114 DAS MITTELALTER - Universität Bern
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Abb. 2: «Heiden» werden trotz gleicher ritterlich-kultureller Standards als dämonische Wesen durchschaut: Fiktiver Zweikampf zwischen<br />
dem Kreuzfahrer Richard Löwenherz, König von England, und dem Sultan Saladin von Ägypten. Der Sultan verliert seinen Helm<br />
und entpuppt sich unter der Maske des Ritterlichen als Heide mit dämonischen Zügen und drachenartigem Schuppenpanzer (14. Jh).<br />
werk, die «Geschichte Spaniens oder gotische<br />
Geschichte» (De rebus Hispaniae seu<br />
Historia Gothica), sondern auch seine Historia<br />
Arabum wurden noch in der Neuzeit<br />
in der spanischen Chronistik benutzt und<br />
frühzeitig gedruckt.<br />
Wilhelm von Tyrus und Rodrigo Ximénez,<br />
die als gelehrte Juristen und Theologen,<br />
als Kirchenfürsten, Hofmänner<br />
und Geschichtsschreiber viele Gemeinsamkeiten<br />
aufwiesen, lebten in kulturellen<br />
Grenzräumen des Nahen Ostens und<br />
Spaniens und hatten offenbar kaum Wahrnehmungsprobleme.<br />
Dies lässt sich an fünf<br />
Punkten überprüfen:<br />
1. Die Religion<br />
Die Tatsache, dass Muslime historiographisch<br />
zu Subjekten ihrer Geschichte gemacht<br />
wurden und man damit sowohl in<br />
Tyrus als auch in Toledo der angeblichen<br />
Bedeutungslosigkeit der Anderen widersprach,<br />
lässt schon eine andere Einstellung<br />
erwarten, als sie gemeinhin im europäischen<br />
Mittelalter den hostes crucis,<br />
den «Feinden des Kreuzes» entgegengebracht<br />
worden ist. Muslime wurden von<br />
beiden Gewährsmännern nicht als Heiden,<br />
sondern als Gottgläubige wahrgenommen,<br />
die den gemeinsamen Gott verehrten,<br />
wenn auch auf andere Weise als<br />
die Christen. Die Verehrung an sich erschien<br />
beiden Autoren ein durchaus positives<br />
Verhalten zu sein, das heisst, Wilhelm<br />
von Tyrus und Rodrigo Ximénez waren in<br />
der Lage, obwohl sie sich von der anderen<br />
Religion als einer doctrina pestilens<br />
schärfstens distanzierten, der Religiosität<br />
der Menschen dennoch Achtung entgegen<br />
zu bringen. Diese Form der inhaltlichen<br />
Wahrnehmung von Religion sei daher «der<br />
Vorrang der Religiosität» genannt. Beide<br />
anerkannten im Islam eine Lehre, die<br />
ebenfalls, wenn auch nur in dessen Denken<br />
und eigenen Traditionen und nicht auf<br />
der Stufe der christlicherseits beanspruchten<br />
Vollkommenheit, zu Gottesfurcht und<br />
Frömmigkeit und zu einem reinen, heiligmässigen<br />
Lebenswandel anleiten konnte.<br />
Mit solchen Auffassungen, die allesamt<br />
ein persönliches Moment im Umgang mit<br />
Religion betonten, stellten sich die beiden<br />
Autoren, obwohl Lateiner, in eine orientchristliche<br />
bzw. spanisch-mozarabische<br />
Tradition hinein, die nicht lange nach der<br />
Ausbreitung des Islam begann und erst einmal<br />
das Verbindende zwischen beiden Religionen<br />
suchte.<br />
2. Die Menschen<br />
Der Vorrang der Religiosität kündigt im<br />
Grunde bereits an, in welcher Weise Menschen,<br />
handelnde Völker, Gruppen und<br />
Personen durch die beiden Geschichtsschreiber<br />
betrachtet worden sind. Die<br />
Masse der Muslime oder einzelne Völker,<br />
die Araber, die Türken, die Berber, die<br />
Ägypter bleiben seltsam amorph und farblos.<br />
Ethnische Vorurteile, positive wie negative,<br />
finden sich nur selten. Ganz anders<br />
schrieben sie, wenn es um überschaubare<br />
Einheiten oder mehr noch um einzelne<br />
Personen ging, freilich um Standesgenossen,<br />
die die tragenden Rollen der Landesgeschichte<br />
spielten; dann wurden sie aus<br />
(Terry Jones, Alan Ereira, Die Kreuzzüge, München 1995, S. 188–89)<br />
der Masse herausgehoben, mit ihren Tugenden<br />
und Untugenden, Fähigkeiten und<br />
Leistungen, auch dann, wenn oder gar obwohl<br />
dieselben zum Schaden christlichen<br />
Landes verwendet wurden. Diese Form<br />
der Wahrnehmung von Anderen sei «der<br />
Vorrang des Individuellen» benannt. Wil-<br />
Abb. 3: Muslime haben als «Heiden» dunkelhäutige,<br />
grobe, «barbarische» Gesichtszüge,<br />
selbst als Fürsten: Verwandtschaft<br />
Sultan Saladins (um 1350).<br />
(Peter Milger, Die Kreuzzüge. Krieg im Namen Gottes, Mün-<br />
UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />
chen 1988, S. 32)<br />
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