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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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Die Menschen des Mittelalters im Spiegel der Skelettfunde<br />

Was alte Gebeine verraten<br />

Im Kanton <strong>Bern</strong> wurden in den letzten 25 Jahren an über<br />

80 Fundorten mehrere tausend Gräber geborgen, von<br />

denen die Mehrheit aus dem Mittelalter stammt. Fachleute<br />

können aus dem Zustand der gefundenen Knochen schliessen,<br />

an welchen Krankheiten die Menschen damals litten,<br />

in welchem Alter sie starben und wie ihre Nahrung<br />

mehrheitlich beschaffen war. So nimmt man an, dass die<br />

Verringerung der Körperhöhe, die nach dem Frühmittelalter<br />

bei den damals Verstorbenen festzustellen ist, unter anderem<br />

auf Ernährungsänderungen zurückzuführen ist.<br />

Ein möglicher, aber allgemein weniger bekannter<br />

Weg, den Zugang zum Mittelalter<br />

zu öffnen, führt über die Untersuchung der<br />

knöchernen Überreste der Menschen. Die<br />

anthropologische Bearbeitung dieser biohistorischen<br />

Urkunden erlaubt manche<br />

Aussage, die von keiner anderen Disziplin<br />

erschlossen werden kann. Zu Beginn einer<br />

solchen Analyse gilt es, die Kennzeichen<br />

des einzelnen Menschen in seiner körperlichen<br />

Erscheinungsform, seinen Krankheiten<br />

und Gebresten zu erfassen und<br />

damit ein Guckloch in seine damalige Lebensrealität<br />

zu öffnen. Jede Einzelvita ist<br />

aber auch ein Baustein zur Geschichte der<br />

Bevölkerung, deren Rekonstruktion als<br />

zweiter Untersuchungsschritt folgt.<br />

Woher stammt das Fundgut?<br />

Im Kanton <strong>Bern</strong> besteht eine langjährige<br />

enge Zusammenarbeit zwischen dem<br />

Medizinhistorischen Institut der <strong>Universität</strong><br />

und dem Archäologischen Dienst.<br />

Gemeinsames Ziel ist es, den Menschen<br />

des Mittelalters (und natürlich auch anderer<br />

Zeitepochen) den ihnen zustehenden<br />

Platz zuzuweisen und dabei sowohl<br />

die hellen wie auch die finsteren Seiten<br />

dieser Jahrhunderte zu beleuchten. Bei<br />

den Ausgrabungen in den letzten 25 Jahren<br />

wurden an über 80 Fundorten mehrere<br />

tausend Gräber geborgen, von denen<br />

die Mehrheit aus dem Mittelalter stammt.<br />

Die Arbeit der Anthropologen und Anthropologinnen<br />

beginnt jeweils schon vor<br />

Ort, denn Beobachtungen zur Lage des<br />

Skeletts sind nur auf der Fundstelle möglich.<br />

Zudem bleiben nicht alle Skelette<br />

während ihrer jahrhundertelangen Liegezeit<br />

im Boden gut konserviert. Die Erhal-<br />

14 UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

tung der Knochen hängt stark von der Bestattungsform<br />

und der Beschaffenheit des<br />

Bodens ab. Will man keine Informationen<br />

verlieren, müssen schlecht erhaltene Knochen<br />

möglichst schon auf der Ausgrabung<br />

untersucht werden.<br />

Ein Blick auf mittelalterliche<br />

Bestattungssitten<br />

Blickt ein Laie auf einen freigelegten mittelalterlichen<br />

Friedhofsteil, mag er die<br />

oft in mehreren Schichten übereinanderliegenden<br />

und sich auch gegenseitig störenden<br />

Skelette als verwirrend empfinden.<br />

Für den mittelalterlichen Menschen war<br />

eine geometrische Ordnung durch das Aneinanderreihen<br />

der Gräber in immer gleichen<br />

Abständen weniger wichtig als das<br />

Umsetzen von Glaubensvorstellungen. Da<br />

nicht jeder Grabplatz als gleich heilsfördernd<br />

galt, hing der Ort des Begräbnisses<br />

oft von Stand und Herkunft des Verstorbenen<br />

ab. Weit verbreitet – für Arme wie<br />

Reiche – war die Orientierung des Körpers<br />

nach Osten. Der verstorbene Christ ruht<br />

im Grab, den Kopf im Westen, den Blick<br />

nach Osten, wo am Jüngsten Tag der Herr<br />

erscheinen soll. Da sich Chor oder Altarhaus<br />

der Kirchen üblicherweise ebenfalls<br />

im Osten befinden, blicken die im Innenraum<br />

der Gotteshäuser begrabenen Gäubigen<br />

gleichzeitig auch zum Altar hin. Was<br />

aber, wenn die Kirche aus städtebaulichen<br />

Gründen nicht nach Osten ausgerichtet<br />

werden konnte wie im Beispiel der Pfarrkirche<br />

des Städtchens Unterseen? War es<br />

in diesem Fall wichtiger, die Gräber nach<br />

Osten oder aber zum Altar hin auszurichten?<br />

Offensichtlich bevorzugte man in einem<br />

früheren Belegungszeitraum die Ostung,<br />

machte aber später eine Wende um<br />

90 o in Richtung Altar. Dadurch entstand<br />

eine Schicht längsgerichteter über einer<br />

Schicht quergerichteter Gräber (Abb. 1).<br />

Kartiert man die Gräber geschlechterspezifisch,<br />

kommt man zu einem Befund, der<br />

einen Aspekt der kleinstädtischen Gesellschaftsstruktur<br />

widerspiegelt: Männer<br />

wurden nicht nur häufiger im privilegier-<br />

Abb. 1: Unterseen – Reformierte Kirche 1985. Gräberplan, auf dem nur die Erwachsenen<br />

eingezeichnet sind. Bei den Quergräbern in der «östlichen» Schiffshälfte wurden bevorzugt<br />

Männer begraben. Da der Herr einst im Osten erscheinen würde, glaubte man, dies<br />

sei die bessere Grablage. Auch bei den Längsgräbern hatten die Männer häufiger die<br />

besseren Grablagen im Nahbereich des Hochaltars. Zeichenerklärung: Schwarz: Mann,<br />

weiss: Frau, schwarz/weiss: geschlechtsunbestimmt. (Zeichnung: Archäologischer Dienst Kanton <strong>Bern</strong>)

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