Berliner Zeitung 13.05.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 109 · M ontag, 13. Mai 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
Hollywood-Star<br />
Will Smith fährt<br />
mit dem Trabant<br />
Seite 12<br />
Kriminalitäts-Serie –Die gefühlte Unsicherheit der Bürger wächst Seite 12<br />
Tempelhofer Feld –Makler Dirk Wohltorf über die Immobilienbranche Seite 14<br />
Stadtbild<br />
Sofas und<br />
kleine Hunde<br />
BarbaraWeitzel<br />
sucht die Nummer 13 und<br />
vermisst Frau Navi.<br />
Friedrichshain. Hier bin ich nicht<br />
oft und muss mich sehr konzentrieren,<br />
die Hausnummer 13 zu finden.<br />
An vielen Häusern fehlen die<br />
Nummern, oder man muss sie suchen.<br />
Ichhab mir den WegzuHause<br />
notiert, aber den Zettel vergessen.<br />
Dabei sag ich den Kindernimmer,sie<br />
sollen alles aufschreiben. Weil es das<br />
Auswendiglernen in großen Teilen ersetzt.<br />
Dereigentliche Sinn vonSpickzetteln<br />
ist doch, dass man sie nach<br />
der Anfertigung nicht mehr braucht.<br />
Diesen einen Zettel bräuchte ich<br />
jetzt aber. Und Augen an den Knien.<br />
Denn während mein Blick nach der<br />
Nummer 13 schweift, falle ich beinahe<br />
über ein Sofa. Ein typisches<br />
<strong>Berliner</strong> Straßensofa. Zwei Meter<br />
lang, hüfthoch, schmutzig-beige,<br />
mit Zettel drauf: „Zum Mitnehmen.“<br />
Ich umrunde das Möbel mit<br />
Schwung und laufe geradewegs in ein<br />
händchenhaltendes Paar. Sie lösen<br />
ihreHände voneinander,bevor mein<br />
Bauch es tut, Ichmurmele:„Sorry.“<br />
„Verzeihung“ oder „Entschuldigung“<br />
finde ich eigentlich schöner,<br />
klingt nicht so hingeworfen, aber<br />
schließlich befinde ich mich im Ausgehsektor,<br />
unweit der Simon-Dach-<br />
Straße.Die habe ich gemieden, denn<br />
da läuft man nicht nur in Paare, sondern<br />
muss es mit Viererketten aufnehmen.<br />
Zwischen denen und der<br />
Außenbestuhlung der lückenlosen<br />
Restaurantkette ist der Bürgersteig<br />
schmaler als der Mittelgang eines<br />
ICE. Da muss kein Sofa im Spiel sein,<br />
um sich Feinde zu machen.<br />
Apropos Feindemachen. Der<br />
winzige Hund, auf den ich einige<br />
Meter weiter fast trete,hat sechs Geschwister,<br />
glaube ich zumindest,<br />
denn sie sehen sich sehr ähnlich.<br />
Sehr klein und Rosettenmeerschweinchen-Frisur.<br />
Sieben Hündchen!<br />
Ob es überhaupt aufgefallen<br />
wäre, wenn ich einen …?<br />
Stopp.13! Aber bin ich in der richtigen<br />
Straße? Die Zahl fehlt nicht,<br />
wohl aber dieVerabredung, die schon<br />
da sein müsste. Und irgendwie der<br />
Navi aus dem Auto meiner Mutter.<br />
Die Navi. Sie ist eine Frau und ich<br />
hätte nicht gedacht, dass ich sie einmal<br />
vermissen würde. Sie nervt<br />
schnell, aber sie weiß immer alles.<br />
Wege, Hindernisse, Ziele. Letztere<br />
kennt sie besser als man selbst.<br />
Wenn man sich spontan umentscheidet,<br />
wird sie schmallippig wie<br />
