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Landtagsspiegel23. Jahrgang - Elke Brunnemer

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Erinnerung in denkwürdigen Reden<br />

Theodor Heuss<br />

(1759–1805). Anlässlich der 250. Wiederkehr seines Geburtstags wurde er weltweit mit Gedenkfeiern, Vorträgen und<br />

geborenen Klassiker mit Auszügen aus denkwürdigen Reden, die Thomas Mann und Theodor Heuss im Rahmen der<br />

der Württembergischen Staatstheater hielten.*<br />

Festredner bei der Schillerfeier 1955<br />

in Stuttgart: der Schriftsteller<br />

Thomas Mann (links) und<br />

Bundespräsident Theodor Heuss<br />

Dokument aus dem Jahr 1790 mit dem<br />

Namenszug Friedrich Schillers<br />

Theodor Heuss<br />

Thomas Mann hat 1859 gewiss nicht bloss<br />

als historische Anekdote genannt und ich<br />

habe die Erinnerung nicht aufgenommen,<br />

um sie für das Wissen um die Zeitlage zu<br />

verdichten – sie besitzt eine schmerzhafte<br />

Aktualität. Denn die im geschichtlichen Pro-<br />

zess überstaatlich zu begreifende Nation<br />

der Deutschen erspürte als Aufgabe, aus<br />

der historischen Vielfalt ihres Seins eine<br />

gemeinsame Mitte zu gewinnen; wir aber<br />

stehen in der Gefährdung, sie zu verlieren,<br />

da eine mechanistische Auffassung –<br />

wir diskutieren jetzt nicht ihre schuldvolle<br />

Veranlassung – aus einem geschichtlichen<br />

Volkskörper Verwaltungs-Zonen verschiedener<br />

geistiger und politischer Artung ge-<br />

macht hat – und die Dinge dorthin gebracht<br />

hat, dass sie, weit mehr als 1859, da es<br />

derlei auch schon gab, unter den Bewertungen<br />

von strategischen Militär-Glacis’<br />

gesehen werden.<br />

Wir reden ganz offen von dieser Lage.<br />

1859 war Schillers 100. Geburtstag aus dem<br />

Grundstrom eines natürlichen und spontanen<br />

Volksgefühls zum „Politikum“ geworden.<br />

Kann man, darf man, soll man in bedrängterer<br />

Zeit diesen 150. Todestag dazu<br />

machen? Ich scheue mich: denn ich glaube,<br />

Ehrfurcht ist nicht manipulierbar und es<br />

ist ein arges Unterfangen, den völlig wehr-<br />

losen Schiller posthum zum unbefragten<br />

Ehrenmitglied einer Partei zu machen.<br />

Als ich kürzlich die, wohl als repräsentativ<br />

gedachte, mit viel Zitatenfleiss aufgebaute<br />

Rede las, in der ein führender Mann von<br />

Pankow der Jugend Schiller in seiner Art<br />

nahe zu bringen suchte, war ich leicht<br />

gerührt, – auf die Albernheit, den Dichter<br />

mit den Pariser Verträgen in Verbindung<br />

zu bringen, gehe ich gar nicht ein – Schiller<br />

erfreut sich, drastisch ausgedrückt, der<br />

mildernden Umstände, dass es den dialek-<br />

tischen Materialismus noch nicht gab und<br />

er sich deshalb in den Idealismus verirrt<br />

hat – im übrigen ein honoriger Mann, so-<br />

zialrevolutionär, volksverbunden, „fortschritt-<br />

lich“ – lassen wir das! Mit den Klischees<br />

des propagandistischen Tagesbedarfs<br />

kommt man im anständigen Geistigen<br />

nicht sehr weit. Ich enttäusche jene gerne,<br />

die meinen, weil ich gegenwärtig Bundes-<br />

präsident bin, sei es meine Aufgabe, aus<br />

Schiller eine Werbeaktion zu machen. Dafür<br />

ist er mir zu gross, dafür bin ich mir zu gut.<br />

Wir haben ja zwei Schiller vor uns: Jenen,<br />

von dem wir einiges sagten, der in vielerlei<br />

Vereinfachungen zur wirkungsvollen und<br />

geglaubten Legende wurde; den anderen,<br />

der durch ein sehr verwirbeltes, konkretes<br />

Leben, Dichten, Denken hindurchging,<br />

eruptiv und wieder verhalten, grossartig<br />

im wagenden und bekennenden Selbstbewusstsein<br />

und dann wieder reflektierend,<br />

ein sehr scharfer Kritiker des eigenen<br />

Werkes – er ist, vom jungen Ruhm gehoben<br />

und schier erschreckt, sehr frühe ein an-<br />

regungsreicher Kommentator des Vorhabens,<br />

des Gelingens, des Misstrauens gegen sich<br />

selbst, und doch von einer Missionsidee,<br />

in die die Selbstgestaltung eingehüllt ist,<br />

bewegt.<br />

[…] Die Phrase, dass dieser Sohn der Auf-<br />

klärung, der aus ihrem Vernunftglauben und<br />

ihrer so kräftigen, brauchbaren und nicht<br />

bloss „brauchbaren“ Moral lebt, „fortschritt-<br />

lich“ gewesen sei – man kann, seit es eine<br />

fortschrittliche Kunst gibt, das Wort nur in<br />

Anführungszeichen benutzen – streichen<br />

wir weg. Das sind Albernheiten politischer<br />

Aktualisierung.<br />

Der Schiffer, im Hofmannsthalschen Sinn,<br />

wagt es mit der Zeit, wagt es mit dem<br />

Raum; er will, er wird sie beide meistern,<br />

indem er sich selber bewährt. Und vielleicht,<br />

wahrscheinlich ist dieses, im Kurs auf<br />

das gedachte Grosse in der Beschränkung<br />

Sich-Selbst-Bewähren das Vermächtnis<br />

dieses Mannes Schiller.<br />

* Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart<br />

Landtagsspiegel 2009/2010 59

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