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22 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 25 · M ittwoch, 3 0. Januar 2019<br />
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Feuilleton<br />
Wie jedes Jahr in der<br />
letzten Januarwoche<br />
ist Nicola Lubitsch in<br />
Berlin. Seit 25 Jahren<br />
begeht sie den Geburtstag ihres Vaters,<br />
des Meisterregisseurs Ernst<br />
Lubitsch, in dessen Heimatstadt. Sie<br />
selbst ist im Oktober 80 Jahre alt geworden,<br />
eine kleine,drahtige und offenbar<br />
mit dem Witz und der Herzlichkeit<br />
ihres Vaters gesegnete Person.<br />
Sieempfängt uns in einem kleinen<br />
Hotel in Mitte, unweit des<br />
Elternhauses von Ernst Lubitsch. In<br />
dessen Namen wirdheute Abend im<br />
Babylon der „Lubitsch-Preis“ für die<br />
beste komödiantische Leistung im<br />
deutschen Film vergeben. Er geht an<br />
Lars Eidinger und Bjarne Mädel für<br />
den Film „25 km/h.“ Stargast des<br />
Abends ist jedoch Nicola Lubitsch.<br />
Frau Lubitsch, offenbar ist es Ihnen<br />
ein Anliegen, den Geburtstag Ihres<br />
Vaters am 29. Januar in dessen Heimatstadt<br />
zu begehen.<br />
Ichmuss mich da vorallem beiTimothy<br />
Grossman vom Babylon bedanken,<br />
der mich jedes Jahr nach<br />
Berlin holt, wenn er den Geburtstag<br />
meines Vaters mit einem Lubitsch-<br />
Special feiert. Das erste Mal war ich<br />
noch auf Einladung von Gunter Rometsch<br />
hier, der damals das „Notausgang“-Kino<br />
in Schöneberg betrieb,einem<br />
passionierten Lubitsch-<br />
Fan, der für sein Kino ja auch die hölzerne<br />
Lubitsch-Figur hatte<br />
anfertigen lassen, die jetzt ihren Ehrenplatz<br />
im Babylon hat. Das muss<br />
kurz nach dem Mauerfall gewesen<br />
sein, denn in Ost-Berlin zahlte man<br />
noch mit Ostmark. Und ja, ich fühle<br />
mich hier inzwischen sehr zu Hause,<br />
und nirgendwo anders fühle ich<br />
mich meinem Vater so verbunden.<br />
Gibt es ganz bestimmte Orte, die Sie<br />
besuchen, wenn SieinBerlin sind?<br />
Ich wohne immer in einem kleinen<br />
Hotel in der Tieckstraße –das ist<br />
nicht weit von der Gegend, in der<br />
mein Vater aufwuchs. Sein Elternhaus<br />
am Fußder Schönhauser Allee,<br />
Hausnummer 183, ist ja vom Krieg<br />
verschont geblieben. Die Lubitschs<br />
wohnten im zweiten Stock, unten im<br />
Haus hatte sein Vater eine Mantelschneiderei.<br />
Als vor Jahren eine Dokumentation<br />
gedreht wurde, durfte<br />
ich auch mal rein. DieLeute,die dort<br />
inzwischen wohnten, verbrachten<br />
zufällig ihren letzten Taginder Wohnung,<br />
bevor sie nach langen Jahren<br />
fortziehen mussten. Vondaher war<br />
es doppelt emotional.<br />
Ihr Vater war ja ein Nesthocker.<br />
Ja,erwohnte bis er 27 war bei seinen<br />
Eltern. Erst 1919, nachdem„Madame<br />
Dubarry“ solch ein Erfolg<br />
wurde, zog er nach Schöneberg in<br />
die Ansbacher Straße.<br />
Wo finden sich noch Spuren von<br />
Lubitsch in Berlin?<br />
Ich besuche fast jedes Mal das<br />
Grab seiner Eltern, meiner Großeltern,<br />
inWeißensee.Als ich zum ersten<br />
Mal dort war, war es komplett<br />
verwildert, meine Tochter war dabei,<br />
es hat in Strömen geregnet, und wir<br />
konnten es lange nicht finden, weil<br />
die Grabsteininschrift total verwittert<br />
war. Als wir es dann doch fanden,<br />
war es dennoch ein extrem<br />
