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The Red Bulletin 09/21 AT

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Bike<br />

sprung-Schanze<br />

Skikönigin Lindsey Vonn<br />

wollte immer auf einer Herren-Strecke<br />

gegen Männer fahren. Für die 19-jährige<br />

Mountainbike-Downhillerin Vali Höll ist<br />

so etwas ganz normal. Im Mountainbike-<br />

Downhill gibt es nur eine Strecke, und<br />

die ist einfach eine Männer-Strecke. Eine<br />

Wilde-Männer- Strecke, die TV-Kameras<br />

wollen es so: Doppelsprünge, steile Wurzelpassagen,<br />

mehrere Meter tiefe Drops,<br />

und doch erfordert es gewaltigen technischen<br />

Aufwand, wie er für die Übertragungen<br />

des UCI Mountainbike World Cup<br />

auf redbull.com/bike betrieben wird, um<br />

das unfassbare Können und den Speed<br />

der Athleten einigermaßen wirklichkeitsgetreu<br />

abbilden zu können.<br />

Nachvollziehbar ist es ohnehin nicht,<br />

schon gar nicht vor Ort. Um beim Ski-Vergleich<br />

zu bleiben: Gute Skifahrer werden<br />

die Streif in Kitzbühel schon einigermaßen<br />

unfallfrei runterrutschen können. Es ist<br />

zwar steil und eisig und die Hose voll,<br />

aber mit Querstellen und Kantenreinhauen<br />

wird der Amateur nach etlichen<br />

Minuten oben an der Hausbergkante<br />

auftauchen und ein paar weitere danach<br />

vielleicht unbeschadet unten im Ziel.<br />

Auf der Downhill-Weltcup-Strecke<br />

in Leogang ist das für normalsterbliche<br />

Mountainbiker unmöglich, vor allem im<br />

Regen. Da gibt es ein paar Passagen, auf<br />

denen du keine sprichwörtlichen Kanten<br />

in den Untergrund rammen und runterrutschen<br />

kannst. Da gibt es Sprünge, die<br />

setzen eine gewisse Geschwindigkeit voraus,<br />

um zu funktionieren. Um abermals<br />

ein Winter-Bild zu gebrauchen: Es ist<br />

eher keine Lösung, sich auf einer Ski-<br />

mit drei Meter Anlauf<br />

zu begnügen, weil man sich vor der Geschwindigkeit<br />

von ganz oben fürchtet.<br />

Wer oben nicht weiß, was er tut, wird<br />

unten aufprallen wie ein Stein.<br />

In Leogang gibt es gleich ein paar<br />

solcher Stellen, die selbst unter perfekten<br />

Bedingungen ein großes Herz brauchen.<br />

Im normalen Betrieb sind diese Sprünge,<br />

mitten im Bikepark gelegen, für die Allgemeinheit<br />

gesperrt, das zuständige Rote<br />

Kreuz Salzburg, Dienststelle Saalfelden,<br />

dankt herzlich. Geöffnet sind sie ausschließlich<br />

bei Rennen, denn die Profis<br />

wissen, was sie tun. Profis hier bitte als<br />

gegenderte Variante zu verstehen, Frauen<br />

und Männer gleichermaßen (und wir<br />

legen für Lindsey Vonns unerfüllten<br />

Traum eine kleine Gedenksekunde ein).<br />

Was aber, wenn es regnet? „Dann<br />

haben wir auch die Hosen voll“, grinst<br />

Vali Höll, schon jetzt, mit neunzehn, die<br />

beste Downhillerin, die Österreich jemals<br />

hatte. Staatsmeisterin ohnehin, Junioren-<br />

Weltcup-Dominatorin, Junioren-Weltmeisterin.<br />

Noch so ein Spezifikum im<br />

Downhill: Nachwuchs-Racer fahren auf<br />

derselben Strecke wie die Großen. Daher<br />

sind die Zeiten 1:1 vergleichbar. In Vali<br />

Hölls Fall heißt das: Das Mädel bewegte<br />

sich mit siebzehn in der absoluten Weltspitze<br />

und wäre in jedem Rennen, das sie<br />

