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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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der Sache vorkommen, deren Eigenschaft<br />

sie ist. Und dies scheint unmöglich. Also<br />

kann dies auch nicht der Sinn der Trinität<br />

sein. – Natürlich machte man auf Seiten<br />

argwöhnischer Theologen geltend, dass<br />

das Wort ‹Substanz› im Falle seiner Anwendung<br />

auf Gott anders verstanden werden<br />

müsse. Aber genau das wäre für philosophisch<br />

inspirierte Theologen natürlich<br />

keine Antwort auf die Frage. Aber warum<br />

rekurrierte man hier auf den Begriff der<br />

Substanz? Vielleicht aus keinem anderen<br />

Grunde als dass man ihn in der Tradition<br />

vorfand und Boethius den Person-Begriff<br />

u. a. durch solche Merkmale wie ‹rationale<br />

Substanz› expliziert hatte.<br />

Das Aristoteles-Verbot<br />

von 1277<br />

Nun ist es wichtig zu sehen, dass die Anwendung<br />

logischer Betrachtungen auf<br />

Glaubensinhalte keineswegs, wie namentlich<br />

spätere Autoren behaupteten, als<br />

Ausdruck unfrommer Gesinnung anzusehen<br />

ist. Ein solcher Vorwurf wurde namentlich<br />

auch Berengar von Tours gegenüber<br />

erhoben. Dieser hatte irgendwann vor<br />

1088 in einer übrigens erst 1770 von Les-<br />

6 UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

sing aufgefundenen und von Vischer 1834<br />

edierten Schrift Über das Mal des Herrn<br />

die Auffassung vertreten, dass die Umwandlung<br />

«nur» in den Seelen der Gläubigen<br />

vor sich gehe. Zur Begründung dieser<br />

These stellt er auf den Gedanken ab,<br />

dass die sichtbaren Eigenschaften des Brotes<br />

auch nach der Umwandlung erhalten<br />

bleiben. Da aber Eigenschaften nicht unabhängig<br />

vom ihrem Träger existieren können,<br />

habe die Umwandlung nicht wirklich<br />

stattgefunden!<br />

Halten wir diesen Gedanken im Auge, so<br />

verstehen wir auch den Unmut jener Theologen,<br />

die ihre Sache bedroht glaubten. Besonders<br />

massiv wirkte sich dieser Unmut<br />

wieder 1277 aus, als der Pariser Bischof<br />

Tempier 219 Thesen verurteilte. Unter den<br />

in Rede stehenden Thesen finden sich einige<br />

Harmlosigkeiten wie die Behauptung<br />

«Es gibt keine Frage, die vernunftgemäss<br />

zu erörtern ist, die der Philosoph nicht erörtern<br />

und entscheiden dürfte [...]».<br />

Bei dieser These handelt es sich offenbar<br />

um eine kalkulierte Frechheit aus Kreisen<br />

von Phil.-hist. Dozenten, die vom auf-<br />

keimenden Selbstbewusstsein der «Hilfswissenschafter»<br />

zeugt. Doch finden wir<br />

mehrheitlich Thesen, die reichlich abstrakt<br />

anmuten und deren Relevanz vor der Hand<br />

kaum erkennbar sein dürfte. Dazu gehört<br />

eben auch «Zu bewirken, dass eine Eigenschaft<br />

[accidens] ohne Träger [subjectum]<br />

existiert, ist unmöglich, weil es einen Widerspruch<br />

einschliesst», – eine These also,<br />

die als Voraussetzung in den Argumenten<br />

Roscelins, Berengars und anderer philosophische<br />

Arbeit leistete und in der Sache die<br />

theologisch gemeinte Sache unterminierte.<br />

Die These selbst geht zwar auf Aristoteles<br />

zurück, der seinerzeit seinen Lehrer Platon<br />

konfrontierte. Doch ist hier wie übrigens<br />

auch an anderen Stellen Thomas von<br />

Aquin gemeint, der zu seiner Zeit durchaus<br />

als «Progressiver» in Erscheinung trat.<br />

Individualität als<br />

metaphysisches Problem<br />

Man möchte meinen, dass diese und andere<br />

Probleme vermeidbar seien. Sie konstituieren<br />

sich nämlich in und mit einem<br />

bestimmten Rahmen begrifflicher Art.<br />

Tatsächlich ist es nun einmal so, dass wir<br />

in unserer Sprache auf Unterscheidungen<br />

Abb. 2: Das Gemälde zeigt eine Diskussionsrunde über das Mysterium der Dreifaltigkeit, das sich in der Eucharistie manifestiert.<br />

(Raffael: Disputà del Sacramento (1509), päpstliche Gemächer des Vatikans)

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