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Fußball<br />
Karishma Ali<br />
hat im Hochland von Pakistan einen Sportklub für Mädchen<br />
gegründet und es auf die Bestenliste des US-Magazins<br />
„Forbes“ geschafft. Ihr nächstes Projekt? Ein Stadion bauen.<br />
Text ALEXANDRA ZAGALSKY<br />
Foto ABUZAR MIR<br />
Vor fünf Jahren feierte Karishma<br />
Ali eine bittersüße Premiere: Das<br />
damals 19-jährige Fußballtalent war<br />
die erste Frau aus ihrem Heimatbezirk<br />
Chitral, die an einem großen<br />
Sportwettbewerb im Ausland teilnahm<br />
– bei den muslimischen Jubilee<br />
Games in Dubai. Ali, seit ihrem<br />
neunten Lebensjahr Fußballfan,<br />
hatte in der Highschool in Pakistans<br />
Hauptstadt Islamabad Fußballspielen<br />
gelernt, wo die Teilnahme von Mädchen<br />
am Turnunterricht liberaler<br />
gesehen wurde als sonst im Land.<br />
Als die pakistanischen Fußballerinnen<br />
in Dubai auch noch die<br />
Silbermedaille gewannen, kehrte sie<br />
mit dem festen Entschluss zurück,<br />
mehr Frauen zum Sport zu ermutigen.<br />
Sie organisierte ein kleines, niederschwelliges<br />
Trainingslager und<br />
rechnete mit bescheidenem Zulauf.<br />
Zu ihrer Überraschung erschienen<br />
mehr als 50 Mädchen zum Training.<br />
Doch das hatte seinen Preis:<br />
Chitral – eine abgelegene Gebirgsregion<br />
im Norden Pakistans – ist<br />
außer gewöhnlich konservativ und<br />
patriarchalisch geprägt. Prompt wurde<br />
Ali Ziel von Beschimpfungen und<br />
Drohungen im Netz. „Damals überforderten<br />
mich der viele Hass und<br />
die harsche Kritik“, erinnert sich die<br />
24-Jährige. „Ich habe mich Nacht<br />
für Nacht in den Schlaf geweint.“<br />
Dennoch ließ sie sich nicht entmutigen.<br />
2018 gründete sie den<br />
Chitral Women’s Sports Club. Heute<br />
sind über 200 Frauen im Alter zwischen<br />
8 und 16 Jahren Mitglied in<br />
dem Verein. Die Aktion erregte weltweit<br />
Aufsehen, sodass es Karishma<br />
Ali 2019 auf die Bestenliste „30 unter<br />
30 in Asien“ des US-Wirtschaftsmagazins<br />
„Forbes“ schaffte.<br />
Inzwischen hat sie in Islamabad<br />
einen Abschluss der University of<br />
London in Business und Management<br />
gemacht und will diesen nutzen,<br />
um die Infrastruktur für Sport in der<br />
Region Chitral weiter zu verbessern.<br />
„Ich möchte ein Stadion für diese<br />
Mädchen bauen und den Sportklub<br />
in viele andere Täler tragen“, sagt<br />
sie. „Veränderung passiert nicht<br />
über Nacht, aber Fußball ist mehr<br />
als nur ein Spiel. Er ist ein Werkzeug,<br />
das positive Veränderung<br />
in die Gemeinschaften bringt.“<br />
the red bulletin: Fußball drängt<br />
sich jetzt als Hobby für ein Mädchen<br />
in Chitral nicht gerade auf …<br />
karishma ali: Das habe ich meinem<br />
Vater zu verdanken. Seit 2006<br />
schauen wir zusammen die WM,<br />
und danach war ich draußen und<br />
hab gekickt, was das Zeug hielt.<br />
Mein Vater ist sehr aufgeschlossen.<br />
Er hat 2002 die erste englische<br />
Schule in Chitral mitbegründet.<br />
Wenn Eltern ihre Söhne dort ausbilden<br />
lassen wollten, mussten sie<br />
auch ihre Töchter anmelden.<br />
Hast du geahnt, wie beliebt dein<br />
Fußballtrainingslager sein würde?<br />
Ich habe nur 20 Anmeldeformulare<br />
drucken lassen, aber die Mädels<br />
haben sie fotokopiert, sodass die<br />
Gruppe viel, viel größer wurde. Mir<br />
wurde bewusst, dass sie bereit sind,<br />
für ihre Rechte zu kämpfen, und<br />
dass ich ihnen dabei helfen konnte.<br />
Und wie hat sich das dann zu<br />
einem Sportklub entwickelt?<br />
Die Spielerinnen, mit denen ich<br />
arbeite, kommen aus 40 verschiedenen<br />
Dörfern. Manche von ihnen<br />
mussten bis zu zwei Stunden zu<br />
Fuß gehen. 2019 gewannen wir ein<br />
Stipendium, mit dem wir Geländewagen<br />
für den Transport zum Platz<br />
und zurück mieten konnten. Dadurch<br />
haben sich die Mitgliederzahlen<br />
verdoppelt. Chitral hat die höchste<br />
Selbstmordrate in ganz Pakistan,<br />
die meisten Betroffenen sind junge<br />
Frauen. Viele Mädchen kommen aus<br />
benachteiligten Situationen, der<br />
Fußball ermöglicht ihnen neue Perspektiven<br />
und eine Gemeinschaft.<br />
Dein Engagement hat dich auf die<br />
„Forbes“-Liste der „30 unter 30“<br />
Asiens gebracht …<br />
Ich war stolz, meinen Namen neben<br />
so inspirierenden Menschen wie<br />
Naomi Ōsaka (japanische Tennisspielerin;<br />
Anm.) zu sehen. Als Erstes<br />
habe ich meinen Vater angerufen,<br />
der seine Tränen nicht zurückhalten<br />
konnte. Vorher hatte man mich für<br />
verrückt gehalten, aber als ich die<br />
erste Bewohnerin von Chitral im<br />
„Forbes“ war, machte ich plötzlich<br />
Schlagzeilen in Pakistan. Das hat<br />
die Wahrnehmung von Frauen<br />
im Sport zum Besseren verändert.<br />
Trotzdem: Die Trolle im Netz<br />
haben sich schon versammelt …<br />
Wissen Sie was? Wenn die seinerzeit<br />
mein 19-jähriges Ich nicht aufhalten<br />
konnten, schaffen sie es<br />
heute erst recht nicht. Heute bin<br />
ich verrückt genug. Da stellt man<br />
sich mir besser nicht in den Weg.<br />
Twitter: @karishmaAli22<br />
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