emotionaler Moment. Sie müssen<br />
wissen, dass nicht nur meine Tochter<br />
dabei war,sondernauch meine Cousine,<br />
die nicht viel jünger war als<br />
mein Vater –sie hatte ihm seinerzeit<br />
noch das Lunchpaket ins Deutsche<br />
Theater gebracht, als er da unter Max<br />
Reinhardt seine ersten Schritte auf<br />
der Bühne tat. Sie ist inzwischen gestorben,<br />
aber sie hat wenigstens<br />
noch einmal das Grab von Simon<br />
und Anna Lubitsch gesehen.<br />
Wiegeht es dem Grab heute?<br />
Ich habe es restaurieren lassen.<br />
und ich hatte zum Glück einige nette<br />
Menschen, die mir dabei durch die<br />
Bürokratie geholfen haben. Sieglauben<br />
nicht, was so eine schlichte<br />
Grabrenovierung für einen Papierkrieg<br />
erfordert.<br />
Doch.<br />
Ja,das ist sehr deutsch.<br />
Warum gibt es noch keine Lubitschstraße<br />
in Berlin?<br />
Dasfrage ich Sie.<br />
Ichfürchte, weil er keine Frau war.<br />
Es gab da schon Anläufe, von<br />
Gunter Rometsch, später vonTimothy<br />
Grossman, wenigstens einen Teil<br />
der Torstraße in Lubitschstraße umzubenennen.<br />
Oder einen Abschnitt<br />
der Weydingerstraße zwischen<br />
Volksbühne und Rosa-Luxemburg-<br />
Straße.Aber es geht nicht wegen dieser<br />
absurden Regel, dass Männernso<br />
lange keine Straßennamen zustehen,<br />
bis ein paritätischer Stand erreicht<br />
ist. Ich werde es also nie erleben.<br />
Wassoll das? Wermacht so was?<br />
Ernst Lubitsch. Ein Sohn dieser<br />
Stadt. Aber eines Straßennamens<br />
nicht würdig, weil er das falsche Geschlecht<br />
hatte? Zu Hause in Los Angeles<br />
kann ich das keinem erklären.<br />
Haben Sie denn einen Lieblingsfilm<br />
vonIhrem Vater?<br />
„Ninotschka“, mit Abstand. Ich<br />
glaube, ich habe den Film fünfzig<br />
Malgesehen. Ichmag alles daran, die<br />
Garbo, die Musik –überhaupt wie<br />
mein Vater die Musik eingesetzt hat:<br />
Nie, um dir damit etwas in den Kopf<br />
zu hämmern, sondern um Szenen<br />
Flair zu geben, sie musikalisch so<br />
preziös auszustatten, wie er sie vorher<br />
mit anderen Dingen ausgestattet<br />
hat. Als ich den Film zum ersten Mal<br />
in Berlin gesehen habe,war auch Elisabeth<br />
Trautmann-Heymann da, die<br />
Tochter von Werner Heymann, der<br />
die Musik für „Ninotschka“ komponiert<br />
hatte. Ich konnte das gar nicht<br />
Geschichten aus<br />
dem Lubitschland<br />
Nicola Lubitsch ist heute der Ehrengast bei der Vergabe des nach ihrem Vater<br />
benannten Filmpreises. Ein Gespräch über ihre Kindheitserinnerungen, den<br />
legendären Lubitsch-Touch und die deutsche Bürokratie<br />
„Die Filme, die heute gedreht werden, verkaufen den Zuschauer für dumm“: Nicola Lubitsch in der Lounge des Hotels Honigmond in Mitte.<br />
glauben. Ich meine, seit meiner<br />
Kindheit liebe ich diese Musik, und<br />
jetzt steht da die Tochter dieses Genies<br />
vor mir. Heute ist sie eine meiner<br />
besten Freundinnen.<br />
Sie haben über den Film noch eine<br />
andereFreundin gefunden.<br />
Ja, Laura von Wangenheim, die<br />
Enkelin von Gustav von Wangenheim.<br />
Wissen Sie, mein Vater fuhr<br />
seinerzeit zur Vorbereitung für „Ninotschka“<br />
nach Moskau, weil er sich<br />
Anregungen holen wollte.Erfand da<br />
natürlich wenig. Das einzige Highlight<br />
war ein Abendessen bei Gustav<br />
von Wangenheim, einem Veteranen<br />
seiner frühen Filme, der während<br />