eine französische Ballettlehrerin.<br />
Dann sagt sie: „Sie fahren in die falsche<br />
Richtung.“ Schneidend. Dabei<br />
kann sie nicht einmal französisch.<br />
Daskam raus,als sie mal die Romain-<br />
Rolland-Straße ansagen musste. Das<br />
klang so lustig, dass ich versucht war,<br />
noch ein paar MalimKreis zu fahren.<br />
Ihre Rache wärevermutlich furchtbar<br />
gewesen. Und der Spaß mit „sorry“<br />
nicht wieder gut zu machen. Denn<br />
Englisch kann sie sicher auch nicht.<br />
Vorder Nummer 13 steht ebenfalls<br />
ein Sofa. Dunkelgrün. Ich könnte<br />
mich kurzsetzen und überlegen, was<br />
ich tue, wenn die Verabredung nicht<br />
kommt, lägen nicht Bretter und Kartons<br />
darauf. Auf einem steht „Overkill“.<br />
Wieder denke ich an Frau Navi,<br />
die das nicht lesen könnte, rufe die<br />
Verabredung an, die nicht ans Telefon<br />
geht und denke: Hätte ich doch wenigstens<br />
das Beigefarbene mitgenommen.<br />
Ortder Feier:Auf dem Tempelhofer Feld landeten und starteten während der Luftbrückedie Flugzeuge zeitweise im 90-Sekunden-Takt. CAMCOP MEDIA/ANDREAS KLUG (2)<br />
Für die Helden der Luftbrücke<br />
Mit einem großen Fest auf dem Tempelhofer Feld feiert Berlin das Ende der Blockade vor 70 Jahren<br />
VonAnnika Leister<br />
Charlie Waite streckt den<br />
Kopf in die Höhe und atmet<br />
die Luft am Tempelhofer<br />
Feld tief ein. Während<br />
sich Dutzende Veteranen und<br />
Soldaten der britischen und amerikanischen<br />
Armee, Politiker und Medienvertreter<br />
am Luftbrückendenkmal<br />
versammeln, um das Ende der<br />
Berlin-Blockade am 12. Mai 1949 zu<br />
feiern, denken Waite und seine<br />
Schwestern an ihren Vater: „Hier<br />
fühlen wir uns ihm besonders nah.“<br />
Der Vater dieser Briten war Reginald<br />
„Rex“ Newnham Waite, Offizier<br />
und von1947 bis 1949 Chef der britischen<br />
Luftwaffenverbände in Berlin.<br />
Er ist einer der geistigen Väter der<br />
Luftbrücke,die mehr als zwei Millionen<br />
Leute unter der Total-Blockade<br />
von West-Berlin durch die Sowjetunion<br />
vordem Hungertod rettete.In<br />
Tempelhof schmiedete er die Pläne<br />
zur Versorgung der Bevölkerung, die<br />
seine Vorgesetzten zunächst als unmöglich<br />
umsetzbar abwiesen. Doch<br />
Waite plante weiter und kämpfte –<br />
bis die Vorgesetzten einem der größten<br />
humanitären Projekte der Geschichte<br />
zustimmten.<br />
Insgesamt 280 000 Flüge<br />
Eine logistische Meisterleistung, die<br />
eine direkte Konfrontation mit der<br />
Sowjetunion verhinderte. Inelf Monaten<br />
flogen Briten, Franzosen und<br />
Amerikaner 280 000 Flüge und versorgten<br />
die abgeschottete Bevölkerung<br />
mit mehr als zwei Millionen<br />
Tonnen Fracht: Lebensmittel, Kohle,<br />
Medikamente,Treibstoff.<br />
Was Rex Waite dazu antrieb, die<br />
Deutschen zu retten, die Jahrezuvor<br />
den Zweiten Weltkrieg entfesselten?<br />
„Er sah nicht Feinde in ihnen, sondern<br />
