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B O U L E V A R D D E R H E L D E N<br />
über die sie nicht gelacht hätten. Schließlich habe er<br />
Bobby Fischer an das Geschenk, nämlich dieses alte<br />
Schachspiel, erinnert.<br />
Das erste Spiel – noch auf Dylans Brett übrigens –<br />
sei nichts weiter gewesen als ein Nachstellen der<br />
Welt meisterschaftspartie Fischer gegen Spasski 1972.<br />
Dylan kannte die Partie auswendig, und Fischer erinnerte<br />
sich auch noch recht gut. Dylan fragte, ob es<br />
unbescheiden wäre, wenn er seine Interpretationen<br />
dazu abgäbe, und Fischer hörte aufmerksam zu.<br />
Er gehe davon aus, sagte Dylan, so jedenfalls<br />
offenbare sich ihm diese Partie, dass Fischer schon<br />
nach den ersten acht bis zehn Zügen das Ende geahnt,<br />
wenn nicht sogar schon vorausberechnet habe. Die<br />
Partie ähnle in ihrem Aufbau einem Spielfilm aus den<br />
dreißiger Jahren – eine überlange, flach ansteigende<br />
Exposition, die plötzlich zum Höhepunkt aufschnellt<br />
–, nämlich dort, wo Spasski seinen Springer zu opfern<br />
glaubt, in Wahrheit jedoch sowohl den Springer verliert<br />
als auch in der Folge den Turm blockiert, und das<br />
Ganze, ohne Fischers Königsbauern zur Deckung der<br />
Dame zu zwingen, wie Spasski es vermutlich geplant<br />
hatte. Von da an, so Dylan, nehme die Partie einen<br />
auch für den Laien voraussehbaren Verlauf, der zwar<br />
kürzer, aber ähnlich flach abfalle, wie die Exposition<br />
aufgestiegen sei. Zum Schluss: ein einfaches Matt<br />
ohne Schnörkel.<br />
Bobby Fischer gab ihm recht.<br />
Dylan war begeistert – von der Partie und von<br />
seiner Interpretation – und fragte, ob Fischer ihn zur<br />
Gitarre singen hören wolle.<br />
Loggie, der die beiden die ganze Zeit schweigend<br />
betrachtet hatte, bat Dylan um den Vorzug, die<br />
Gitarre aussuchen zu dürfen. Er ging ins Haus<br />
und atmete erst eine Weile tief durch. Die Gitarren<br />
waren überall verstreut, lagen auf einem Sofa und auf<br />
dem Küchentisch, im Schlafzimmer neben dem Bett<br />
standen gleich vier E-Gitarren, merkwürdigerweise<br />
war aber kein Verstärker da. Er entschied sich für eine<br />
alte Gibson, er meinte, die würde gut zu dem alten<br />
Schachbrett mit den alten Figuren passen, das Bobby<br />
Fischer mitgebracht hatte. Dylan hatte das Instrument<br />
zu irgendeinem früheren Geburtstag von irgendjemandem<br />
geschenkt bekommen, es hatte irgendwann<br />
irgendeinem Bluesmusiker gehört, Loggie hatte vergessen,<br />
wie der Musiker hieß.<br />
Dylan spielte ein altes Lied und ein neues –<br />
„To Ramona“ und „Dark Eyes“. Fischer habe zugehört,<br />
die Beine weit von sich gestreckt, die Hände über dem<br />
Gürtel gefaltet, die Augen geschlossen. Da sei alles<br />
noch wunderbar gewesen.<br />
„Bob Dylan spielte schnell<br />
und nachlässig, es war ja<br />
nur eine Formsache.“<br />
Aber dann forderte Bobby Fischer Bob Dylan zu<br />
einer Partie auf – so war es ausgemacht –, und zwar<br />
auf ebenjenem alten Brett mit den abgegriffenen<br />
Figuren. Dylan habe Weiß gezogen und die Partie<br />
begonnen. Er habe schnell und nachlässig gespielt,<br />
es sei ja nur eine Formsache gewesen, so sah es auch<br />
Loggie. Eine Ehrensache, nichts Ernsthaftes, und es<br />
sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass mehr als<br />
eine Partie gespielt werden würde und dann vielleicht<br />
noch Revanche.<br />
Fischer allerdings habe sich auf jeden Zug kon zentriert.<br />
Es sei zwar keine Zeit ausgemacht worden, aber<br />
er habe bei jedem Zug mehrere Minuten verstreichen<br />
lassen, und Loggie dachte noch, es sei zwar anständig<br />
von dem Großmeister, dass er seinen Gegner nicht<br />
gleich vom Brett putzte; aber es kam ihm doch irgendwie<br />
kindisch vor, mit wie viel Anstrengung er diese<br />
Anständigkeit vorführte.<br />
Um es kurz zu machen: Dylan gewann die Partie.<br />
Gefreut habe er sich darüber nicht. Gewundert habe<br />
er sich. Beide hätten sich gewundert. Und Loggie<br />
wunderte sich auch. Die Stimmung sei nicht mehr<br />
so besonders gewesen.<br />
„Das ist ein Geburtstagsgeschenk wie eine Kaugummiblase“,<br />
sagte Dylan. „Solange man sie für Vollgummi<br />
hält, durchaus imponierend.“<br />
Fischer versicherte, er habe ihn nicht absichtlich<br />
gewinnen lassen, im Gegenteil, er habe Dylan<br />
sogar bis zu den letzten vier Zügen zu jener Partie<br />
gezwungen, die Bogoljubow und Reti 1925 in Baden-<br />
Baden gespielt hätten. Einen Gegner zu einem bestimmten<br />
Spiel zu zwingen sei bei weitem schwieriger,<br />
als ein Spiel zu gewinnen. Erst beim viertletzten Zug<br />
sei Dylan ausgebrochen, und er, Fischer, habe vermutet,<br />
Dylan wolle ein Erstickungsmatt anstreben in der<br />
Art von Budrich gegen Gumprich 1950, und er habe<br />
sich rundum darauf eingestellt und dann …<br />
„Ich bin ein Naiver“, sagte Dylan.<br />
Mehr sagte er nicht.<br />
Loggie stellte erneut die Figuren auf und drehte<br />
das Brett um.<br />
Dylan gewann wieder. Er wurde zornig. Diesmal<br />
habe er sogar saumäßig gespielt, sagte er.<br />
Fischer sagte gar nichts. Er schaute auch niemanden<br />
an. Dylan nicht, Loggie nicht. Nur das Schachbrett<br />
schaute er an.<br />
„Vielleicht liegt es an den Figuren und an dem<br />
schlechten Licht“, sagte Loggie. Er habe es ja nur<br />
gut gemeint – reden, reden, locker sein, habe er sich<br />
gedacht, wenn ich als das Arschloch aussteige, ist<br />
alles gut. „Bei diesem schlechten Licht kann es doch<br />
pas sieren, dass sich der eine oder andere bei den<br />
Figuren vergreift und anstatt Schwarz Weiß zieht<br />
oder umgekehrt.“<br />
„Was heißt hier der eine oder der andere?“, fragte<br />
Dylan, ziemlich scharf, den Kopf gesenkt, die Augen<br />
blitzend. „Und wer, bitte, ist hier der eine und wer<br />
der andere?“<br />
94 THE RED BULLETIN