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tassilo - das Magazin rund um Weilheim und die Seen - Ausgabe November/Dezember 2020

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Die Aufgabe ehrenamtlicher Richter<br />

„Eine Bereicherung<br />

für den Strafprozess“<br />

<strong>Weilheim</strong> | Der Sitzungssaal 18 im<br />

<strong>Weilheim</strong>er Amtsgericht (AG) ist<br />

nicht gut besucht. Dieser Umstand<br />

ist der Corona-Pandemie geschuldet,<br />

Zuschauer sind nicht erlaubt.<br />

Also warten nur <strong>die</strong> Staatsanwältin,<br />

<strong>die</strong> Gerichtsschreiberin <strong>und</strong><br />

der Angeklagte nebst Anwalt darauf,<br />

<strong>das</strong>s sich <strong>die</strong> Tür hinter der<br />

Empore öffnet <strong>und</strong> der Richter<br />

den Saal betritt. Als er schließlich<br />

kommt, erheben sich alle.<br />

Allerdings ist Behördenleiter <strong>und</strong><br />

Berufsrichter Dr. Lars Ba<strong>um</strong>ann<br />

nicht alleine, sondern an seiner<br />

Seite sind zwei weitere Personen:<br />

Behördenleiter <strong>und</strong> Berufsrichter Dr. Lars Ba<strong>um</strong>ann (Mitte) mit den Schöffen Andrea<br />

Hild <strong>und</strong> Hans-Georg Hechenrieder.<br />

Andrea Hild <strong>und</strong> Hans-Georg Hechenrieder.<br />

Ehrenamtliche Richter,<br />

auch „Schöffen“ genannt.<br />

Die G<strong>r<strong>und</strong></strong>lage für <strong>das</strong> Amt des<br />

Schöffen (von althochdeutsch<br />

„sceffino“ oder „scaffin“, der Anordnende)<br />

findet sich im G<strong>r<strong>und</strong></strong>gesetz:<br />

„Alle Staatsgewalt geht<br />

vom Volke aus. Sie wird vom Volke<br />

in Wahlen <strong>und</strong> Abstimmungen<br />

<strong>und</strong> durch besondere Organe der<br />

Gesetzgebung, der vollziehenden<br />

Gewalt <strong>und</strong> der Rechtsprechung<br />

ausgeübt.“ Die Verfassung des<br />

Freistaates Bayern wird noch konkreter:<br />

„An der Rechtspflege sollen<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen aus dem<br />

