Landtagsspiegel23. Jahrgang - Elke Brunnemer
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Vertragsabschluss Stuttgart 21<br />
Im April 2009 kam nach mehrjährigen Verhandlungen<br />
doch noch zustande, womit manch einer nicht mehr<br />
gerechnet hatte: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tie-<br />
fensee, Ministerpräsident Günther Oettinger und Bahn-<br />
Infrastrukturvorstand Stefan Garber unterzeichneten<br />
in Stuttgart die Finanzierungsvereinbarung für das<br />
Bahnprojekt Stuttgart 21 und die Hochgeschwindigkeitstrasse<br />
von Wendlingen nach Ulm. „Stuttgart<br />
erfindet sich neu“, sagte Tiefensee, nachdem er seine<br />
Unterschrift unter den insgesamt gut 5 Milliarden<br />
Euro teuren Vertrag gesetzt hatte. Von einem „Jahr-<br />
hundertprojekt“ war die Rede. Unzählige Male hatte<br />
der Landtag in den Jahren zuvor das Verkehrsprojekt<br />
diskutiert. Zum Vertragsabschluss selbst war die Zu-<br />
stimmung der Abgeordneten nicht erforderlich. Dennoch<br />
ließen sie sich den historischen Augenblick nicht ent-<br />
gehen, um zumindest mit einem Entschließungsantrag<br />
das Thema nochmals im Plenarsaal aufrufen zu lassen.<br />
Sowohl die Mitglieder der Koalitionsfraktionen von CDU<br />
und FDP als auch die SPD-Abgeordneten brachten bei<br />
der Sitzung am 13. Mai 2009 abermals ihre Zustimmung<br />
zum Ausdruck. „Was lange währt, wird endlich gut“,<br />
freute sich auf SPD-Seite der stellvertretende Landtags-<br />
präsident Wolfgang Drexler. Trotz Vorbehalten an der<br />
Parteibasis hatte auch seine Partei die umstrittenen<br />
Pläne zur Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs<br />
stets unterstützt. Die Grünen blieben bei ihrer ableh-<br />
nenden Haltung. „Sie wollen Stuttgart 21 bauen und<br />
schaffen es nicht einmal, dass die Bahn zusätzliche<br />
Züge verkehren lässt, obwohl nachweislich viele Züge<br />
im ganzen Land überfüllt sind“, warf der Grünen-Ab-<br />
geordnete Werner Wölfle den Befürwortern vor. Und vor-<br />
ausschauend mit Blick auf die Kommunalwahlen am<br />
7. Juni 2009 fügte er hinzu, dass Wahlergebnisse bisher<br />
immer noch Wirkung gezeigt hätten. Tatsächlich musste<br />
die CDU dann bei den Gemeinderatswahlen in Stutt-<br />
Stuttgart 21: virtueller Blick auf den neuen Tiefbahnhof<br />
gart erhebliche Einbußen hinnehmen, während die<br />
Grünen – auch für sie selbst überraschend – seither<br />
stärkste Fraktion im Stadtparlament sind. Insbesondere<br />
Stuttgart 21 wird als Grund für die Wahlniederlage<br />
der CDU angeführt, haben doch mehrere Umfragen<br />
ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der<br />
Landeshauptstadt das Mammut-Vorhaben ablehnt.<br />
Oettinger machte jedoch alsbald deutlich, dass an dem<br />
Projekt nicht gerüttelt wird. Der Baustart ist für 2010<br />
vorgesehen. Für den Bahnhofsumbau und die Neuordnung<br />
des Bahnknotenpunkts Stuttgart sind inzwischen<br />
3,076 Milliarden Euro veranschlagt, finanziert von<br />
Bahn, Bund, Land, Stadt, Region und Flughafen. Für<br />
die ICE-Strecke nach Ulm kommen nach den bisherigen<br />
Berechnungen nochmals 2,025 Milliarden Euro hinzu.<br />
Mit festen Versprechen, dass das Geld tatsächlich<br />
ausreicht, hält sich die Landesregierung zurück. Für<br />
Stuttgart 21 wurde vielmehr eine Risikovorsorge in<br />
Höhe von 1,45 Milliarden Euro vereinbart, um mögliche<br />
Mehrkosten abzudecken. Einem Bericht des Bundesrechnungshofes<br />
zufolge, der fünf Monate vor dem Ver-<br />
tragsabschluss an die Öffentlichkeit gelangte, könnte<br />
das Bahnhofsprojekt sogar insgesamt mehr als 5,3<br />
Milliarden Euro verschlingen. Das Bundesverkehrsminis-<br />
terium habe „für vergleichbare Großvorhaben Unter-<br />
suchungen vorliegen, die belegen, dass es zu erheblichen<br />
Mehrkosten kommen wird“, hieß es in dem Bericht.<br />
Die Landesregierung wies die Schätzungen der Finanz-<br />
kontrolleure umgehend zurück. Verkehrsminister<br />
Heribert Rech warf dem Bundesrechnungshof vor, in<br />
einigen Punkten „falsche Zahlen“ für die Berechnung<br />
zu Grunde gelegt zu haben. Die Gegner des Bauvorhabens<br />
sahen sich hingegen vollauf bestätigt. In einem<br />
von ihnen in Auftrag gegebenen Gutachten eines<br />
Münchner Verkehrsplanungsbüros waren die Gesamtkosten<br />
für Stuttgart 21 sogar auf 6,9 Milliarden Euro<br />
beziffert worden.<br />
Landtagsspiegel 2009/2010 17