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Bike<br />
sprung-Schanze<br />
Skikönigin Lindsey Vonn<br />
wollte immer auf einer Herren-Strecke<br />
gegen Männer fahren. Für die 19-jährige<br />
Mountainbike-Downhillerin Vali Höll ist<br />
so etwas ganz normal. Im Mountainbike-<br />
Downhill gibt es nur eine Strecke, und<br />
die ist einfach eine Männer-Strecke. Eine<br />
Wilde-Männer- Strecke, die TV-Kameras<br />
wollen es so: Doppelsprünge, steile Wurzelpassagen,<br />
mehrere Meter tiefe Drops,<br />
und doch erfordert es gewaltigen technischen<br />
Aufwand, wie er für die Übertragungen<br />
des UCI Mountainbike World Cup<br />
auf redbull.com/bike betrieben wird, um<br />
das unfassbare Können und den Speed<br />
der Athleten einigermaßen wirklichkeitsgetreu<br />
abbilden zu können.<br />
Nachvollziehbar ist es ohnehin nicht,<br />
schon gar nicht vor Ort. Um beim Ski-Vergleich<br />
zu bleiben: Gute Skifahrer werden<br />
die Streif in Kitzbühel schon einigermaßen<br />
unfallfrei runterrutschen können. Es ist<br />
zwar steil und eisig und die Hose voll,<br />
aber mit Querstellen und Kantenreinhauen<br />
wird der Amateur nach etlichen<br />
Minuten oben an der Hausbergkante<br />
auftauchen und ein paar weitere danach<br />
vielleicht unbeschadet unten im Ziel.<br />
Auf der Downhill-Weltcup-Strecke<br />
in Leogang ist das für normalsterbliche<br />
Mountainbiker unmöglich, vor allem im<br />
Regen. Da gibt es ein paar Passagen, auf<br />
denen du keine sprichwörtlichen Kanten<br />
in den Untergrund rammen und runterrutschen<br />
kannst. Da gibt es Sprünge, die<br />
setzen eine gewisse Geschwindigkeit voraus,<br />
um zu funktionieren. Um abermals<br />
ein Winter-Bild zu gebrauchen: Es ist<br />
eher keine Lösung, sich auf einer Ski-<br />
mit drei Meter Anlauf<br />
zu begnügen, weil man sich vor der Geschwindigkeit<br />
von ganz oben fürchtet.<br />
Wer oben nicht weiß, was er tut, wird<br />
unten aufprallen wie ein Stein.<br />
In Leogang gibt es gleich ein paar<br />
solcher Stellen, die selbst unter perfekten<br />
Bedingungen ein großes Herz brauchen.<br />
Im normalen Betrieb sind diese Sprünge,<br />
mitten im Bikepark gelegen, für die Allgemeinheit<br />
gesperrt, das zuständige Rote<br />
Kreuz Salzburg, Dienststelle Saalfelden,<br />
dankt herzlich. Geöffnet sind sie ausschließlich<br />
bei Rennen, denn die Profis<br />
wissen, was sie tun. Profis hier bitte als<br />
gegenderte Variante zu verstehen, Frauen<br />
und Männer gleichermaßen (und wir<br />
legen für Lindsey Vonns unerfüllten<br />
Traum eine kleine Gedenksekunde ein).<br />
Was aber, wenn es regnet? „Dann<br />
haben wir auch die Hosen voll“, grinst<br />
Vali Höll, schon jetzt, mit neunzehn, die<br />
beste Downhillerin, die Österreich jemals<br />
hatte. Staatsmeisterin ohnehin, Junioren-<br />
Weltcup-Dominatorin, Junioren-Weltmeisterin.<br />
Noch so ein Spezifikum im<br />
Downhill: Nachwuchs-Racer fahren auf<br />
derselben Strecke wie die Großen. Daher<br />
sind die Zeiten 1:1 vergleichbar. In Vali<br />
Hölls Fall heißt das: Das Mädel bewegte<br />
sich mit siebzehn in der absoluten Weltspitze<br />
und wäre in jedem Rennen, das sie<br />
