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The Red Bulletin 09/21 AT

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Fußball<br />

Karishma Ali<br />

hat im Hochland von Pakistan einen Sportklub für Mädchen<br />

gegründet und es auf die Bestenliste des US-Magazins<br />

„Forbes“ geschafft. Ihr nächstes Projekt? Ein Stadion bauen.<br />

Text ALEXANDRA ZAGALSKY<br />

Foto ABUZAR MIR<br />

Vor fünf Jahren feierte Karishma<br />

Ali eine bittersüße Premiere: Das<br />

damals 19-jährige Fußballtalent war<br />

die erste Frau aus ihrem Heimatbezirk<br />

Chitral, die an einem großen<br />

Sportwettbewerb im Ausland teilnahm<br />

– bei den muslimischen Jubilee<br />

Games in Dubai. Ali, seit ihrem<br />

neunten Lebensjahr Fußballfan,<br />

hatte in der Highschool in Pakistans<br />

Hauptstadt Islamabad Fußballspielen<br />

gelernt, wo die Teilnahme von Mädchen<br />

am Turnunterricht liberaler<br />

gesehen wurde als sonst im Land.<br />

Als die pakistanischen Fußballerinnen<br />

in Dubai auch noch die<br />

Silbermedaille gewannen, kehrte sie<br />

mit dem festen Entschluss zurück,<br />

mehr Frauen zum Sport zu ermutigen.<br />

Sie organisierte ein kleines, niederschwelliges<br />

Trainingslager und<br />

rechnete mit bescheidenem Zulauf.<br />

Zu ihrer Überraschung erschienen<br />

mehr als 50 Mädchen zum Training.<br />

Doch das hatte seinen Preis:<br />

Chitral – eine abgelegene Gebirgsregion<br />

im Norden Pakistans – ist<br />

außer gewöhnlich konservativ und<br />

patriarchalisch geprägt. Prompt wurde<br />

Ali Ziel von Beschimpfungen und<br />

Drohungen im Netz. „Damals überforderten<br />

mich der viele Hass und<br />

die harsche Kritik“, erinnert sich die<br />

24-Jährige. „Ich habe mich Nacht<br />

für Nacht in den Schlaf geweint.“<br />

Dennoch ließ sie sich nicht entmutigen.<br />

2018 gründete sie den<br />

Chitral Women’s Sports Club. Heute<br />

sind über 200 Frauen im Alter zwischen<br />

8 und 16 Jahren Mitglied in<br />

dem Verein. Die Aktion erregte weltweit<br />

Aufsehen, sodass es Karishma<br />

Ali 2019 auf die Bestenliste „30 unter<br />

30 in Asien“ des US-Wirtschaftsmagazins<br />

„Forbes“ schaffte.<br />

Inzwischen hat sie in Islamabad<br />

einen Abschluss der University of<br />

London in Business und Management<br />

gemacht und will diesen nutzen,<br />

um die Infrastruktur für Sport in der<br />

Region Chitral weiter zu verbessern.<br />

„Ich möchte ein Stadion für diese<br />

Mädchen bauen und den Sportklub<br />

in viele andere Täler tragen“, sagt<br />

sie. „Veränderung passiert nicht<br />

über Nacht, aber Fußball ist mehr<br />

als nur ein Spiel. Er ist ein Werkzeug,<br />

das positive Veränderung<br />

in die Gemeinschaften bringt.“<br />

the red bulletin: Fußball drängt<br />

sich jetzt als Hobby für ein Mädchen<br />

in Chitral nicht gerade auf …<br />

karishma ali: Das habe ich meinem<br />

Vater zu verdanken. Seit 2006<br />

schauen wir zusammen die WM,<br />

und danach war ich draußen und<br />

hab gekickt, was das Zeug hielt.<br />

Mein Vater ist sehr aufgeschlossen.<br />

Er hat 2002 die erste englische<br />

Schule in Chitral mitbegründet.<br />

Wenn Eltern ihre Söhne dort ausbilden<br />

lassen wollten, mussten sie<br />

auch ihre Töchter anmelden.<br />

Hast du geahnt, wie beliebt dein<br />

Fußballtrainingslager sein würde?<br />

Ich habe nur 20 Anmeldeformulare<br />

drucken lassen, aber die Mädels<br />

haben sie fotokopiert, sodass die<br />

Gruppe viel, viel größer wurde. Mir<br />

wurde bewusst, dass sie bereit sind,<br />

für ihre Rechte zu kämpfen, und<br />

dass ich ihnen dabei helfen konnte.<br />

Und wie hat sich das dann zu<br />

einem Sportklub entwickelt?<br />

Die Spielerinnen, mit denen ich<br />

arbeite, kommen aus 40 verschiedenen<br />

Dörfern. Manche von ihnen<br />

mussten bis zu zwei Stunden zu<br />

Fuß gehen. 2019 gewannen wir ein<br />

Stipendium, mit dem wir Geländewagen<br />

für den Transport zum Platz<br />

und zurück mieten konnten. Dadurch<br />

haben sich die Mitgliederzahlen<br />

verdoppelt. Chitral hat die höchste<br />

Selbstmordrate in ganz Pakistan,<br />

die meisten Betroffenen sind junge<br />

Frauen. Viele Mädchen kommen aus<br />

benachteiligten Situationen, der<br />

Fußball ermöglicht ihnen neue Perspektiven<br />

und eine Gemeinschaft.<br />

Dein Engagement hat dich auf die<br />

„Forbes“-Liste der „30 unter 30“<br />

Asiens gebracht …<br />

Ich war stolz, meinen Namen neben<br />

so inspirierenden Menschen wie<br />

Naomi Ōsaka (japanische Tennisspielerin;<br />

Anm.) zu sehen. Als Erstes<br />

habe ich meinen Vater angerufen,<br />

der seine Tränen nicht zurückhalten<br />

konnte. Vorher hatte man mich für<br />

verrückt gehalten, aber als ich die<br />

erste Bewohnerin von Chitral im<br />

„Forbes“ war, machte ich plötzlich<br />

Schlagzeilen in Pakistan. Das hat<br />

die Wahrnehmung von Frauen<br />

im Sport zum Besseren verändert.<br />

Trotzdem: Die Trolle im Netz<br />

haben sich schon versammelt …<br />

Wissen Sie was? Wenn die seinerzeit<br />

mein 19-jähriges Ich nicht aufhalten<br />

konnten, schaffen sie es<br />

heute erst recht nicht. Heute bin<br />

ich verrückt genug. Da stellt man<br />

sich mir besser nicht in den Weg.<br />

Twitter: @karishmaAli22<br />

34 THE RED BULLETIN

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