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HR_Today_6&7_2022

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THEMA<br />

Arbeit und Recht<br />

DIE KÜNDIGUNGSFRIST<br />

UND I<strong>HR</strong>E BERECHNUNG<br />

HÄUFIGE «KNACKNÜSSE» BEI DER FRIST FÜR DIE ORDENTLICHE KÜNDIGUNG<br />

BETREFFEN DIE ZUSTELLUNG DER KÜNDIGUNG. AB WANN DIESE GILT UND WIE SICH<br />

EINE ERKRANKUNG EINES MITARBEITENDEN AUF DIE KÜNDIGUNGSFRIST AUSWIRKT.<br />

Gastbeitrag: Philipp Meier Schleich<br />

Philipp Meier Schleich<br />

ist Rechtsanwalt und<br />

Partner bei LANTER<br />

Anwälte & Steuerberater.<br />

Er berät und<br />

vertritt Unternehmen<br />

und Privatpersonen in<br />

allen arbeitsrechtlichen<br />

Belangen. lanter.biz<br />

Damit eine ordentliche Kündigung auf den beabsichtigten<br />

Termin wirksam ist, muss sie dem Empfänger vor Beginn der<br />

Kündigungsfrist «zugehen». 1 Dieser Zugang wirft in der Praxis<br />

immer wieder Fragen auf. Problemlos ist eine mündliche<br />

Erklärung oder eine persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens<br />

an den Empfänger. In diesen Fällen findet der<br />

Zugang sofort und ohne Verzögerung statt.<br />

Verzögerter Zugang<br />

In anderen Fällen erfolgt der Zugang später, nämlich wenn<br />

die Erklärung in den «Machtbereich» des Empfängers (wie<br />

etwa dessen Briefkasten) gelangte und nach Treu und Glauben<br />

angenommen werden darf, der Empfänger habe die<br />

Möglichkeit zur Kenntnisnahme gehabt. So gilt ein am Sonntag<br />

in den Briefkasten des Empfängers eingeworfenes Kündigungsschreiben<br />

normalerweise frühestens am Montag als<br />

zugestellt. Sonderregeln gelten, wenn das Kündigungsschreiben<br />

per eingeschriebenem Brief verschickt wurde, der Postbote<br />

den Empfänger aber nicht zu Hause antraf und daher<br />

eine Abholungseinladung hinterliess. Hier wird meist angenommen,<br />

dass der Zugang an jenem Tag erfolgte, ab dem<br />

der Brief bei der Post zur Abholung bereit lag. Das ist in der<br />

Regel der erste Werktag nach dem Zustellversuch.<br />

Etwas anderes gilt, wenn der Empfänger – etwa wegen eines<br />

Spitalaufenthalts oder einer Ferienreise – nicht in der Lage<br />

ist, Kenntnis vom Kündigungsschreiben zu erlangen, und der<br />

Kündigende davon wusste. Dann muss anhand der Umstände<br />

bestimmt werden, ab welchem Zeitpunkt man nach Treu und<br />

Glauben annehmen darf, der Empfänger habe vom Schreiben<br />

Kenntnis erlangen können.<br />

Diese Fristen können durch eine schriftliche Abrede, einen<br />

Normalarbeits- oder einen Gesamtarbeitsvertrag abgeändert<br />

werden, wobei eine Herabsetzung der Frist auf unter einen<br />

Monat einzig durch einen Gesamtarbeitsvertrag und nur für<br />

das erste Dienstjahr erfolgen darf (Artikel 335 Absatz 2 OR).<br />

Gilt die gesetzliche Regelung, fragt sich bei den Übergängen<br />

vom ersten zum zweiten und vom neunten zum zehnten Dienstjahr,<br />

welche Kündigungsfrist zur Anwendung kommt. Gemäss<br />

Rechtsprechung ist der Zeitpunkt des Kündigungszugangs beim<br />

Empfänger entscheidend. Das heisst: Erfolgt der Zugang noch<br />

vor Ende des ersten Dienstjahrs, gilt die Frist des ersten Dienstjahrs,<br />

die nur einen Monat beträgt – auch wenn die Frist in das<br />

zweite Dienstjahr «hineinragt» und das Ende des Arbeitsverhältnisses<br />

somit in diesem zu liegen kommt.<br />

Achtung bei Arbeitsunfähigkeit<br />

Eine weitere Konstellation, die in der Praxis oft zu Fragen führt:<br />

Der Arbeitnehmende wird für eine gewisse Zeit arbeitsunfähig,<br />

nachdem der Arbeitgebende gekündigt hat. Für den Fall, dass<br />

«der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit<br />

oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung<br />

verhindert ist», statuiert das Gesetz bei nach der Probezeit ausgesprochenen<br />

Arbeitgeber-Kündigungen eine Sperrfrist, deren<br />

Dauer vom Dienstjahr abhängt. (Artikel 336c Absatz 1 lit. b OR):<br />

Dienstjahr<br />

Sperrfrist<br />

1 30 Tage<br />

2 bis 5 90 Tage<br />

≥ 6<br />

180 Tage<br />

1<br />

Zu weiteren Voraussetzun­<br />

Grenzfälle bei der Fristdauer<br />

Hinsichtlich der Dauer der Frist für die ordentliche Kündigung<br />

nach der Probezeit enthält das Gesetz eine Regelung, die auf<br />

die Anzahl Dienstjahre abstellt (Artikel 335c Absatz 1 Obligationenrecht,<br />

OR):<br />

Dienstjahr<br />

Kündigungsfrist<br />

1 1 Monat*<br />

Tritt eine Sperrfrist ein, nachdem eine Kündigung ausgesprochen<br />

wurde, bewirkt diese eine Unterbrechung der Kündigungsfrist,<br />

wenn sie bis dahin noch nicht abgelaufen ist<br />

(Artikel 336c Absatz 2 OR). Gilt für die Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses ein Endtermin, wie das Monatsende, und<br />

fällt dieser nicht mit dem Ende der fortgesetzten Kündigungsfrist<br />

zusammen, verlängert sich diese Frist bis zum nächstfolgenden<br />

Endtermin (Artikel 336c Absatz 3 OR).<br />

6&7 | <strong>2022</strong><br />

gen wie allfälligen Formvorschriften<br />

siehe beispielsweise<br />

«Stolpersteine bei der<br />

ordentlichen Kündigung»,<br />

<strong>HR</strong> <strong>Today</strong> 04/2014.<br />

2 bis 9 2 Monate*<br />

≥ 10<br />

* je auf Ende eines Monats<br />

3 Monate*<br />

Rückrechnung vom Endtermin<br />

Hier fragt sich zunächst, ob und wie die Kündigungsfrist<br />

unterbrochen wird. Gemäss neuerer Rechtsprechung<br />

bestimmt sich die Kündigungsfrist durch Rückrechnung vom<br />

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