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The Red Bulletin 09/21 AT

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Archäologie<br />

Terry Madenholm<br />

hat zwei interessante Jobs: Sie ist Archäologin und nebenbei<br />

gefragtes Model. Hier erklärt die 31-Jährige, wie sie antike<br />

Inka-Siedlungen mittels Drohnentechnik retten will.<br />

Text RACHAEL SIGEE<br />

Foto CHRIS SAUNDERS<br />

Wir erreichen Terry Madenholm<br />

in ihrer Pariser Wohnung. Sie steckt<br />

gerade mitten in den Vorbereitungen<br />

für eine Rettungsaktion: Es geht um<br />

die Ausgrabung einer über 500 Jahre<br />

alten Inka-Siedlung in der Provinz<br />

Cotopaxi in Ecuador, die von Klimawandel,<br />

Bebauungsplänen und – besonders<br />

unberechenbar – einem seit<br />

2015 aktiven Vulkan bedroht ist. Die<br />

31-Jährige gehört zu einem Team,<br />

das diesen Kulturschatz mittels<br />

modernster Drohnentechnologie<br />

und digitaler 3D-Rekonstruktion im<br />

allerletzten Moment für die Nachwelt<br />

bewahren will.<br />

Madenholm, in Stockholm geboren<br />

und in Polen aufgewachsen,<br />

hat in Paris aber noch andere Sachen<br />

zu tun: Sie stand bereits für Werbekampagnen<br />

so schillernder Marken<br />

wie L’Oréal, Clarins oder L’Occitane<br />

als Model vor der Kamera. Ursprünglich<br />

dienten ihr solche Jobs nur<br />

zur Finanzierung des Archäologiestudiums.<br />

Doch die Modelkarriere<br />

nahm derart schnell Fahrt auf, dass<br />

sie ihre Zeit heute zu gleichen Teilen<br />

zwischen Ausgrabungen und Fotoshootings<br />

aufteilt. „Ich sehe mich<br />

als Archäologin, die zufällig auch<br />

modelt“, sagt Madenholm. „Immer,<br />

wenn ich bei Ausgrabungen etwas<br />

finde, erscheint es mir wie eine<br />

Reise in die Vergangenheit. Indem<br />

ich verschwitzt und voll Schlamm<br />

meine Hände in die Erde stecke,<br />

starte ich eine Zeitmaschine.“<br />

the red bulletin: Wie fühlt<br />

es sich an, bei Ausgrabungen<br />

mitzumachen?<br />

terry madenholm: Es ist eine<br />

intensive Erfahrung und erfordert<br />

viel Durchhaltevermögen und Demut,<br />

weil man seine Ziele nicht immer erreicht.<br />

Manchmal sucht man monateoder<br />

sogar jahrelang nach etwas,<br />

das dann nicht so ergiebig ist wie erhofft.<br />

Abgesehen davon sind die Ausgrabungen<br />

sehr anstrengend. Man<br />

kämpft ständig mit sich selbst und<br />

geht an seine Grenzen. Aber genau<br />

das mag ich an der Archäologie:<br />

Man spürt so richtig, dass man lebt.<br />

Wie kartieren und bewahren Sie<br />

antike Stätten?<br />

Mit Tools wie LiDAR, das steht für<br />

Light Detection and Ranging. Es<br />

funktioniert im Grunde ganz einfach:<br />

Ein Laser tastet die Erdoberfläche<br />

ab und erzeugt ein 3D-Bild<br />

dessen, was darunter versteckt liegt.<br />

Diese Werkzeuge sind in der Archäologie<br />

ziemlich neu, aber sie bringen<br />

uns schneller voran. Die Drohnen<br />

verschaffen uns einen besseren Überblick<br />

über die Ausgrabungsstätte,<br />

sodass wir mit unseren Aufzeichnungen<br />

schneller fertig sind.<br />

Was bedeutet diese Technologie<br />

für die Zukunft der Archäologie?<br />

Sie kann neue Perspektiven eröffnen.<br />

Wir können plötzlich größere, mutigere<br />

Fragen stellen. Ich glaube, die<br />

Geschichte der alten Kulturen wird<br />

neu zu schreiben sein. Monumente<br />

und Artefakte können mittels 3D-<br />

Nachbildungen originalgetreu für die<br />

Nachwelt bewahrt und für Publikum<br />

zugänglich gemacht werden. So wird<br />

die Archäologie auch demokratisiert:<br />

Jeder kann sich die Stätten ansehen,<br />

ohne selbst hinzufahren.<br />

Was war für Sie der bisherige<br />

Höhepunkt Ihrer Karriere als<br />

Archäologin?<br />

Die Entdeckung eines zweitausend<br />

Jahre alten Rings an der Küste von<br />

Tel Aviv. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten<br />

Monate an einem Projekt und<br />

träumen die ganze Zeit nur davon,<br />

etwas Großartiges zu finden. Dann,<br />

im letzten Moment, kurz bevor das<br />

Projekt in die Winterpause geht, finden<br />

Sie plötzlich diesen Ring unter<br />

der Erde! Es fühlte sich irgendwie an,<br />

als hätte jemand den Ring vor zweitausend<br />

Jahren fallen lassen, damit<br />

ich ihn finde. Wenn man so ein persönliches<br />

Stück findet, dann spinnt<br />

man sofort eine Geschichte darüber,<br />

wer ihn gefertigt, wer ihn getragen<br />

hat. In meinem Kopf entstand das<br />

Bild eines dicken Kaufmanns, denn<br />

der Ring war riesig, und ich konnte<br />

ihn leicht über zwei Finger ziehen.<br />

Was erhoffen Sie sich in Zukunft<br />

für Ihre Arbeit?<br />

Überraschungen – die sind das Beste<br />

an der Archäologie. Denken Sie nur<br />

an die Ausgrabungen von Pompeji<br />

in Italien. Die Historiker waren ursprünglich<br />

überzeugt, dass der Vesuv<br />

am 24. August 79 n. Chr. ausgebrochen<br />

sei. Dann wurde 2018 eine alte<br />

Inschrift in Kohle entdeckt, aus der<br />

hervorging, dass der Ausbruch zwei<br />

Monate später statt gefunden hatte.<br />

Daran sieht man, dass Archäologen<br />

und Historiker manchmal falschliegen.<br />

Diese Geschichte spricht mich<br />

sehr an. Ich will einfach Überraschungen<br />

erleben. Ich will von meinen<br />

Funden so richtig umgehauen<br />

werden!<br />

Terry Madenholm ist Projektpartnerin von<br />

Drone Archaeology: dronearchaeology.com<br />

38 THE RED BULLETIN

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