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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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Wahrnehmungsprobleme zur Zeit der Kreuzzüge<br />

Haben Andersgläubige<br />

keine Geschichte?<br />

Viele grössere und kleinere Kreuzzüge haben christliche<br />

Heere zwischen 1095 und 1291 unternommen, um<br />

das Heilige Land oder spanischen Boden den «Ungläubigen»<br />

zu entreissen. Vielfach wurden die historischen Taten<br />

der Kreuzfahrer beschrieben, die der Gegner aber nicht.<br />

Obwohl sie eine hohe Kultur besassen, gibt es aus jener Zeit<br />

keine christlichen Darstellungen der Geschichte der Muslime.<br />

Mit zwei Ausnahmen: Erzbischof Wilhelm von Tyrus<br />

(ca. 1130–1186) verfasste eine «Geschichte der orientalischen<br />

Fürsten», und Rodrigo Ximénez de Rada, Erzbischof von<br />

Toledo (1170–1247), schrieb eine «Geschichte der Araber».<br />

Die christliche Geschichtsschreibung liess<br />

Andersgläubigen keinen eigenen Platz. Sich<br />

mit der Geschichte von Heiden oder Juden<br />

auseinanderzusetzen, galt als unnütz und<br />

nahezu wertlos, war eine res negligenda,<br />

eine zu vernachlässigende Angelegenheit,<br />

so meinten die Chronisten und Kronzeugen<br />

Adam von Bremen († um 1081) und<br />

Otto von Freising († 1158). In deren Geschichtsphilosophie<br />

konzentrierte sich in<br />

Anlehnung an die Lehren des Kirchenvaters<br />

Augustinus alles von Bedeutung und<br />

Wert, Heil, Herrschaft und fortschreitendes<br />

Wissen in einem, dem christlichen und<br />

westlichen Teil der Welt, in der alleinherrschenden<br />

civitas Christi, die sich als römische<br />

Papstkirche in Europa verstand, während<br />

dem anderen und östlichen Teil der<br />

Welt als der civitas perfida der Juden und<br />

Heiden nichts blieb und, zum Untergang<br />

bestimmt, nichts bleiben sollte. Ein solches<br />

Geschichtsbild hinderte zwar nicht<br />

daran, Wissen über Andere anzuhäufen;<br />

doch fehlte die historische Verarbeitung<br />

des vielfach Erfahrenen, die Wahrnehmung<br />

des Anderen durch das Medium der<br />

Geschichtsschreibung.<br />

Bis heute sind in Europa nur zwei christliche<br />

Ausnahmen bekannt geworden, die<br />

jede auf ihre Weise das verordnete Desinteresse,<br />

eine förmliche «Ideologie des<br />

Schweigens» durchbrachen. Es handelt<br />

sich in beiden Fällen um historische Darstellungen<br />

der Muslime seit den Tagen Mohammeds,<br />

zum einen um die «Geschichte<br />

26 UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

der orientalischen Fürsten» (Gesta orientalium<br />

principum) des Erzbischofs Wilhelm<br />

von Tyrus, zugleich Kanzler des<br />

Kreuzfahrerkönigreichs Jerusalem, zum<br />

anderen um die «Geschichte der Araber»<br />

(Historia Arabum) des Erzbischofs von<br />

Toledo und Primas von Spanien, Rodrigo<br />

Ximénez de Rada. Wilhelms von Tyrus<br />

«Geschichte der orientalischen Fürsten»,<br />

noch im 13. Jahrhundert im lateinischen<br />

Orient benutzt, ist indessen nach 1300 in<br />

Vergessenheit geraten und dann wohl verloren<br />

gegangen. Dass ihr im Gegensatz<br />

zu seiner lateinischen «Kreuzfahrerchronik»,<br />

die fortgesetzt und in andere Sprachen<br />

übersetzt, vielfach abgeschrieben<br />

und gelesen wurde, kein Erfolg beschieden<br />

war, zeigt nur allzu deutlich, wie stark<br />

die Vorbehalte im Westen gewesen sind,<br />

zumal am Ende der europäischen Präsenz<br />

im Orient: Crusades were interesting,<br />

but Muslims were not (R. H. C. Davis).<br />

So muss man ersatzweise Wilhelms<br />

«Kreuzfahrerchronik» studieren. Anders<br />

war die Ausgangslage im Reconquista-<br />

Spanien. Hier blieb trotz der Vertreibungen<br />

und des künftigen Missionsdrucks ein<br />

historisches Interesse am islamischen Spanien<br />

bestehen. Nicht nur Rodrigos Haupt-<br />

Abb. 1: Die Abqualifizierung der Anderen diente der Immunisierung der Eigenen. Muslime<br />

galten zumeist als Heiden, mithin Teufels- und Dämonenkinder, die mit Christen nur<br />

Böses im Sinn hatten: Ein «heidnischer Mohren-König» droht dem Christen, der sich weigert,<br />

das Götzenbildnis zu verehren, mit Enthauptung (13. Jh).<br />

(Terry Jones, Alan Ereira, Die Kreuzzüge, München 1995, S. 19)

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