bei den Juniorinnen gewann, in der Elite-<br />
Kategorie zumindest auf dem Podest der<br />
ersten drei gestanden.<br />
Ein Sprung im Regen im vorletzten<br />
Training zerstörte ihren WM-Traum<br />
Und genau so war die Erwartungshaltung<br />
vor der WM 2020 auf der Heimstrecke<br />
in Leogang: „Erstes Rennen in der Elite-<br />
Kategorie: Das gewinnst du, Vali. Locker!“<br />
Immerhin stammt Höll aus Saalbach,<br />
gelegen an der Südflanke jenes Berges,<br />
an dessen Nordseite, in Leogang, sie sich<br />
zur jüngsten Weltmeisterin krönen sollte.<br />
Auf den ersten Blick war klar: Niemand<br />
Was aber, wenn<br />
es regnet? „Dann<br />
haben wir auch<br />
die Hosen voll.“<br />
fährt so wie Vali Höll. Sie dominierte<br />
sämtliche Trainingsläufe – bis zu diesem<br />
einen Sprung im vorletzten Lauf vor dem<br />
großen Moment.<br />
Der lange und schmerzhafte<br />
Weg zurück<br />
Die Erde hatte sich in eine klebrige Masse<br />
verwandelt, die die Reifen festhielt. Was<br />
die nötige Geschwindigkeit verhinderte.<br />
Der Sprung ging vier Meter hoch, fünfzehn<br />
Meter weit, Detonation bei der<br />
Landung, ohne zu stürzen. Das Sprunggelenk<br />
zahlte die Rechnung.<br />
Krankenhaus statt Goldmedaille.<br />
Schmerzen statt Triumph.<br />
Operation statt Siegesfeier.<br />
Reha statt Weltreise.<br />
Und es kam noch schlimmer: Selbst<br />
nach wochenlangem Schuften im <strong>Red</strong> Bull<br />
Athlete Performance Center in Thalgau<br />
(„eine perfekte Zeit, viele Sportler aus<br />
anderen Disziplinen getroffen, von früh<br />
bis spät einzig an meinem Comeback gearbeitet,<br />
statt wie früher zwischen Lernen<br />
für die Matura die nötigen Stunden reinzuzwicken“),<br />
selbst unter optimalen Bedingungen<br />
also war mit diesem Sprunggelenk<br />
nicht an Radfahren zu denken.<br />
Nein, das war kein psychisches Problem:<br />
„Im Kopf wollte ich nichts mehr,<br />
als endlich wieder aufs Downhill-Bike<br />
zu steigen und Gas zu geben“, erinnert<br />
sich Vali. „Die Schraube im Sprunggelenk<br />
musste raus, um es wieder so abwinkeln<br />
zu können, wie ich es für meinen Sport<br />
brauche.“ Ärzte wurden konsultiert, dann<br />
wurde entschieden: Ja, wir operieren<br />
noch einmal. Es sei kein schwieriger Entschluss<br />
gewesen, sich so knapp vor Saisonbeginn<br />
noch einmal unters Messer zu<br />
legen, erzählt Vali. „Ich hatte ja erlebt,<br />
welche Fortschritte unter perfekten Bedingungen<br />
in wenigen Wochen möglich<br />
sind.“ Bereits am Abend nach der OP versuchte<br />
sie, das verletzte Bein leicht zu<br />
belasten: „Beim Zähneputzen. Nach diesen<br />
drei Minuten wusste ich: Nun bin ich<br />
auf dem Weg zurück.“<br />
Sobald es ging, setzte sie sich ins Auto<br />
und fuhr nach Frankreich. Dort wartete<br />
ihr Team auf sie – ihr neues Team. Nach<br />
sieben Jahren bei YT – das Unternehmen<br />
aus Bayern hatte das Über-Talent bereits<br />
mit dreizehn (!) unter Vertrag genommen<br />
– hatte sie für ihr erstes, richtiges Profi-<br />
Jahr (nach dem verkorksten letzten mit<br />
Sturz und vergebener WM-Medaille) für<br />
ein neues Team unterschrieben. Mehr als<br />
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