BS 08-2017
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Auftraggeber Felix Eisenhardt<br />
ist sichtlich erleichtert. Ab dem<br />
4. August <strong>2017</strong> wird das Schiff<br />
auf dem Strelasund erprobt<br />
Schiffstechnik<br />
Ein klimaneutrales Seminarschiff<br />
Einen Tag vor dem Diesel-Gipfel in Berlin wurde in Stralsund ein mit Solarkraft<br />
angetriebener Schiffsneubau von den Spezialunternehmen Formstaal und Ostseestaal<br />
zu Wasser gelassen<br />
Foto: Uwe Manzke<br />
Mit Hilfe des Schiffslifts der MV<br />
Werften wurde das erste Elektro-<br />
Solar-Seminarschiff »Orca ten Broke«<br />
ins nasse Element abgesenkt. Der Berliner<br />
Felix Eisenhardt, Geschäftsführer der<br />
Seminarschiff Fluxservice GmbH, hat das<br />
knapp 36 m lange Veranstaltungsschiff in<br />
Auftrag gegeben.<br />
Das Schiffsprojekt ist für Eisenhardt<br />
eine Herzenssache. »Es war reiner Zufall,<br />
dass unser Stapellauf nur ein Tag vor dem<br />
umstrittenden ›Dieselgipfel‹ der Bundesregierung<br />
stattfand. Was an Emissionen<br />
auf den Binnengewässern eingespart werden<br />
kann, wird bisher zu wenig beachtet.<br />
Wir wollen daher aufzeigen, dass<br />
Elektromobilität nicht nur auf der Straße<br />
geht«, so Eisenhardt. Als Fan der Störtebeker-Festspiele<br />
auf Rügen hat er sein<br />
Schiff »Orca ten Broke« genannt, nach<br />
Störtebekers Frau. Das Schiff kann bundesweit<br />
eingesetzt werden. Weitere werden<br />
folgen, ist sich Eisenhardt sicher. Einige<br />
Reederein hätten bereits Interesse an<br />
einer Kooperation bekundet.<br />
Wasser wird zum Tagungsort<br />
Das Seminarschiff ist als schwimmende<br />
Tagungslounge konzipiert und kann im<br />
ganzjährigen Betrieb bis zu 200 Gäste an<br />
Bord nehmen. Im Dezember 2016 erfolgte<br />
die Kiellegung bei Formstaal/Ostseestaal.<br />
»Die ›Orca ten Broke‹ eröffnet eine<br />
weitere Einsatzmöglichkeit für Elektro-<br />
Solar-Schiffe in der Berufsschifffahrt«,<br />
hebt Ingo Schillinger, zuständiger Manager<br />
bei Formstaal/Ostseestaal, hervor.<br />
Mit einer Raumhöhe von 2,40 m, Ankerpfählen<br />
und einem Solar-Hybrid-<br />
Energiesystem bietet es im Vergleich zu<br />
anderen Ausflugsschiffen viele Besonderheiten.<br />
Die teleskopartigen Stelzen<br />
ermöglichen es, das Veranstaltungsschiff<br />
bis zu einer Wassertiefe von 4,50 m fest<br />
am Grund zu arretieren.<br />
Bei der Projektierung und dem Bau des<br />
Seminarschiffes wurde eine Vielzahl technischer<br />
Lösungen eingebracht, die den<br />
Energiebedarf des Schiffes ausschließlich<br />
mit umweltschonenden Ressourcen abdecken.<br />
Neben einer sehr leistungsfähigen<br />
Photovoltaik-Anlage auf dem absenkbaren<br />
Sonnendach und kapazitätsstarken<br />
Batterien ist es zusätzlich mit einem Generator<br />
ausgerüstet, der mit HVO-Diesel<br />
(Hydrogenated Vegetable Oil) betrieben<br />
wird. Dieser Kraftstoff wird aus gebrauchtem<br />
Pflanzenöl und -fett gewonnen.<br />
Die Abwärme des Motors dient in kühler<br />
Jahreszeit als Wärmequelle für die<br />
Fußbodenheizung. Eine effziente Klimaanlage<br />
sorgt im Sommer für angenehme<br />
Temperaturen. Das neue Seminarschiff<br />
ist für alle deutschen und europäischen<br />
Binnengewässer zugelassen und kann<br />
18 der 20 größten Städte in Deutschland<br />
erreichen. Heimathafen wird Berlin sein.<br />
»Die Projektfinanzierung wurde ohne<br />
Fördermittel gestemmt. Ein Teil der Investition<br />
in Höhe von 2 Mio. € wurde mit<br />
einem zinsgünstigen KfW Darlehen finanziert«,<br />
ergänzt Eisenhardt.<br />
Die Photovoltaikanlage liefert im jährlichen<br />
Durchschnitt etwa 80 kWh am<br />
Tag. Photovoltaik funktioniert auch bei<br />
schlechtem Wetter, da nicht die Wärme<br />
aufgefangen wird, sondern bestimmte<br />
Strahlungen. Das Schiff kann demzufolge<br />
seinen Tagesbedarf durchaus allein mit<br />
Sonnenenergie decken, wenn die Fahrstrecken<br />
nicht zu lang sind. Bei größeren<br />
Zwischenstrecken lädt der HVO-Generator<br />
die Batterien für den Antrieb auf.<br />
»Bei E-Schiffen verwenden wir aus gewichtstechnischen<br />
Gründen Aluminium<br />
und für den Antrieb leistungsstarke<br />
Lithium-Polymer Batterien«, sagt Schillinger.<br />
Das Nutzungsprofil des Seminarschiffes<br />
sei jedoch so ausgelegt, dass es<br />
hauptsächlich vor Anker liegen wird.<br />
Aufgrund des Alters der Fahrgastschiffe<br />
bestehe in Europa ein enormer Investitionsstau,<br />
der nicht einmal mit durchschnittlich<br />
23 bis 30 Neubauten pro Jahr<br />
abgebaut werden könne. Zudem gibt es<br />
für Schillinger mit der Elektromobilität<br />
einen neuen Markt mit erheblichem<br />
Potenzial für die Berufsschifffahrt. »Die<br />
Förderpolitik muss zum Erreichen der<br />
Klimaschutzziele daher mehr für eine<br />
dieselfreie Schifffahrt unternehmen. Es<br />
braucht deutlichere Anreize für Elektromobilität.«<br />
Die Technik sei den erhöhten<br />
Anforderungen der Berufsschifffahrt absolut<br />
gewachsen und somit kein Hemmnis.<br />
So wurden bislang die Berliner Verkehrsbetriebe<br />
(BVB) mit vier E-Fähren<br />
ausgestattet, die von der Weißen Flotte<br />
Stralsund betrieben werden. Nach Eisenhardts<br />
Seminarschiff arbeiten die Schiffbauer<br />
derzeit an der ersten elektrischen<br />
Binnenautofähre der Welt. Etwa 22 weitere<br />
Projekte seien in der Planung. M<br />
Binnenschifffahrt – ZfB – <strong>2017</strong> – Nr. 8 29