Menschen“, sagt die 75-jährige<br />
Romilly Waite. Den Kindern habe er<br />
nie erzählt, was er getan hat. Doch in<br />
alten Briefen haben sie seine Schilderungen<br />
gelesen: Wie die <strong>Berliner</strong><br />
litten und hungerten, wie Kinder mit<br />
blaugefrorenen Füßen herumliefen,<br />
weil es keine Schuhe gab. Das habe<br />
ihn entsetzt. „Er war Humanist, er<br />
wollte helfen. Und erschrieb, essei<br />
der beste Job, den er je hatte.“<br />
Wie wichtig die Arbeit von Waite<br />
und den Westalliierten für die Berli-<br />
Sind stolz auf ihren Vater:Charlie Waite (70), Romilly Waite (75), Joanna Sullan (73).<br />
Care-Paket: Bei der Luftbrückekamen zwei Millionen Tonnen Güter. GETTY IMAGES/CARSTEN KOALL<br />
US-Pilot Gail Halvorsen (98) mit einer<br />
langjährigen Freundin. DPA/WOLFGANG KUMM<br />
Gedenken am Luftbrückendenkmal, auch<br />
„Hungerkralle“ genannt. AFP/JOHN MACDOUGALL<br />
ner war,davon kann KarinRohde berichten.<br />
Die 82-jährige ist nahe des<br />
Flughafens aufgewachsen, zum Fest<br />
trägt sie nun einen hellblauen Mantel.<br />
„Es heißt immer, Süßigkeiten<br />
seien vom Himmel gefallen“, sagt<br />
sie. „Davon haben wir nichts gewusst.“<br />
Dieehemaligen Bomber,die<br />
zu Hilfsflugzeugen wurden, hätten<br />
viel Wichtigeres geliefert: Brot, getrocknete<br />
Kartoffeln und Möhren,<br />
Trockenmilch –den Stoff zum Überleben,<br />
gerade so.<br />
„Der Klang der Skymasters wurde<br />
zum Klang der Hoffnung“, sagt Berlins<br />
Regierender Bürgermeister Michael<br />
Müller (SPD) in einer bewegenden<br />
Rede am Luftbrückendenkmal,<br />
der sogenannten Hungerkralle.<br />
Diese Hilfe sei alles andereals selbstverständlich<br />
gewesen. Und noch<br />
heute sei ihr unvergleichlicher Einsatz<br />
ein Symbol für Humanität, Solidarität<br />
über Grenzen hinweg und gemeinsamen<br />
Kampf für Demokratie<br />
und Freiheit. Denversammelten Veteranen<br />
dankt der Bürgermeister auf<br />
Englisch: „Ich versichere Ihnen, die<br />
<strong>Berliner</strong> werden niemals vergessen,<br />
was Siefür siegetan haben.“<br />
In Vergessenheitgeraten<br />
Auf dem Tempelhofer Feld erinnern<br />
an diesem TagFlugzeuge,Fahrzeuge,<br />
Fotos und Videos an das „Wunder<br />
der Solidarität“, wie Justizministerin<br />
Katarina Barley (SPD) es nennt. Die<br />
letzten Zeitzeugen sind gekommen,<br />
um zu berichten: DerUS-amerikanische<br />
Veteran Gail Halvorsen sitzt in<br />
Uniform auf seinem Rollator und<br />
wird umringt von Jugendlichen, die<br />
wissen wollen: Warum habt ihr den<br />
Deutschen geholfen? Der 98-Jährige<br />
lacht: „Weil man manchmal einfach<br />
das Richtige tun muss.“<br />
Für die Geschwister Waite sind<br />
solche Gedenkveranstaltungen extrem<br />
wichtig. In ihrer Heimat sei ihr<br />
Vater vergessen, erzählen sie. Auch<br />
an die Luftbrücke und den Beitrag<br />
der Briten erinnere sich kaum jemand.<br />
