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The Red Bulletin 09/21 AT

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D A S F I K T I V E P H I L O S O P H E N - I N T E R V I E W<br />

EPIKUR SAGT:<br />

„So lernst du die Kunst<br />

der Freude“<br />

Glücklich sein ist der Sinn des Lebens. Aber wie ist wirkliche<br />

Freude zu finden? Der alte Grieche Epikur meint<br />

in unserem fiktiven Interview mit Christoph Quarch: nur,<br />

indem man nicht krampfhaft nach ihr sucht.<br />

the red bulletin: Herr Epikur, Sie haben behauptet,<br />

der Sinn des menschlichen Lebens<br />

bestehe darin, Lust und Freude zu empfinden.<br />

In der Welt von heute gibt es<br />

viele Menschen, die viel Zeit und<br />

Geld dafür aufwenden, extreme<br />

Erfahrungen zu machen, um extrem<br />

viel Spaß zu haben. Etwa,<br />

indem sie mit einem Seil am Fuß<br />

von einer Brücke springen.<br />

Was halten Sie davon?<br />

epikur: Keine Ahnung, ich habe so<br />

etwas noch nie ausprobiert. Wer sich<br />

zu meiner Zeit selbst erproben wollte,<br />

konnte das bei einem unserer vielen<br />

Kriege tun. Aber das war nie so<br />

mein Ding. Ich habe es vorgezogen,<br />

in meinem Garten zu lustwandeln,<br />

gute Gespräche zu führen und mich<br />

am Licht der Sonne zu erfreuen.<br />

Aber Sie haben doch gesagt,<br />

wir Menschen täten gut daran,<br />

ein Leben der Freude zu führen.<br />

Wenn jemand Freude daran hat, extreme Herausforderungen<br />

zu bestehen, dann ist das doch etwas<br />

Gutes, oder?<br />

Jaja, ich weiß, was Sie meinen, aber so einfach ist es<br />

nicht. Nicht überall, wo Freude draufsteht, ist auch<br />

Freude drin. Vorderhand sieht es doch so aus: Sie<br />

nehmen sich etwas vor, artikulieren einen Wunsch.<br />

Und siehe da, es kommt so, wie Sie es wollten, und<br />

dann freuen Sie sich. Das war’s. Und was dann?<br />

Na ja, man freut sich, und wenn die Freude nachlässt,<br />

gibt es bestimmt ein nächstes Ziel, das man<br />

sich setzt. Und wenn man auch das erreicht hat,<br />

dann ist die Freude doppelt so groß.<br />

Im Gegenteil, mein Freund, die Freude wird schwächer.<br />

Erst unmerklich, aber dann umso mehr. Und weißt du,<br />

warum? Weil deine Freude nicht mehr frei ist. Besser:<br />

weil du nicht mehr frei bist. Du verhedderst dich im<br />

Hamsterrad, brauchst immer neue Anreize, immer<br />

neue Wünsche, immer neue Ziele. Klar, du freust dich,<br />

wenn du wieder einmal etwas erreicht hast, aber diese<br />

„Das Geheimnis<br />

liegt darin, so zu leben,<br />

dass man sich<br />

an allem freut, was ist,<br />

und nicht an dem,<br />

was man will.“<br />

Freude verpufft so schnell, wie sie kam. Und noch<br />

während sie verpufft, wirst du immer abhängiger<br />

von deinen kleinen Kicks der erfüllten Wünsche. Bis<br />

du auf die glorreiche Idee kommst, deine Ziele immer<br />

größer und extremer werden zu lassen – in der Hoffnung,<br />

dass auch die Freude dann extremer wird. Was<br />

aber nicht passiert. Stattdessen kannst du dich<br />

irgendwann gar nicht mehr freuen: Fünfzig<br />

Kilometer gelaufen? Okay, dann sechzig.<br />

Sechzig Kilometer gelaufen? Okay,<br />

dann siebzig. Das nimmt kein Ende,<br />

außer du fällst vorher tot um.<br />

Hm, aber dann wäre Freude ja<br />

so etwas wie eine Droge, die<br />

einen irgendwann in den Abgrund<br />

stürzt. Und die Lust an Extremerfahrungen<br />

wäre das Symptom<br />

einer gesteigerten Abhängigkeit.<br />

Könnte sein, ja. Und deshalb ist<br />

es so wichtig, beizeiten die Kunst<br />

der Freude zu lernen. Darum ging<br />

es in meinen Büchern.<br />

Und worin besteht diese Kunst<br />

der Freude?<br />

Vor allem darin, sich an den Dingen<br />

zu erfreuen, die wirklich zu<br />

einem passen – die irgendwie<br />

naturgemäß und unbegrenzt vorhanden sind. Wie<br />

gesagt: Ich habe immer die größte Freude, wenn ich<br />

mit guten Freunden durch meinen Garten schlendere .<br />

Denn ich bin dann völlig frei davon, irgendetwas<br />

Tolles oder Extremes erfahren zu müssen. Ich bin<br />

dann auch frei von Angst und Sorge. Ich glaube, das<br />

ganze Geheimnis der Freude liegt darin, so zu leben,<br />

dass man sich an allem freut, was ist, und nicht an<br />

dem, was man will. Du möchtest dich freuen? Dann<br />

hör auf, dich freuen zu wollen!<br />

EPIKUR (um 341 – 271/270 v. Chr.) gilt als Philosoph der Freude.<br />

Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil: Zu<br />

allen Zeiten war er die Hassfigur von Moralpredigern, die ihn als<br />

Ahnherrn eines zügellosen Hedonismus verdammten. Tatsächlich<br />

ging es Epikur aber nicht um ein Maximum an Spaß, sondern<br />

um Selbstgenügsamkeit, die das Leben so nimmt, wie es ist.<br />

CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer<br />

der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und<br />

Autor zahlreicher philosophischer Bücher. Zuletzt erschienen:<br />

„Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten<br />

auf alltäg liche Fragen“, legenda Q, 20<strong>21</strong>.<br />

DR. CHRISTOPH QUARCH BENE ROHLMANN<br />

18 THE RED BULLETIN

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