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HR_Today_6&7_2022

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Im Gespräch<br />

PEOPLE<br />

Was bringt es der Gesellschaft?<br />

Wer sich in jüngeren Jahren gesellschaftlich engagiert, wird es auch<br />

später tun. Das zeigen verschiedene Studien. Mit der Initiative wird der<br />

«Service Citoyen» Teil der Grundbildung. Menschen lernen so, Verantwortung<br />

für die Gesellschaft zu übernehmen. Sie können ihre Talente<br />

einbringen, sich ein Netzwerk aufbauen, Menschen aus unterschiedlichsten<br />

Gesellschaftsschichten kennenlernen und ein Verständnis füreinander<br />

über alle Landessprachen und -grenzen hinweg entwickeln.<br />

Wer mit anderen zusammen etwas unternimmt, fühlt sich zudem vermehrt<br />

zugehörig. Das schweisst die Gesellschaft zusammen. Das Milizsystem<br />

zu stärken, ist wichtig: Es gehört zum Selbstverständnis der<br />

Schweiz und verhindert, dass sich eine kleine Elite vom Volk abkoppelt.<br />

FOTO: ZVG<br />

Gesellschaftliches Engagement ist häufig nicht sichtbar. Wie liesse<br />

sich das ändern?<br />

Beispielsweise durch ein Punktesystem. Wer sich freiwillig engagiert,<br />

sammelt Punkte, die er später einlöst, beispielsweise, weil er pflegebedürftig<br />

wird und Hilfe braucht. Ein Nachweis könnte auch über ein<br />

Dienstbuch erfolgen oder ein Abschlusszeugnis, worin aufgeführt ist,<br />

was man gemacht hat. Es spielt keine Rolle, wie man das gesellschaftliche<br />

Engagement aufwertet und sichtbar macht. Hauptsache, es wird<br />

getan. Heute ist das häufig nicht so. Als einer meiner Westschweizer<br />

Kollegen eine <strong>HR</strong>-Weiterbildung machen wollte, wurde seine Personalmanagement-Erfahrung<br />

im Freiwilligenbereich nicht anerkannt. Das<br />

ist sehr bedauerlich, denn das Management von Freiwilligen ist grundsätzlich<br />

schwieriger als das von Angestellten. Ehrenamtliche bekommen<br />

meist keinen Lohn. Sie für eine Arbeit zu begeistern, ohne sie dafür zu<br />

bezahlen, ist sehr herausfordernd. Von dieser Erfahrung würden auch<br />

Arbeitgebende profitieren.<br />

Arbeitgebende müssen immer mehr Arbeitsausfälle verkraften:<br />

Militär, Mutter- und Vaterschutz und jetzt noch den «Service<br />

Citoyen» …<br />

Ein Geschäft, das pleitegeht, nur weil ein Angestellter fehlt, hat wohl<br />

auch sonst strukturelle Probleme. Den meisten Geschäften bringen<br />

diese Absenzen aber etwas: Die Beschäftigten werden ausgebildet und<br />

erweitern ihren Horizont. Zudem trägt der Dienst zum sozialen Frieden<br />

bei. Daneben werden Arbeitgebende für diese Ausfälle auch entschädigt<br />

und können einen personellen Ersatz langfristig planen. Dennoch<br />

muss sich die Wirtschaft darauf einstellen, dass manche Mitarbeitende<br />

ab und zu länger weg sind.<br />

Kurzzeitige Freiwilligeneinsätze sind vor allem für kleinere Organisationen,<br />

die Arbeitsplätze für Freiwillige anbieten, mit grossem<br />

(personellen) Aufwand verbunden. Wer bezahlt diesen Aufwand?<br />

Heute müssen sich Einsatzbetriebe melden, wenn sie Zivildienstleistende<br />

beschäftigen wollen. Dafür gibt es einen strengen Selektionsprozess. Es<br />

stimmt aber: Bei gewissen Tätigkeiten lohnt es sich nicht, für einen viermonatigen<br />

Einsatz jemanden einzuarbeiten, der dann nur wenige Wochen<br />

oder Monate produktiv ist. Bei anderen Tätigkeiten hingegen schon,<br />

beispielsweise bei der Seniorenuniversität im Kanton Waadt. Dort kümmert<br />

sich alle sechs Monate ein anderer Zivildienstleistender um die<br />

Koordination der Bildungsangebote. Ohne sie gäbe es diese Institution<br />

wohl nicht. Ein weiteres Beispiel ist die Pflege. In vielen Dienstleistungen<br />

fehlt es an der Zeit füreinander und deshalb auch an Menschlichkeit.<br />

Zwar wird ein «Service Citoyen»-Dienstleistender eine qualifizierte Pflegefachkraft<br />

nicht ersetzen, er kann sie aber administrativ unterstützen,<br />

Patienten bei Arztbesuchen begleiten, im Pflegeheim Essen verteilen, mit<br />

Bewohnenden spazieren gehen oder Anlässe organisieren. Diese Arbeiten<br />

lassen sich künftig nicht alleine durch Mehrausbildung, Migration oder<br />

Abwerben von Fachkräften aus dem Ausland abdecken. Es gibt also<br />

genügend Arbeiten, die komplementär zur Wirtschaft mit Freiwilligen<br />

abgedeckt werden können. Übrigens wollen momentan mehr Zivildienstleistende<br />

einen Einsatz leisten, als es Einsatzplätze gibt. 2019 wurde die<br />

Zulassung neuer Einsatzbetriebe beschränkt, weil man im Parlament<br />

Angst hatte, dass die Armeebestände nicht mehr garantiert sind.<br />

Ihr Ansinnen ist nobel, wird den Steuerzahlenden aber voraussichtlich<br />

mehr kosten …<br />

Ja der Dienst wird mehr kosten als heute, aber weniger, als anfänglich<br />

vermutet. Zwar wird der Rekrutierungspool erweitert, die Zahl der Diensttage<br />

pro Kopf könnte aber auch reduziert werden. Wir möchten den<br />

Leuten aufzeigen, welchen gesellschaftlichen Nutzen die Initiative bringt,<br />

nämlich dass der Dienst an der Gesellschaft mehr bringt, als er kostet.<br />

Das ist nicht ganz einfach: Die Mehrkosten sind einfacher zu beziffern<br />

als der Nutzen, der ein gesellschaftliche Wirgefühl stiftet. Die Initiative<br />

ist eine ideale Plattform, um diese Diskussion zu führen.<br />

a<br />

«Service Citoyen»-Initiative<br />

Die «Service Citoyen»-Initiative will eine aktive Schweiz, in der Gleichberechtigung,<br />

sozialer Zusammenhalt und Solidarität wieder selbstverständlich<br />

sind. Deswegen fordert sie, dass jede und jeder einmal im<br />

Leben einen Einsatz zugunsten von Gesellschaft und Umwelt leistet – sei<br />

es Militärdienst, Zivildienst, Zivilschutz oder durch ein anderes Milizengagement.<br />

Die Initiative macht einen historischen Doppelschritt: Sie sorgt<br />

für die Gleichstellung aller Geschlechter beim Dienst an der Gesellschaft.<br />

Dazu werden Zivildienst und soziales Engagement dem Militärdienst<br />

gleichgestellt. Weg von einer rein männlichen Wehrpflicht zu einem «Service<br />

Citoyen» für alle, weil jede und jeder zählt.<br />

servicecitoyen-initiative.ch<br />

6&7 | <strong>2022</strong><br />

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