IhrVater hat sich daheim nie<br />
damit gebrüstete, hat nicht einmal<br />
davon erzählte, was er geleistet hat,<br />
sondern hat lieber Gemüse im Garten<br />
gezogen. Und so erfuhren die<br />
drei erst vor 20Jahren bei einer Gedenkveranstaltung<br />
in Berlin, was sie<br />
heute wissen: „Erwar ein Held.“<br />
NACHRICHTEN<br />
ADFC gedenkt<br />
verunglückten Radfahrern<br />
DerAllgemeine Deutsche Fahrrad-<br />
Club Berlin (ADFC) ruft zum„Ride of<br />
Silence“ zum Gedenken an verunglückte<br />
Radfahrer auf. Am kommenden<br />
Mittwoch werden rund 1500<br />
Radfahrer zu der Schweigefahrtin<br />
heller Kleidung erwartet. DieTour<br />
startet um 19 UhramBrandenburger<br />
Torund führtrund zehn Kilometer<br />
durch Mitte,Friedrichshain und<br />
Prenzlauer Berg –vorbei an mehrerenADFC-Geisterrädern,<br />
die an den<br />
Unfallorten an tödlich verunglückte<br />
Radfahrer erinnern. (dpa)<br />
Staatsschutz ermittelt<br />
nach Palästina-Fest<br />
Nach Übergriffen auf einem palästinensischen<br />
Fest am Sonnabend vor<br />
einer Woche in Neukölln ermittelt<br />
der Staatsschutz auch wegen eines<br />
Nazi-Symbols.Auf dem Festgelände<br />
soll ein auf Israel bezogenes Plakat<br />
mit einer SS-Rune platziertworden<br />
sein, teilte die Polizei am Sonntag<br />
mit. Zudem werdeauch wegen der<br />
Angriffe mit mehreren Verletzten ermittelt.<br />
Am Rande des Festes auf<br />
dem Hermannplatz hatte ein 26-jähriger<br />
Mann nach Polizeiangaben<br />
„Pro-Israel-Rufe“ skandiert. Daraufhin<br />
habe es „einen Tumult gegeben“,<br />
bei dem zwei Teilnehmer der Veranstaltung<br />
und der 26-Jährige verletzt<br />
worden seien. (dpa)<br />
Unterbrechung der<br />
Ringbahn zu Ende<br />
Aufder <strong>Berliner</strong> Ringbahn sollen<br />
nach wochenlangen Bauarbeiten<br />
vonMontagmorgen an wieder S-<br />
Bahnen zwischen den Stationen<br />
Schönhauser Allee und Greifswalder<br />
Straße fahren. „Die Arbeiten liegen<br />
im Plan. Ab Betriebsbeginn um circa<br />
4Uhr startet wieder der reguläreVerkehr“,<br />
sagte eine Bahnsprecherin am<br />
Sonntag. Fahrgäste der Linien S41,<br />
S42, S8 und S85 müssen dann nicht<br />
mehr in Ersatzbusse umsteigen. Der<br />
Streckenabschnitt ist seit Anfang<br />
Maiinbeide Richtungen für den<br />
Zugverkehr gesperrt. DieBahn hat<br />
nach eigenen Angaben Gleise ausgetauscht,<br />
an Weichen gearbeitet und<br />
eine Mauer saniert. (dpa)<br />
Überraschung für<br />
die Eisbären-Mutter<br />
Eisbärin Tonja, die sich stets rührend<br />
um ihr Bärchen Hertha kümmert,<br />
hat am Sonntag einen extraStrauß<br />
zum Muttertag bekommen –mit Äpfeln<br />
an den Zweigen. Beiden EisbärenimTierparkkann<br />
man fast täglich<br />
sehen, „wie starkMutterliebe<br />
auch in der Natur sein kann“, sagte<br />
Direktor Andreas Knieriem. DieBesucher<br />
hat’s auch gefreut. (BLZ)<br />
Ist gesund und bringt Abwechslung ins<br />
Gehege: Ein Strauß für Eisbärin Tonja. DPA