Leseprobe Achtsamkeit

Ich bin Psychologe, weshalb Sie mir vielleicht etwas über Ihre Persönlichkeit,
Ihre Überzeugungen, Ihren Charakter oder Ihre Werte
erzählen. Diese beschreiben mir jedoch Ihr Verhalten oder Ihre
Motivationen, sagen mir aber nicht, wer Sie sind, nichts über Ihr
»Selbst«. Je mehr Fragen ich Ihnen hier stelle, umso deutlicher
wird, wie schwer es ist, eine dauerhafte, unveränderliche Idee
über Ihr »Selbst« zu entwickeln.
ICH DENKE, ALSO ... ?
Tatsächlich spielt die traditionelle östliche Philosophie dieses
Fragespiel immer weiter und stellt damit die an der westlichen
Tradition orientierte Idee infrage, dass das »Selbst«, also unsere
Identität, tatsächlich existiert. Stattdessen wird behauptet, dass
es eigentlich gar kein »Selbst« gibt. Natürlich heißt das nicht, dass
wir nicht körperlich existieren. Wir empfinden schließlich Schmerz,
also existieren wir! Stattdessen bedeutet es, dass das »Selbst«,
das wir meinen, wenn wir an uns selbst denken oder uns selbst
beschreiben, keine dauerhafte, unabhängige Identität ist. Dieses
Konzept des »Selbst« ist in gewisser Weise immer mit anderen
Dingen und Ideen verknüpft und ändert sich ständig, weshalb es
auch so schwer zu fassen ist.
Ich möchte mich jetzt nicht in philosophischen Diskussionen ergehen,
im Sinne von »Wenn ein Baum im Wald umfällt und das
niemand hört, gibt es dann ein Geräusch?« Die westliche Psychologie
bevorzugt nämlich einen rationaleren Ansatz, der der Maxime
von René Decartes folgt: »Ich denke, also bin ich.« Aber selbst die
kognitive Psychologie gibt gern zu, dass das »Selbst«, also unser
Denken, unsere Identität, zumindest gesellschaftlich beeinflusst
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