Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Streetball<br />
spürte er sofort, dass der Platz anders<br />
war. Graham war als Lebensmittellieferant<br />
viel unter wegs. Im Gegensatz zu den<br />
typischen Basketballplätzen in New York,<br />
auf denen nur Leute aus dem Viertel anzutreffen<br />
waren, kamen hier Spieler aus<br />
allen Teilen der Stadt zusammen – und<br />
das heißt: Spieler aus der ganzen Welt.<br />
„Du triffst hier auch heute noch Juden,<br />
Italiener, Iren, Schwarze, Native Ame ricans,<br />
alles Mögliche“, sagt Graham. „In<br />
keinem anderen Park im ganzen Land<br />
hast du so eine Diversität.“<br />
Die besondere Lage spielt natürlich<br />
auch eine Rolle. Die meisten Outdoor-<br />
Basketballplätze New Yorks verstecken<br />
sich in entlegenen Winkeln der Stadt,<br />
aber der West 4th liegt in Greenwich<br />
Village, an der 6th Avenue, einer der<br />
großen Verkehrsadern Manhattans.<br />
Die U-Bahn-Station West 4th Street ist<br />
ein Knotenpunkt für das öffentliche Verkehrsnetz<br />
– ein Ausgang befindet sich<br />
gleich neben dem Platz. „Es ist fast, als<br />
würdest du mitten am Broadway spielen“,<br />
meint Jason Curry. „Alle Augen sind auf<br />
dich gerichtet.“<br />
Die Spiele hier ziehen schon lange<br />
Passanten an. Irgendwann in den Sechzigern<br />
gab es schon einmal eine Liga, die<br />
aber nur ein paar Jahre überlebte. Als<br />
einige Trainer entschieden, die West 4th<br />
League neu zu organisieren, erkannte<br />
Kenny Graham das Potenzial für etwas<br />
Großes. Er heuerte bei der Liga an und<br />
stieg innerhalb von zwei Jahren zu ihrem<br />
Co-Commissioner und Direktor auf.<br />
In diesen Funktionen zeigte sich<br />
Grahams Händchen für den Aufbau<br />
einer Marke. Er schuf „Kenny Graham’s<br />
West 4th Street Pro-Classic“ mit eigenem<br />
Logo und Merchandising. In den frühen<br />
Achtzigern zogen die Summer Leagues<br />
immer größere Namen aus der College-<br />
Liga, selbst aus dem Profi-Lager an. Die<br />
Sache schaukelte sich hoch: Je höher das<br />
Niveau, desto mehr Publikum kam, und<br />
so wurden die Namen noch größer. Sogar<br />
Julius Erving alias Dr. J, in den Siebzigern<br />
einer der Überflieger der NBA, stopfte<br />
damals ein paar Körbe im Käfig.<br />
Schon bald beehrten nicht mehr nur<br />
New Yorker Spieler den winzigen Platz.<br />
Jason Curry erinnert sich, wie einmal<br />
vor etwa zehn Jahren plötzlich NBA-Star<br />
Dwight Howard auftauchte – es war zu<br />
jener Zeit, als er als aufregendster Spieler<br />
der Welt gefeiert wurde –, nur um sich<br />
ein Match anzuschauen. Die Popkultur<br />
folgte. Die Hollywoodstars Denzel Wa-<br />
„Es ist fast so, als würdest du<br />
mitten am Broadway spielen – alle<br />
Augen sind auf dich gerichtet.“<br />
shington und Spike Lee waren da. Hip-<br />
Hop-Größen schauen vor bei, und Werbespots<br />
für nationale Kam pagnen werden<br />
hier gedreht. Wer es persönlich nicht<br />
auf den West 4th schafft, kann sich dort<br />
virtu ell austoben: im Video spiel „NBA<br />
Street V3“ von EA Sports.<br />
Die Pandemie zwang den Summer<br />
Leagues eine einjährige Pause auf.<br />
Wenn die Stadt wieder voller Leben ist,<br />
werden sich auch wieder Touristen zu<br />
den Stamm-Zuschauern am Käfig gesellen.<br />
Graham wird Kappen und Trikots<br />
verkaufen an Menschen aus Südkorea,<br />
Norwegen und Brasilien und ihnen das<br />
Gefühl geben, genau hier im Zentrum<br />
der Basketballwelt zu sein.<br />
Der Platz ist ein Fluchtort<br />
Jack Ryan wuchs als Basketball-Wilder in<br />
Brooklyn auf. Als er zwölf Jahre alt war,<br />
konnte ihm kein Gleichaltriger mehr das<br />
Wasser reichen, sein vier Jahre älterer<br />
Bruder ließ ihn bei seinen Freunden<br />
mitspielen. Als er auch die an die Wand<br />
spielte, fand Ryan, dass es an der Zeit<br />
sei, sich in Manhattan zu messen. „Ich<br />
sagte mir, okay, mal sehen, wie gut ich<br />
wirklich bin“, erinnert er sich. Wo er<br />
hingehen musste, war klar: in den Park<br />
an der West 4th Street.<br />
So nahm die Legende von „Black<br />
Jack“ Ryan in den Achtzigern ihren Anfang.<br />
Ryan wurde auch dafür berühmt,<br />
dass er Angebote von Colleges und aus<br />
der NBA in den Wind schlug – seine<br />
Unreife und eine schwierige Kindheit<br />
trugen sicherlich viel dazu bei. Der<br />
Kose name seines Vaters für ihn war ein<br />
F-Wort, sein eigentliches Zuhause war<br />
der West 4th. Black Jack und der Platz<br />
waren wie füreinander geschaffen.<br />
Einmal flog er wegen zu viel Show aus<br />
einem College-Team, aber Streetball<br />
funktioniert anders: Im Käfig war sein<br />
aufreizendes Spiel eine Waffe.<br />
Gegen Phil Sellers, einen ehemaligen<br />
Profi der Detroit Pistons, machte Ryan<br />
Zuseher am Zaun an der West 4th Street: Beleidigungen gehören hier zum guten Ton.<br />
THE RED BULLETIN 59