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VDWF im Dialog 1/2008

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66 <strong>VDWF</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> 1/<strong>2008</strong><br />

Der New Yorker Künstler, Jahrgang 1871, Sohn deutscher Auswanderer,<br />

kam als 16­Jähriger nach Deutschland, um Musik zu<br />

studieren. Aber die Malerei wurde zu seiner Passion. In Berlin<br />

verliebte er sich in die Kunststudentin Julia Berg, 1908 heiratete<br />

er sie. Die Mutter seiner Kinder stammte aus We<strong>im</strong>ar, unterwies<br />

ihn in den Grundzügen der Malerei und führte ihm das We<strong>im</strong>arer<br />

Land als Motivkreis vor. Julia Berg war Jüdin, weshalb der Kunstprofessor<br />

Feininger trotz seiner “arischen” Vorfahren von den<br />

Nazis attackiert wurde. 1937 emigrierte er depr<strong>im</strong>iert mit Frau<br />

und drei Söhnen in die USA. Nachdem der Maler sich in New<br />

York ein Atelier zugelegt hatte, malte er trotzdem weiter an<br />

seinen Bildern aus der Alten Welt. Rund 10000 Skizzen hatte<br />

er aus dem We<strong>im</strong>arer Land mitgebracht, nach diesen Vorlagen<br />

entstanden Ölbilder, Aquarelle, Kohlezeichnungen und druckgrafische<br />

Werke. Die meisten befinden sich heute in Privatsammlungen,<br />

sein berühmtestes Ölgemälde, “Gelmeroda XIII”<br />

von 1936, hängt <strong>im</strong> New York Metropolitan Museum of Art.<br />

Gelmeroda war endgültig zum Schaffensmittelpunkt Lyonel<br />

Feiningers geworden. “Gelmeroda morgens, mittags und abends”<br />

lautete sein Credo. Feininger wurde in der amerikanischen Welt<br />

nicht wieder he<strong>im</strong>isch. Noch rund 20 Jahre nachdem er We<strong>im</strong>ar<br />

verlassen hatte, malte er <strong>im</strong>mer noch krumme Fachwerkbauten,<br />

Gassen und vor allem die Kirchen <strong>im</strong> We<strong>im</strong>arer Land. 1956 starb<br />

der Künstler, wenige Tage zuvor hatte er noch bekannt, in der<br />

Wolkenkratzer­Stadt “von hundert staubigen, krummen thüringischen<br />

Dörfern” zu träumen.<br />

Wer in Gelmeroda herumläuft, versteht nicht gleich, warum<br />

der Ort den Maler so faszinieren konnte. Das Dorf ist grau, die<br />

Kirche mausgrau, einzig die vergoldete Metallkugel und die<br />

Wetterfahne auf ihrer Spitze strahlen bescheidenen Glanz aus.<br />

Doch gerade das Unscheinbare des Gotteshauses und der dörflichen<br />

Umgebung inspirierten den Künstler. Hunderte von Skizzen<br />

und über hundert Bilder hat er von der Kirche aus dem 12. Jahrhundert<br />

angefertigt, wobei die Phantasie regelmäßig mit ihm<br />

durchging. Der quadratischen Kirchturmuhr verpasste er ein<br />

giftiges Absinthgrün, brachte die Fenster zum Gl<strong>im</strong>men, ließ<br />

die geduckten Bauernhäuser ringsum zu flüchtigen Schemen<br />

schrumpfen. Manchmal erhob er die Zwergkirche gar kühn zur<br />

Kathedrale, deren Spitze sich tief in den H<strong>im</strong>mel bohrt.<br />

Die Gelmerodaer sind stolz darauf, dass der Amerikaner seinen<br />

künstlerischen Dreh­ und Angelpunkt in ihrem Dorf fand. Eine<br />

bescheidene touristische Infrastruktur entstand mit einem Hotel<br />

nahe der Kirche, Prospekten <strong>im</strong> Gotteshaus, und jeden Donnerstag<br />

bis Samstag ist die Kirche nachts beleuchtet. Das würde Feininger<br />

gefallen. Die Installation stammt vom Jenaer Lichtkünstler Peter<br />

Mittmann, mit Hochdruck­Halogen­Metalldampf­Scheinwerfern<br />

bestrahlt er die Fassaden von unten. Durch das blaue und grüne<br />

Licht entstehen kristalline Facetten wie auf Feiningers Gemälden.<br />

Die Imagination des Künstlers wird Realität – am meisten am<br />

Abend, wenn der Nebel aus Feldern und Gärten aufsteigt und<br />

das Kirchlein umwabert. | Roland Mischke, Dietzenbach

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