bei den Juniorinnen gewann, in der Elite-<br />

Kategorie zumindest auf dem Podest der<br />

ersten drei gestanden.<br />

Ein Sprung im Regen im vorletzten<br />

Training zerstörte ihren WM-Traum<br />

Und genau so war die Erwartungshaltung<br />

vor der WM 2020 auf der Heimstrecke<br />

in Leogang: „Erstes Rennen in der Elite-<br />

Kategorie: Das gewinnst du, Vali. Locker!“<br />

Immerhin stammt Höll aus Saalbach,<br />

gelegen an der Südflanke jenes Berges,<br />

an dessen Nordseite, in Leogang, sie sich<br />

zur jüngsten Weltmeisterin krönen sollte.<br />

Auf den ersten Blick war klar: Niemand<br />

Was aber, wenn<br />

es regnet? „Dann<br />

haben wir auch<br />

die Hosen voll.“<br />

fährt so wie Vali Höll. Sie dominierte<br />

sämtliche Trainingsläufe – bis zu diesem<br />

einen Sprung im vorletzten Lauf vor dem<br />

großen Moment.<br />

Der lange und schmerzhafte<br />

Weg zurück<br />

Die Erde hatte sich in eine klebrige Masse<br />

verwandelt, die die Reifen festhielt. Was<br />

die nötige Geschwindigkeit verhinderte.<br />

Der Sprung ging vier Meter hoch, fünfzehn<br />

Meter weit, Detonation bei der<br />

Landung, ohne zu stürzen. Das Sprunggelenk<br />

zahlte die Rechnung.<br />

Krankenhaus statt Goldmedaille.<br />

Schmerzen statt Triumph.<br />

Operation statt Siegesfeier.<br />

Reha statt Weltreise.<br />

Und es kam noch schlimmer: Selbst<br />

nach wochenlangem Schuften im <strong>Red</strong> Bull<br />

Athlete Performance Center in Thalgau<br />

(„eine perfekte Zeit, viele Sportler aus<br />

anderen Disziplinen getroffen, von früh<br />

bis spät einzig an meinem Comeback gearbeitet,<br />

statt wie früher zwischen Lernen<br />

für die Matura die nötigen Stunden reinzuzwicken“),<br />

selbst unter optimalen Bedingungen<br />

also war mit diesem Sprunggelenk<br />

nicht an Radfahren zu denken.<br />

Nein, das war kein psychisches Problem:<br />

„Im Kopf wollte ich nichts mehr,<br />

als endlich wieder aufs Downhill-Bike<br />

zu steigen und Gas zu geben“, erinnert<br />

sich Vali. „Die Schraube im Sprunggelenk<br />

musste raus, um es wieder so abwinkeln<br />

zu können, wie ich es für meinen Sport<br />

brauche.“ Ärzte wurden konsultiert, dann<br />

wurde entschieden: Ja, wir operieren<br />

noch einmal. Es sei kein schwieriger Entschluss<br />

gewesen, sich so knapp vor Saisonbeginn<br />

noch einmal unters Messer zu<br />

legen, erzählt Vali. „Ich hatte ja erlebt,<br />

welche Fortschritte unter perfekten Bedingungen<br />

in wenigen Wochen möglich<br />

sind.“ Bereits am Abend nach der OP versuchte<br />

sie, das verletzte Bein leicht zu<br />

belasten: „Beim Zähneputzen. Nach diesen<br />

drei Minuten wusste ich: Nun bin ich<br />

auf dem Weg zurück.“<br />

Sobald es ging, setzte sie sich ins Auto<br />

und fuhr nach Frankreich. Dort wartete<br />

ihr Team auf sie – ihr neues Team. Nach<br />

sieben Jahren bei YT – das Unternehmen<br />

aus Bayern hatte das Über-Talent bereits<br />

mit dreizehn (!) unter Vertrag genommen<br />

– hatte sie für ihr erstes, richtiges Profi-<br />

Jahr (nach dem verkorksten letzten mit<br />

Sturz und vergebener WM-Medaille) für<br />

ein neues Team unterschrieben. Mehr als<br />

50 THE RED BULLETIN

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