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B O U L E V A R D D E R H E L D E N<br />
BOB DYLAN & BOBBY FISCHER<br />
KÖNIGSSCHACH<br />
Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten<br />
inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit.<br />
Folge 16: Der Sänger und der Schachweltmeister, Treffen zweier Exzentriker.<br />
Robin Loggie, einer der Manager<br />
von Bob Dylan, wollte dem<br />
Rockstar zu dessen fünfundvierzigstem<br />
Geburtstag eine Schachpartie<br />
mit Weltmeister Bobby<br />
Fischer vermitteln. Loggie hielt die Idee<br />
geheim, selbst vor seiner Frau und deren<br />
Sohn. Denn erstens war es nicht sicher,<br />
ob er Erfolg haben würde, zweitens war<br />
in Dylans unmittelbarer Umgebung eine<br />
Art Wettbewerb ausgebrochen, der umso<br />
kopfloser wurde, je näher der 24. Mai 1986<br />
rückte: Wem gelingt es, dem Chef etwas<br />
zu schenken, das ihn einigermaßen in<br />
Erstaunen versetzt?<br />
Es ging nicht um wertvolle Dinge, daran<br />
lag diesem Mann nicht viel. Es ging darum, ihn zu<br />
überraschen. Originalität! Der aufbrausenden Entscheidungswut<br />
Dylans wäre es zuzutrauen gewesen<br />
– so Loggie –, dass er als Dank die Hierarchie seines<br />
Managements neu ordnete. Loggie war neu im Rockzirkus,<br />
hatte aber bereits begriffen, dass Mister Dylan<br />
den Gesetzen dieses Zirkus nicht folgte, ja dass er diese<br />
geradezu verabscheute.<br />
Er beauftragte eine Detektei in Santa Monica, den<br />
Schachgroßmeister aufzuspüren und sich mit ihm in<br />
Verbindung zu setzen, verschwieg aber, worum es sich<br />
handelte. Mr. Bob Dylan wolle Mr. Bobby Fischer sprechen,<br />
das war alles. Das musste genügen. Das würde<br />
in aller Welt genügen, warum nicht beim originellsten<br />
Schachspieler der Welt? Der Erfolg war prompt. Es<br />
stellte sich heraus, dass Fischer Dylan ebenso bewunderte<br />
wie Dylan Fischer. Die Detektei organisierte ein<br />
Treffen zwischen Loggie und Fischer in Albuquerque,<br />
New Mexico, und Loggie, der es gut verstand, Menschen<br />
in die Augen zu sehen, trug dem Schachmeister<br />
sein Anliegen in aller Offenheit vor: eine oder zwei<br />
MICHAEL KÖHLMEIER<br />
Der Vorarlberger<br />
Bestsellerautor gilt<br />
als bester Erzähler<br />
deutscher Zunge.<br />
Zuletzt erschienen:<br />
„Die Märchen“,<br />
816 Seiten, Verlag<br />
Carl Hanser.<br />
Partien auf einem Brett nach freier Wahl.<br />
Fischer soll sehr aufgeregt gewesen sein,<br />
berichtete der Manager.<br />
Am 23. Mai 1986 holte Robin Loggie<br />
Bobby Fischer mit einer Limousine am Flughafen<br />
von Los Angeles ab, und sie fuhren<br />
nach Malibu, wo sie in Loggies Haus in der<br />
küstennahen Colony Road bis knapp vor<br />
Mitternacht warteten. Fischer hatte ein Geschenk<br />
mitgebracht, ein altes Schachspiel,<br />
nicht sein erstes, aber sein zweites oder<br />
drittes. Die Figuren waren so abgegriffen,<br />
dass sich Schwarz und Weiß kaum mehr<br />
voneinander unterschieden. Ein wertloses<br />
Ding, aber durch den, der es gebraucht<br />
hatte, wertvoll geworden: ein originelles<br />
Geschenk. Loggie gab Fischer einige Instruktionen,<br />
und schließlich fuhren sie hinaus zu Dylans Haus,<br />
passierten die Wachen und betraten über den Strand<br />
die Veranda.<br />
Dylan sei allein gewesen. Er war auch nicht betrunken.<br />
Loggie sagt, er sei auf der Veranda gesessen<br />
und habe mit sich selbst Schach gespielt. Das habe er<br />
damals oft getan.<br />
Dylan erkannte Bobby Fischer sofort. Die Wirkung<br />
war überwältigend. Auf beiden Seiten. Es seien<br />
sich diese zwei Großen, diese Giganten, gegenübergestanden<br />
wie kleine Fans – Dylan in einem<br />
schmutzigen T-Shirt und Shorts mit grün-roten Rauten,<br />
Fischer in dunklem Anzug, weißem Hemd und<br />
Krawatte – und hätte nicht er, Loggie, eingegriffen,<br />
hätte es geschehen können, dass gar nichts geredet<br />
worden, dass gar nichts geschehen wäre.<br />
Loggie nahm den beiden sehr vorsichtig, mit viel<br />
Fingerspitzengefühl, die Schüchternheit. Er habe<br />
Drinks gemixt, die beide abgelehnt, Witze gerissen,<br />
MICHAEL KÖHLMEIER BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT GETTY IMAGES (2)<br />
92 THE RED BULLETIN