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HR_Today_6&7_2022

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PEOPLE<br />

Im Gespräch<br />

FRAG, WAS DU FÜR<br />

DEIN LAND TUN KANNST<br />

EINE NEUE INITIATIVE WILL DEN BISHERIGEN ZIVIL- UND MILITÄRDIENST ABLÖSEN. KÜNFTIG SOLLEN ALLE BEWOHNENDEN<br />

DER SCHWEIZ EINEN DIENST FÜR DIE GEMEINSCHAFT LEISTEN. NOÉMIE ROTEN, CO-PRÄSIDENTIN VON SERVICECITOYEN.CH,<br />

ÜBER DEN GESELLSCHAFTLICHEN FORTSC<strong>HR</strong>ITT, DEN DIE INITIATIVE BRINGEN SOLL.<br />

Interview: Corinne Päper<br />

6&7 | <strong>2022</strong><br />

Sie wollen mit der «Service Citoyen»-Initiative eine Milizpflicht für<br />

alle einführen, die den Zivil- und Militärdienst ersetzt. Weshalb?<br />

Noémie Roten: Nicht alle fühlen sich vom Militärdienst oder Zivilschutz<br />

angesprochen. Durch die aktuelle Gesetzeslage kann sich der Zivildienst<br />

nicht autonom entwickeln. Ein Beispiel: Wollen Frauen Zivildienst leisten,<br />

müssen sie sich zunächst fürs Militär anmelden, sich für physisch tauglich<br />

erklären lassen und dann glaubhaft machen, dass sie mit dem<br />

Militärdienst einen Gewissenskonflikt erleiden. Das ist etwas schizophren.<br />

Deshalb gibt es derzeit gerade 16 weibliche Zivildienstleistende. Zudem<br />

nimmt das freiwillige gesellschaftliche Engagement ab. Ob sich jemand<br />

engagiert, hängt weitgehend von seinem Einkommen ab: Menschen<br />

aus besseren Schichten können es sich leisten, auf einen Teil ihres Lohns<br />

zu verzichten oder sich ohne Entschädigung für die Gesellschaft einzusetzen.<br />

Kaum ehrenamtlich arbeiten vor allem Alleinerziehende, Menschen<br />

im Tieflohnsegment oder Arbeitnehmende in einem Betrieb, der<br />

dieses Engagement nicht zulässt. Mit dem «Service Citoyen» wird Engagement<br />

unabhängig vom Lohn, der Lebens- und Arbeitssituation: Alle<br />

werden entschädigt, weil Teilnehmende aus der Erwerbsersatzordnung<br />

(EO) einen Lohnersatz erhalten. Deshalb sehe ich den «Service Citoyen»<br />

als etwas Befreiendes. Jeder und jede kann unabhängig von seiner<br />

Lebenssituation etwas für die Gesellschaft und die Umwelt tun. Gesellschaftliches<br />

Engagement wird angesichts anstehender Herausforderungen<br />

wie der Klimakrise, der Ernährungs- und Energieversorgung, des<br />

Pflegenotstands oder der Vereinsamung der Menschen immer wichtiger.<br />

Kann man Engagement erzwingen?<br />

Nein! Aber ich sehe den «Service Citoyen» auch nicht als Zwang. Viele<br />

möchten sich engagieren, können es aber nicht, weil ihnen die Zeit<br />

fehlt, sie finanzielle Einbussen befürchten oder das Milizsystem nicht<br />

kennen. Der «Service Citoyen» schafft dafür einen geschützten Freiraum.<br />

Deshalb ist der Dienst eher ein Pflichtwahlfach, basierend auf<br />

einem republikanischen, positiven Menschenbild. Jeder und jede kann,<br />

will und soll Verantwortung in der Gesellschaft wahrnehmen. Ganz<br />

nach dem Motto: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern,<br />

was du für dein Land tun kannst.<br />

Das tönt ein wenig schönfärberisch. Ist es aber nicht so, dass<br />

Menschen, die etwas tun müssen, obwohl sie nicht wollen, nicht<br />

mit dem Herzen dabei sind? Das bringt doch keiner Seite etwas.<br />

Wie stehen Sie dazu?<br />

Ich glaube nicht, dass viele verweigern werden, wenn sie den Einsatz<br />

in einem Bereich leisten können, den sie sich selbst aussuchen. Im Kern<br />

ist man dann motiviert, wenn es für einen persönlich Sinn macht. Wer<br />

nicht mitmachen kann oder will, zahlt (wie heute) eine Ersatzabgabe.<br />

Es ist sicher nicht im Sinne der Initianten, Menschen ins Gefängnis zu<br />

bringen, die sich mit Händen und Füssen gegen den «Service Citoyen»<br />

wehren.<br />

Zahlreiche Unternehmen engagieren sich bereits heute in der Freiwilligenarbeit.<br />

Innerhalb von Corporate Social Responsibility<br />

gewähren sie freie Tage, damit sich Mitarbeitende freiwillig engagieren.<br />

Weshalb dann noch einen «Service Citoyen»?<br />

Solche Modelle findet man eher in grossen, etablierten Unternehmen.<br />

Grundsätzlich schliesst das eine das andere aber nicht aus. Im Gegenteil.<br />

Das eine wird das andere positiv verstärken.<br />

JEDER UND JEDE KANN,<br />

WILL UND SOLL<br />

VERANTWORTUNG<br />

IN DER GESELLSCHAFT<br />

WA<strong>HR</strong>NEHMEN.<br />

NOÉMIE ROTEN<br />

Wer würde zum Dienst verpflichtet?<br />

Der «Service Citoyen» betrifft primär jüngere Menschen. Wie im Militär<br />

jene zwischen 18 und 35 Jahren. In welchem Zeitraum der Dienst geleistet<br />

werden muss, ist im revidierten Bundesverfassungsartikel nicht<br />

festgehalten. Das muss per Gesetz geregelt werden. Denkbar sind<br />

Modelle wie im Militär: beispielsweise Durchdiener-Modelle, bei denen<br />

«Service Citoyen»-Dienstleistende zehn Monate am Stück oder drei<br />

Einsätze zu drei Monaten leisten.<br />

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