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The Red Bulletin 09/21 AT

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Streetball<br />

spürte er sofort, dass der Platz anders<br />

war. Graham war als Lebensmittellieferant<br />

viel unter wegs. Im Gegensatz zu den<br />

typischen Basketballplätzen in New York,<br />

auf denen nur Leute aus dem Viertel anzutreffen<br />

waren, kamen hier Spieler aus<br />

allen Teilen der Stadt zusammen – und<br />

das heißt: Spieler aus der ganzen Welt.<br />

„Du triffst hier auch heute noch Juden,<br />

Italiener, Iren, Schwarze, Native Ame ricans,<br />

alles Mögliche“, sagt Graham. „In<br />

keinem anderen Park im ganzen Land<br />

hast du so eine Diversität.“<br />

Die besondere Lage spielt natürlich<br />

auch eine Rolle. Die meisten Outdoor-<br />

Basketballplätze New Yorks verstecken<br />

sich in entlegenen Winkeln der Stadt,<br />

aber der West 4th liegt in Greenwich<br />

Village, an der 6th Avenue, einer der<br />

großen Verkehrsadern Manhattans.<br />

Die U-Bahn-Station West 4th Street ist<br />

ein Knotenpunkt für das öffentliche Verkehrsnetz<br />

– ein Ausgang befindet sich<br />

gleich neben dem Platz. „Es ist fast, als<br />

würdest du mitten am Broadway spielen“,<br />

meint Jason Curry. „Alle Augen sind auf<br />

dich gerichtet.“<br />

Die Spiele hier ziehen schon lange<br />

Passanten an. Irgendwann in den Sechzigern<br />

gab es schon einmal eine Liga, die<br />

aber nur ein paar Jahre überlebte. Als<br />

einige Trainer entschieden, die West 4th<br />

League neu zu organisieren, erkannte<br />

Kenny Graham das Potenzial für etwas<br />

Großes. Er heuerte bei der Liga an und<br />

stieg innerhalb von zwei Jahren zu ihrem<br />

Co-Commissioner und Direktor auf.<br />

In diesen Funktionen zeigte sich<br />

Grahams Händchen für den Aufbau<br />

einer Marke. Er schuf „Kenny Graham’s<br />

West 4th Street Pro-Classic“ mit eigenem<br />

Logo und Merchandising. In den frühen<br />

Achtzigern zogen die Summer Leagues<br />

immer größere Namen aus der College-<br />

Liga, selbst aus dem Profi-Lager an. Die<br />

Sache schaukelte sich hoch: Je höher das<br />

Niveau, desto mehr Publikum kam, und<br />

so wurden die Namen noch größer. Sogar<br />

Julius Erving alias Dr. J, in den Siebzigern<br />

einer der Überflieger der NBA, stopfte<br />

damals ein paar Körbe im Käfig.<br />

Schon bald beehrten nicht mehr nur<br />

New Yorker Spieler den winzigen Platz.<br />

Jason Curry erinnert sich, wie einmal<br />

vor etwa zehn Jahren plötzlich NBA-Star<br />

Dwight Howard auftauchte – es war zu<br />

jener Zeit, als er als aufregendster Spieler<br />

der Welt gefeiert wurde –, nur um sich<br />

ein Match anzuschauen. Die Popkultur<br />

folgte. Die Hollywoodstars Denzel Wa-<br />

„Es ist fast so, als würdest du<br />

mitten am Broadway spielen – alle<br />

Augen sind auf dich gerichtet.“<br />

shington und Spike Lee waren da. Hip-<br />

Hop-Größen schauen vor bei, und Werbespots<br />

für nationale Kam pagnen werden<br />

hier gedreht. Wer es persönlich nicht<br />

auf den West 4th schafft, kann sich dort<br />

virtu ell austoben: im Video spiel „NBA<br />

Street V3“ von EA Sports.<br />

Die Pandemie zwang den Summer<br />

Leagues eine einjährige Pause auf.<br />

Wenn die Stadt wieder voller Leben ist,<br />

werden sich auch wieder Touristen zu<br />

den Stamm-Zuschauern am Käfig gesellen.<br />

Graham wird Kappen und Trikots<br />

verkaufen an Menschen aus Südkorea,<br />

Norwegen und Brasilien und ihnen das<br />

Gefühl geben, genau hier im Zentrum<br />

der Basketballwelt zu sein.<br />

Der Platz ist ein Fluchtort<br />

Jack Ryan wuchs als Basketball-Wilder in<br />

Brooklyn auf. Als er zwölf Jahre alt war,<br />

konnte ihm kein Gleichaltriger mehr das<br />

Wasser reichen, sein vier Jahre älterer<br />

Bruder ließ ihn bei seinen Freunden<br />

mitspielen. Als er auch die an die Wand<br />

spielte, fand Ryan, dass es an der Zeit<br />

sei, sich in Manhattan zu messen. „Ich<br />

sagte mir, okay, mal sehen, wie gut ich<br />

wirklich bin“, erinnert er sich. Wo er<br />

hingehen musste, war klar: in den Park<br />

an der West 4th Street.<br />

So nahm die Legende von „Black<br />

Jack“ Ryan in den Achtzigern ihren Anfang.<br />

Ryan wurde auch dafür berühmt,<br />

dass er Angebote von Colleges und aus<br />

der NBA in den Wind schlug – seine<br />

Unreife und eine schwierige Kindheit<br />

trugen sicherlich viel dazu bei. Der<br />

Kose name seines Vaters für ihn war ein<br />

F-Wort, sein eigentliches Zuhause war<br />

der West 4th. Black Jack und der Platz<br />

waren wie füreinander geschaffen.<br />

Einmal flog er wegen zu viel Show aus<br />

einem College-Team, aber Streetball<br />

funktioniert anders: Im Käfig war sein<br />

aufreizendes Spiel eine Waffe.<br />

Gegen Phil Sellers, einen ehemaligen<br />

Profi der Detroit Pistons, machte Ryan<br />

Zuseher am Zaun an der West 4th Street: Beleidigungen gehören hier zum guten Ton.<br />

THE RED BULLETIN 59

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