Volke mitwirken.“<br />

Lebenserfahrung in<br />

Gerichtsurteil einbringen<br />

Ehrenamtliche Laienrichter gibt<br />

es nicht erst seit wenigen Jahrzehnten<br />

– <strong>die</strong> Wurzeln reichen<br />

bis in <strong>die</strong> Zeit der karolingischen<br />

Kaiser im 8. Jahrh<strong>und</strong>ert zurück.<br />

Abgesehen von wenigen Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

mit absolutistischer<br />

Staatsauffassung, waren seither<br />

stets juristische Laien aus dem<br />

Volke in irgendeiner Form an der<br />

Rechtsprechung beteiligt.<br />

„Die Schöffen<br />

üben einen Teil der<br />

Staatsgewalt, also<br />

Macht, aus. Sie tragen<br />

<strong>die</strong> Mitverantwortung<br />

dafür, ob jemand<br />

wegen einer Straftat<br />

zu Geldstrafe oder<br />

Freiheitsstrafe, vielleicht<br />

auch zu einer<br />

Maßregel der Besserung<br />

<strong>und</strong> Sicherung<br />

verurteilt wird.“ So<br />

steht es im Merkblatt<br />

„Das Schöffenamt in<br />

Bayern“, herausgegeben<br />

vom Bayerischen<br />

Staatsministeri<strong>um</strong> der<br />

Justiz. Und der G<strong>r<strong>und</strong></strong><br />

dafür liest sich ebenso<br />

logisch wie überzeugend,<br />

denn <strong>die</strong><br />

Schöffen sollen „ihre<br />

Lebens- <strong>und</strong> Berufserfahrung,<br />

ihr vernünftiges<br />

Urteil, ihren<br />

Das Amtsgericht <strong>Weilheim</strong> an der Alpenstraße.<br />

Gemeinsinn <strong>und</strong> ihre Bewertungen“<br />

in <strong>das</strong> Urteil des Gerichts mit<br />

einbringen.<br />

Alle fünf Jahre werden Schöffen<br />

gewählt. Aufrufe finden sich z<strong>um</strong><br />

Ende einer Periode in der Zeitung,<br />

im Radio <strong>und</strong> bei den Ämtern.<br />

Die Bewerbungen werden von<br />

der Gemeinde gesammelt. Bei<br />

den Schöffen für Jugendsachen ist<br />

auch <strong>das</strong> Landratsamt beteiligt.<br />

Diese Behörden treffen eine Vorauswahl,<br />

checken <strong>das</strong> polizeiliche<br />

Führungszeugnis <strong>und</strong> <strong>das</strong> Alter:<br />

Jeder deutsche nicht vorbestrafte<br />

Bürger zwischen 25 <strong>und</strong> 70 Jahren<br />

kann sich bewerben.<br />

„Ich finde es interessant, was hier<br />

verhandelt wird. Deshalb habe<br />

ich mich beworben, denn ich<br />

wollte mal wissen, was bei Gericht<br />

abgeht“, schildert Schöffin<br />

Andrea Hild ihre Motivation. Die<br />

51-jährige Schongauerin arbeitet<br />

in Teilzeit als Bankkauffrau <strong>und</strong><br />

sitzt seit 2014 neben den Richtern<br />

in <strong>Weilheim</strong>. „Neuling“ Hans-<br />

Georg Hechenrieder wollte sich<br />

sowieso ehrenamtlich betätigen.<br />

Der 55-jährige Projektleiter in der<br />

Baubranche denkt, <strong>das</strong>s er seine<br />

Lebenserfahrung bei Gericht gut<br />

einbringen kann.<br />

Im Wahlausschuss <strong>Weilheim</strong> sitzen<br />

zuständige Richter, Landrat<br />

oder Vertreter, sowie sieben Kreisratsmitglieder.<br />

Je sechs Schöffen<br />

werden für <strong>das</strong> Erwachsenen- <strong>und</strong><br />

Jugendgericht ausgewählt. Dazu<br />

kommen noch einmal ebenso<br />

viele Hilfsschöffen, <strong>die</strong> einspringen,<br />

wenn jemand verhindert sein<br />

sollte. Im letzten Schritt werden<br />

<strong>die</strong> „Paare“ ausgelost, also welche<br />

Schöffen zusammen in einer<br />

Sitzung sind. Beim Jugendgericht<br />

müssen <strong>das</strong> jeweils ein Mann <strong>und</strong><br />

eine Frau sein, bei Erwachsenen<br />

ist <strong>das</strong> Geschlecht egal.<br />

Wenn es zu wenige Freiwillige<br />

gibt, können Schöffen zwangsbestimmt<br />

werden. Das Amt gilt als<br />

staatsbürgerliche Pflicht <strong>und</strong> Ausreden<br />

gelten nicht. „Hier in <strong>Weilheim</strong><br />

sind wir allerdings auf einer<br />

Insel der Glückseligen“, erzählt<br />

Pressesprecherin Christiane Serini<br />

lachend. „Wir haben immer genug<br />

Bewerber <strong>und</strong> müssen niemand<br />

zwangsverpflichten.“<br />

Die Macht der Schöffen resultiert<br />

aus dem Umstand, <strong>das</strong>s sie<br />

g<strong>r<strong>und</strong></strong>sätzlich gleichberechtig<br />

neben dem Berufsrichter stehen.<br />

Theoretisch können sie <strong>das</strong> Urteil<br />

fällen, indem sie den Richter über-<br />

16 | <strong>tassilo</strong>

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