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The Red Bulletin 09/21 AT

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B O U L E V A R D D E R H E L D E N<br />

BOB DYLAN & BOBBY FISCHER<br />

KÖNIGSSCHACH<br />

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten<br />

inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit.<br />

Folge 16: Der Sänger und der Schachweltmeister, Treffen zweier Exzentriker.<br />

Robin Loggie, einer der Manager<br />

von Bob Dylan, wollte dem<br />

Rockstar zu dessen fünfundvierzigstem<br />

Geburtstag eine Schachpartie<br />

mit Weltmeister Bobby<br />

Fischer vermitteln. Loggie hielt die Idee<br />

geheim, selbst vor seiner Frau und deren<br />

Sohn. Denn erstens war es nicht sicher,<br />

ob er Erfolg haben würde, zweitens war<br />

in Dylans unmittelbarer Umgebung eine<br />

Art Wettbewerb ausgebrochen, der umso<br />

kopfloser wurde, je näher der 24. Mai 1986<br />

rückte: Wem gelingt es, dem Chef etwas<br />

zu schenken, das ihn einigermaßen in<br />

Erstaunen versetzt?<br />

Es ging nicht um wertvolle Dinge, daran<br />

lag diesem Mann nicht viel. Es ging darum, ihn zu<br />

überraschen. Originalität! Der aufbrausenden Entscheidungswut<br />

Dylans wäre es zuzutrauen gewesen<br />

– so Loggie –, dass er als Dank die Hierarchie seines<br />

Managements neu ordnete. Loggie war neu im Rockzirkus,<br />

hatte aber bereits begriffen, dass Mister Dylan<br />

den Gesetzen dieses Zirkus nicht folgte, ja dass er diese<br />

geradezu verabscheute.<br />

Er beauftragte eine Detektei in Santa Monica, den<br />

Schachgroßmeister aufzuspüren und sich mit ihm in<br />

Verbindung zu setzen, verschwieg aber, worum es sich<br />

handelte. Mr. Bob Dylan wolle Mr. Bobby Fischer sprechen,<br />

das war alles. Das musste genügen. Das würde<br />

in aller Welt genügen, warum nicht beim originellsten<br />

Schachspieler der Welt? Der Erfolg war prompt. Es<br />

stellte sich heraus, dass Fischer Dylan ebenso bewunderte<br />

wie Dylan Fischer. Die Detektei organisierte ein<br />

Treffen zwischen Loggie und Fischer in Albuquerque,<br />

New Mexico, und Loggie, der es gut verstand, Menschen<br />

in die Augen zu sehen, trug dem Schachmeister<br />

sein Anliegen in aller Offenheit vor: eine oder zwei<br />

MICHAEL KÖHLMEIER<br />

Der Vorarlberger<br />

Bestsellerautor gilt<br />

als bester Erzähler<br />

deutscher Zunge.<br />

Zuletzt erschienen:<br />

„Die Märchen“,<br />

816 Seiten, Verlag<br />

Carl Hanser.<br />

Partien auf einem Brett nach freier Wahl.<br />

Fischer soll sehr aufgeregt gewesen sein,<br />

berichtete der Manager.<br />

Am 23. Mai 1986 holte Robin Loggie<br />

Bobby Fischer mit einer Limousine am Flughafen<br />

von Los Angeles ab, und sie fuhren<br />

nach Malibu, wo sie in Loggies Haus in der<br />

küstennahen Colony Road bis knapp vor<br />

Mitternacht warteten. Fischer hatte ein Geschenk<br />

mitgebracht, ein altes Schachspiel,<br />

nicht sein erstes, aber sein zweites oder<br />

drittes. Die Figuren waren so abgegriffen,<br />

dass sich Schwarz und Weiß kaum mehr<br />

voneinander unterschieden. Ein wertloses<br />

Ding, aber durch den, der es gebraucht<br />

hatte, wertvoll geworden: ein originelles<br />

Geschenk. Loggie gab Fischer einige Instruktionen,<br />

und schließlich fuhren sie hinaus zu Dylans Haus,<br />

passierten die Wachen und betraten über den Strand<br />

die Veranda.<br />

Dylan sei allein gewesen. Er war auch nicht betrunken.<br />

Loggie sagt, er sei auf der Veranda gesessen<br />

und habe mit sich selbst Schach gespielt. Das habe er<br />

damals oft getan.<br />

Dylan erkannte Bobby Fischer sofort. Die Wirkung<br />

war überwältigend. Auf beiden Seiten. Es seien<br />

sich diese zwei Großen, diese Giganten, gegenübergestanden<br />

wie kleine Fans – Dylan in einem<br />

schmutzigen T-Shirt und Shorts mit grün-roten Rauten,<br />

Fischer in dunklem Anzug, weißem Hemd und<br />

Krawatte – und hätte nicht er, Loggie, eingegriffen,<br />

hätte es geschehen können, dass gar nichts geredet<br />

worden, dass gar nichts geschehen wäre.<br />

Loggie nahm den beiden sehr vorsichtig, mit viel<br />

Fingerspitzengefühl, die Schüchternheit. Er habe<br />

Drinks gemixt, die beide abgelehnt, Witze gerissen,<br />

MICHAEL KÖHLMEIER BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT GETTY IMAGES (2)<br />

92 THE RED BULLETIN

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