Flugzeug gilt<br />
in der Bahn das Gesetz der Nichtbelästigung.<br />
Es gilt für Sänger und<br />
Dschungelcamp-Bewohner ebenso<br />
wie für Politiker.Während man schon<br />
als Privatperson kaum einen Flug von<br />
Berlin nach München überstehen<br />
kann, ohne die Lebensgeschichte seines<br />
Nachbarn zuerfahren, sitzt man<br />
im ICE wie hinter einer unsichtbaren<br />
Schutzwand. Das weiß der zum ewigen<br />
Verständnis für die Wählersorgen<br />
verpflichtete Politiker zu schätzen.<br />
Auch Politiker, die ihre aktivste<br />
Zeit hinter sich haben, nutzen die<br />
Anonymität der Bahn gern, so<br />
scheint es, umein bisschen abzuschalten.<br />
Der ehemalige Vizekanzler<br />
FranzMüntefering trug lässige Jeans,<br />
als er vor einiger Zeit am Kölner<br />
Hauptbahnhof in den Zug stieg –<br />
nicht ohne einer wartenden Dame<br />
galant den Vortritt zugewähren. Er<br />
hatte es,das sahman gleich, nicht eilig.<br />
Wenn man nicht mehr ständig<br />
herumreisen muss, kann man eine<br />
Zugfahrteben nutzen, um sich auch<br />
im übertragenen Sinne treiben zu<br />
lassen, die Kontrolle mal abzugeben.<br />
Der ehemalige Europapolitiker<br />
Daniel Cohn-Bendit etwa nimmt es<br />
mit der Entschleunigung auf Zugreisen<br />
sehr genau. Er soll sich, so berichtet<br />
ein Mitreisender, bei der Suche<br />
nach einem geeigneten Sitzplatz<br />
viel Zeit gelassen haben. Mal hier,<br />
mal da habe er sich niedergelassen,<br />
bevor er den perfekten Platz gefunden<br />
hatte.Dortmachteeressich bequem<br />
und las einen <strong>Zeitung</strong>sartikel –<br />
über Daniel Cohn-Bendit. Soviel<br />
Kontrolle muss dann doch sein. Und<br />
sei es nur, umsicherzugehen, dass<br />
man nicht in der Klatschspalte des<br />
Unterhaltungsressorts gelandet ist.<br />
Man sollte übrigens nicht glauben,<br />
die Erste Klasse der Deutschen<br />
Bahn sei ein elitärer Club.ImGegenteil<br />
werden die Fahrgäste hier alle zu<br />
Gleichen gemacht. Man weiß nie so<br />
genau, ob der Herr mit der hässlichen<br />
Krawatte ein Staatssekretär ist oder<br />
dieser Minister, dessen Namen sich<br />
niemand merken kann. Oder eben<br />
doch jemand aus dem Allianz-Vorstand.<br />
Als mitreisender Politiker kann<br />
mansoganzentspanntVolksnähe demonstrieren.<br />
Zumgehobenen Mittelstand<br />
zumal. Friedrich Merz jedenfalls<br />
wäre hier ganz gut aufgehoben.<br />
Aber der hat jaein Privatflugzeug. In<br />
demersich bestimmt andauernd mit<br />
dem Co-Piloten unterhalten muss.