reisen EXCLUSIV - Sommer 2019
Die große Hotel-Ausgabe * 43 Lieblinghotels * Schiffsreisen – Die Welt von der Reling entdecken * New York City * Neuseeland * Service: Flugangst * Lifestyle: Kochbücher, Sonnenbrillen, Bikini Love * Gewinnspiele
Die große Hotel-Ausgabe
* 43 Lieblinghotels
* Schiffsreisen – Die Welt von der Reling entdecken
* New York City
* Neuseeland
* Service: Flugangst
* Lifestyle: Kochbücher, Sonnenbrillen, Bikini Love
* Gewinnspiele
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SERVICE<br />
DIE ERSTEN TRÄNEN FLIESSEN,<br />
BEVOR ES ÜBERHAUPT LOSGEHT …<br />
Ich habe mich angemeldet zum »Seminar für entspanntes Fliegen« bei<br />
flugangst.de, Texter-Millott in Zusammenarbeit mit Lufthansa, und sitze<br />
nun mit acht weiteren Teilnehmern und Teilnehmerinnen im Kreis.<br />
Zu unseren Füßen liegt ein Dankes-Postkarten-Meer ehemaliger Teilnehmer<br />
– Urlaubsgrüße, die jeder in unserer Gruppe bewundert.<br />
Wir sind sechs Frauen und drei Männer. Vier wollen im Job den<br />
nächsten Schritt gehen und müssen sich ihren Flugängsten stellen.<br />
Bei drei anderen ist es die Liebe, die Flügel verleihen soll.<br />
Zwei der Anwesenden sind noch niemals geflogen. Die ersten<br />
Tränen fließen bereits, bevor wir uns mit Namen kennen, eine Art<br />
Vertrauensbeweis für Verbündete in gemeinsamer Angst.<br />
Hier und heute ist nichts peinlich. Wir packen unsere Ängste gemeinsam<br />
auf den Tisch und in Worte und stellen schnell fest, dass<br />
es nicht nur Turbulenzen sind, die uns mächtig aus dem Gleichgewicht<br />
bringen. Eine Teilnehmerin befürchtet Panikattacken high in<br />
the sky, einem anderen raubt es buchstäblich den Atem. Kontrollverlust,<br />
Unverständnis, Nichtwissen. Wie um alles in der Welt kann<br />
so ein Riesenvogel fliegen? 176 Tonnen getragen von Luft?<br />
WISSEN IST MACHT<br />
Lufthansa-Flugkapitän Matthias Winkelmann erläutert uns mit<br />
einfachen Skizzen simple physikalische Gesetze von Luftbewegungen,<br />
Auftrieb und Schubkraft. Wir lernen, warum ein Flugzeug<br />
fliegen kann. Und staunen. Wir gehen gemeinsam den Flugablauf<br />
und die einhergehenden Kabinengeräusche bei Start, Steigflug<br />
und Sinkflug durch. Wir sind überrascht, dass etwa ein A320 mit<br />
nur einem Triebwerk fliegen kann. Ich hatte ja keine Ahnung.<br />
Um ein besseres Gefühl zu bekommen, besichtigen wir eine<br />
Maschine am Boden. Wir dürfen uns alles anschauen und sogar<br />
im Cockpit Platz nehmen.<br />
Doch bereits das Betreten der Maschine löst bei einigen der Seminaristen<br />
Unwohlsein aus. Geräusche schrauben den Stresspegel in unbekannte<br />
Galaxien. Der typische Kabinengeruch und die Enge machen<br />
zu schaffen, und im Kopfkino laufen Endzeitszenarien in Cinemascope.<br />
Schon rast der Puls, die Hände schwitzen. Der Teufelskreis der Angst<br />
nimmt seinen Lauf. Dabei haben wir noch nicht mal abgehoben.<br />
DER ANGST EINEN NAMEN GEBEN<br />
Die leitende Psychologin Dr. Del Fabro-Güntsch ist eine zierliche<br />
und feine Person, an der sich unsere Angst jedoch schnell<br />
die Zähne ausbeißen wird, denn Frau Fabro-Güntsch hat ein<br />
paar Techniken mitgebracht, mit denen wir unseren Flugängsten<br />
entgegentreten können. Wir lernen, uns selbst zu beruhigen, indem<br />
wir richtig atmen. Feuerwehrübungen, also Anleitungen zu<br />
progressiver Muskelentspannung, sind bewehrte Angstbewältigungsstrategien.<br />
Innere Dialoge und das neue Fachwissen helfen,<br />
positives Fokussieren auf ein Traumziel ebenso. Die Angst,<br />
so erklärt Dr. Del Fabro-Güntsch, ist eine kleine Primadonna, die<br />
uns beherrschen will. Sie wird nicht freiwillig und plötzlich auf<br />
Nimmerwiedersehen verschwinden. Aber wir können sie an die<br />
Leine nehmen.<br />
MIT DER PRIMADONNA NACH BORA-BORA<br />
Am Nachmittag des zweiten und letzten Tages unseres Seminars<br />
ist die Nervosität spürbar. Der innerdeutsche Abschluss-Hin- und<br />
Rückflug steht an. Die Primadonna hat es sich bei den meisten<br />
der Teilnehmer auf den Schultern bequem gemacht und flüstert<br />
unaufhörlich Worte wie: »Absturz, Triebwerkausfall, Turbulenzen<br />
…« in die Ohren. Frau Dr. Del Fabro-Güntsch atmet mit uns und<br />
erinnert an die Übungen der progressiven Muskelentspannung.<br />
Tränen fließen, Zweifel kommen hoch.<br />
Dennoch gehen wir allesamt in Begleitung zweier Psychologinnen<br />
und einer das Seminar begleitenden Flugbegleiterin um 11.35<br />
Uhr an Bord. Neben mir auf 31C sitzt Steffi. Es ist ihr Erstflug. Sie<br />
ist sich nicht wirklich sicher, ob die Entscheidung, es zu wagen,<br />
wirklich richtig war. Doch da rollt die Maschine schon los und gibt<br />
Gas, wird schneller und lauter und ist plötzlich airborne, als es aus<br />
Steffi herausplatzt: »Ich schaffe das!«<br />
BEIM RÜCKFLUG IST DAS GEMÜT<br />
SCHON VIEL ENTSPANNTER<br />
Es ist ein mutiger Befreiungsruf, der uns bis Frankfurt trägt. Der<br />
Rückflug nur eine Stunde später ist fast schon Normalität. Die<br />
gefürchteten Gerüche und Geräusche werden jetzt vom Genuss<br />
überflügelt: die Welt von oben betrachten, die Sonne sehen, wissen,<br />
dass ein Flugzeug Turbulenzen aushalten kann, und endlich<br />
von fernen Zielen nicht mehr nur noch träumen.<br />
Vielleicht können die Primadonna und ich ja auch eines Tages<br />
eine Postkarte schicken von meiner Trauminsel Tahiti. Denn eines<br />
habe ich gelernt: Die Primadonna wird mich weiterhin auf meinen<br />
Flügen begleiten. Es ist dann nur die Frage, ob ich ihr noch zuhören<br />
werde.<br />
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sommer <strong>2019</strong>