der NS-Zeit nach Moskau emigriert<br />
war. Und dieses Setting schaffte es<br />
dann in den Film. Die Szene, inder<br />
ZUR PERSON<br />
Berühmte Eltern: Nicola Lubitsch wurde am 27. Oktober 1938 in LosAngeles geboren. Sie ist<br />
das einzigeKind des Regisseurs Ernst Lubitsch (1892–1947). Ihre Mutter war die englische<br />
Schauspielerin Vivian Gaye (1907–2010).<br />
Beruf und Erbe: Sie besuchte zunächst eine Schauspielschule, spielte kleine Rollen auf dem<br />
Broadwayund studierte an der Comédie-Française in Paris. Später arbeitete sie als Rundfunkproduzentin.<br />
Sie ist gern gesehener Gast bei Lubitsch-Festivals und -Retrospektiven auf der<br />
ganzen Welt. Nicola Lubitsch lebt in Los Angeles und hat seit 2017 einen deutschen Pass.<br />
die Sowjet-Gesandten Ninotschka<br />
besuchen, jeder bringt sein Ei mit,<br />
und die Garbo rührtdaraus ein Omelette<br />
–das hat er von diesem Abend<br />
übernommen. Laura zeigte mir ein<br />
Bild der Moskauer Wohnung ihrer<br />
Großeltern, es ist eins zu eins wie im<br />
Film. Ichlernte sie kennen, als sie für<br />
ein Buch über ihre Großmutter recherchierte.<br />
Wo waren Sie, als „Ninotschka“ gedreht<br />
wurde?<br />
Ich war knapp ein Jahr alt und in<br />
England. Meine Mutter Vivian Gaye<br />
war Engländerin, müssen Siewissen.<br />
Meine Rückfahrt nach Amerika war<br />
für den 2. September 1939 gebucht,<br />
auf der „Athenia“. Meine Mutter<br />
brachte mich und mein deutsches<br />
Kindermädchen Schwester Lina auf<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
das Schiff, damit wir noch rauskommen,<br />
bevor der Krieg losbricht. Aber<br />
am 3. September wurde das Schiff<br />
voneinem deutschen U-Boot torpediert.<br />
Schwester Lina konnte die<br />
schon halb unter Wasser stehende<br />
Kabinentür aufstemmen, nahm<br />
mich auf die Schultern und kämpfte<br />
sich nach oben. Und sie blieb bei<br />
mir, bis ich geborgen war. Ich verdanke<br />
ihr mein Leben.<br />
Waswurde aus Schwester Lina?<br />
Mein Vater kaufte ihr einen<br />
Candy-Shop. Aber offenbar wurde<br />
sie damit nicht glücklich, denn später<br />
arbeitete sie wieder als Nanny,für<br />
den Schauspieler John Payne. Das<br />
erfuhr ich aber erst viel später von<br />
dessen Tochter Julie Payne. Sie erzählte<br />
mir auch die Geschichte von<br />
der „Athenia“, ich selbst hatte ja<br />
keine Erinnerung daran.<br />
Welche Erinnerungen haben Sie an<br />
Ihren Vater?<br />
Ich sehe ihn am Klavier sitzen. Er<br />
konnte keine Noten lesen, und wir<br />
konnten die berühmtesten Musiker<br />
zu Gast haben, Horowitz, Rubinstein,<br />
Iturbi, aber er spielte trotzdem<br />
ununterbrochen. Wenn wir alleine<br />
waren, setzte er mich oft neben sich<br />
auf den Klavierhocker,klimperte vor<br />
sich hin und erzählte mir Geschichten<br />
dazu, die er sich selbst ausdachte,<br />
Geschichten aus dem Lubitschland.<br />
Das Klavier hatte ihm<br />
übrigens Jeanette MacDonald zur<br />
Hochzeit geschenkt. Ich habe es immer<br />
noch.<br />
Es muss großartig gewesen sein, in<br />
Hollywood in den 40er-Jahren aufzuwachsen.<br />
Meine Eltern ließen sich leider<br />
scheiden, als ich vier war, und ich<br />
lebte mit meiner Mutter in NewYork.<br />
Aber in den Ferien, zu Weihnachten<br />
und Osternwar ich bei meinemVater<br />
in Los Angeles. Victoria, die Tochter<br />
von Billy Wilder, war dort meine<br />
