D A S F I K T I V E P H I L O S O P H E N - I N T E R V I E W EPIKUR SAGT: „So lernst du die Kunst der Freude“ Glücklich sein ist der Sinn des Lebens. Aber wie ist wirkliche Freude zu finden? Der alte Grieche Epikur meint in unserem fiktiven Interview mit Christoph Quarch: nur, indem man nicht krampfhaft nach ihr sucht. the red bulletin: Herr Epikur, Sie haben behauptet, der Sinn des menschlichen Lebens bestehe darin, Lust und Freude zu empfinden. In der Welt von heute gibt es viele Menschen, die viel Zeit und Geld dafür aufwenden, extreme Erfahrungen zu machen, um extrem viel Spaß zu haben. Etwa, indem sie mit einem Seil am Fuß von einer Brücke springen. Was halten Sie davon? epikur: Keine Ahnung, ich habe so etwas noch nie ausprobiert. Wer sich zu meiner Zeit selbst erproben wollte, konnte das bei einem unserer vielen Kriege tun. Aber das war nie so mein Ding. Ich habe es vorgezogen, in meinem Garten zu lustwandeln, gute Gespräche zu führen und mich am Licht der Sonne zu erfreuen. Aber Sie haben doch gesagt, wir Menschen täten gut daran, ein Leben der Freude zu führen. Wenn jemand Freude daran hat, extreme Herausforderungen zu bestehen, dann ist das doch etwas Gutes, oder? Jaja, ich weiß, was Sie meinen, aber so einfach ist es nicht. Nicht überall, wo Freude draufsteht, ist auch Freude drin. Vorderhand sieht es doch so aus: Sie nehmen sich etwas vor, artikulieren einen Wunsch. Und siehe da, es kommt so, wie Sie es wollten, und dann freuen Sie sich. Das war’s. Und was dann? Na ja, man freut sich, und wenn die Freude nachlässt, gibt es bestimmt ein nächstes Ziel, das man sich setzt. Und wenn man auch das erreicht hat, dann ist die Freude doppelt so groß. Im Gegenteil, mein Freund, die Freude wird schwächer. Erst unmerklich, aber dann umso mehr. Und weißt du, warum? Weil deine Freude nicht mehr frei ist. Besser: weil du nicht mehr frei bist. Du verhedderst dich im Hamsterrad, brauchst immer neue Anreize, immer neue Wünsche, immer neue Ziele. Klar, du freust dich, wenn du wieder einmal etwas erreicht hast, aber diese „Das Geheimnis liegt darin, so zu leben, dass man sich an allem freut, was ist, und nicht an dem, was man will.“ Freude verpufft so schnell, wie sie kam. Und noch während sie verpufft, wirst du immer abhängiger von deinen kleinen Kicks der erfüllten Wünsche. Bis du auf die glorreiche Idee kommst, deine Ziele immer größer und extremer werden zu lassen – in der Hoffnung, dass auch die Freude dann extremer wird. Was aber nicht passiert. Stattdessen kannst du dich irgendwann gar nicht mehr freuen: Fünfzig Kilometer gelaufen? Okay, dann sechzig. Sechzig Kilometer gelaufen? Okay, dann siebzig. Das nimmt kein Ende, außer du fällst vorher tot um. Hm, aber dann wäre Freude ja so etwas wie eine Droge, die einen irgendwann in den Abgrund stürzt. Und die Lust an Extremerfahrungen wäre das Symptom einer gesteigerten Abhängigkeit. Könnte sein, ja. Und deshalb ist es so wichtig, beizeiten die Kunst der Freude zu lernen. Darum ging es in meinen Büchern. Und worin besteht diese Kunst der Freude? Vor allem darin, sich an den Dingen zu erfreuen, die wirklich zu einem passen – die irgendwie naturgemäß und unbegrenzt vorhanden sind. Wie gesagt: Ich habe immer die größte Freude, wenn ich mit guten Freunden durch meinen Garten schlendere . Denn ich bin dann völlig frei davon, irgendetwas Tolles oder Extremes erfahren zu müssen. Ich bin dann auch frei von Angst und Sorge. Ich glaube, das ganze Geheimnis der Freude liegt darin, so zu leben, dass man sich an allem freut, was ist, und nicht an dem, was man will. Du möchtest dich freuen? Dann hör auf, dich freuen zu wollen! EPIKUR (um 341 – 271/270 v. Chr.) gilt als Philosoph der Freude. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil: Zu allen Zeiten war er die Hassfigur von Moralpredigern, die ihn als Ahnherrn eines zügellosen Hedonismus verdammten. Tatsächlich ging es Epikur aber nicht um ein Maximum an Spaß, sondern um Selbstgenügsamkeit, die das Leben so nimmt, wie es ist. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher. Zuletzt erschienen: „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltäg liche Fragen“, legenda Q, 20<strong>21</strong>. DR. CHRISTOPH QUARCH BENE ROHLMANN 18 THE RED BULLETIN
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