beste Freundin.<br />
Wie würden Sie den vielzitierten<br />
Lubitsch-Touch definieren, der die<br />
Filme Ihres Vaters auszeichnete?<br />
Lassen Sie esmich so sagen: Ein<br />
Theater hat drei Wände, ja? Der<br />
Lubitsch-Touch ist die vierte Wand.<br />
Im Grunde sind es Sie selbst: Ihre<br />
Vorstellungskraft, Ihre Intelligenz.<br />
Die Devise meines Vaters war: Man<br />
muss nicht alles zeigen, sondern<br />
kann manches auch der Fantasie des<br />
Zuschauers überlassen, und das<br />
wirkt im Zweifelsfall viel nachhaltiger.Die<br />
Pointe wirdIhnen nicht eingehämmert,<br />
sie entsteht erst in IhremKopf.<br />
Geben Sieein Beispiel.<br />
Wenn Sie zum Beispiel einen fetten<br />
König haben, der aus dem Boudoir<br />
seiner Frau kommt. Dann will<br />
er seinen Gürtel umschnallen, aber<br />
der ist zu eng. Schon ist klar, esist<br />
nicht seiner, und es ist auch klar,<br />
was er gerade getrieben hat.<br />
Lubitsch wäre nie auf die Idee gekommen,<br />
das zu zeigen.<br />
Die Kunst des Weglassens ist im Hollywoodkino<br />
vonheute nicht sehr verbreitet.<br />
DieFilme,die heute gedreht werden,<br />
machen das genaue Gegenteil:<br />
Siezeigen alles,walzen alles aus,lassen<br />
keine Frage offen, damit noch<br />
der Letzte kapiert, was Sache ist –sie<br />
verkaufen den Zuschauer für dumm.<br />
Lubitsch ging grundsätzlich davon<br />
aus, dass der Zuschauer intelligent<br />
und des Denkens fähig ist.<br />
Sie sind seit kurzem im Besitz der<br />
deutschen Staatsbürgerschaft ...<br />
... ich durfte sogar schon wählen.<br />
Für die Tochter eines von den Nazis<br />
ausgebürgerten Juden ist das ein echtes<br />
Statement.<br />
Ich fühle mich überhaupt nicht<br />
jüdisch, und auch meinVater war nie<br />
bitter. Erwar sicher bitter auf Hitler,<br />
aber Deutschland und den Deutschen<br />
fühlte er sich bis zu seinem<br />
Tod sehr verbunden. Es gab deutsches<br />
Essen zu Hause und zu Weihnachten<br />
einen Baumkuchen und<br />
auch immer wieder deutsche<br />
Abende, an denen meine Mutter<br />
Dirndl trug. Von daher ist das für<br />
mich jetzt schon so eine Art Nach-<br />
Hause-Kommen, und ich fühle mich<br />
auch sehr zu Hause hier.Und ich bin<br />
derzeit viel stolzer auf Deutschland,<br />
als ich es auf Amerika bin.<br />
Achja?<br />
Ich war in Berlin am Tagvon Donald<br />
Trumps Inauguration, und es<br />
überkam mich so ein Gefühl vonAbscheu.<br />
Da habe ich das beschlossen.<br />
Timothy Grossman hatte mich<br />
schon eine Weile zuvor darauf aufmerksam<br />
gemacht, dass ich das<br />
Recht auf einen deutschen Pass<br />
habe.<br />
Beobachten Sie denn die politische<br />
Situation in Deutschland?<br />
Ja, und ich mag Angela Merkel.<br />
Ichweiß, dass sie hier so ihreSchwierigkeiten<br />
hat, aber ich halte sie für integer.Ineiner<br />
Welt, die auseinanderbricht,<br />
in der in so vielen Ländern<br />
Nationalisten und Rechtspopulisten<br />
am Ruder sind, scheint sie geradezu<br />
wie ein LeuchtturmanVernunft und<br />
Anstand. Ichfinde es schade,dass sie<br />
sich zurückziehen will.<br />
Waswürde Ernst Lubitsch tun, wenn<br />
er noch leben würde?<br />
Er würde eine Komödie über<br />
Trump drehen: diese Vulgarität, das<br />
schlechte Benehmen, das Vokabular<br />
eines Kindergartenkindes.Der ganze<br />
Mann ist ja eigentlich schon einWitz.<br />
DasGespräch führte Christian Seidl.