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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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Philosophie und Theologie: Ein schwieriges Verhältnis<br />

Philosophen und Kleriker<br />

Attacken auf die Philosophie gehören zum Lateinischen<br />

Mittelalter wie das Salz in der Suppe. Sie gelten gemeinhin<br />

als Symptom einer wissenschaftsfeindlichen Haltung auf<br />

Seiten des Klerus. In der Tat scheinen Exponenten der<br />

Theologie den Einbruch heidnischen Wissens mit<br />

Argusaugen beobachtet zu haben. Doch ist das wohl<br />

nur ein Aspekt. Denn der sprichwörtliche Streit zwischen<br />

Philosophen und Theologen hat mehrere Facetten.<br />

Dabei scheint der Versuch der Philosophen<br />

– hier handelt es sich um die Sachwalter<br />

der aus dem spätantiken Schulsystem<br />

übernommenen ‹Sieben freien Künste›<br />

(artes liberales) – sich aus den Klauen der<br />

Bevormundung durch die theologische Fakultät<br />

zu befreien, nur die Oberfläche anzugehen.<br />

Tiefer und mehr zum Kern der<br />

Sache weist nämlich ein anderes Phänomen;<br />

und dieses zeichnet sich interessanterweise<br />

innerhalb der Theologie ab. Es<br />

betrifft den Umstand, dass die Theologen<br />

(viele von ihnen waren zugleich auch die<br />

führenden Leute in der Philosophie) als<br />

Theologen auf die Sprache der Philosophie<br />

zurückgriffen und hier bald auf gewisse<br />

Grenzen stiessen.<br />

Lange vor den <strong>Universität</strong>sgründungen<br />

im frühen 13. Jahrhundert entbrannten<br />

unter den Theologen Kontroversen über<br />

die Möglichkeiten und Grenzen eines<br />

begrifflichen Verständnisses von Glaubensinhalten.<br />

Diese Kontroversen waren<br />

unausweichlich. Denn in dem Masse, in<br />

dem Glaubensinhalte in der traditionellen<br />

(letztlich von Aristoteles her geprägten)<br />

Begrifflichkeit von Substanz/Attribut bzw.<br />

Akzidens (etwa Ding/Eigenschaft) artikuliert<br />

und kommentiert wurden, machten<br />

sich Spannungen zwischen den verwendeten<br />

Begriffen einerseits und den gemeinten<br />

Sachverhalten andererseits bemerkbar.<br />

Am Anfang<br />

war die Sprachlogik<br />

Diese Spannungen scheinen schon früh auf<br />

und begleiten die mittelalterliche Philosophie<br />

von Anfang an. So hat um 800 Fredegisius<br />

von Tours in seinem Brief Über<br />

das Nichts und die Finsternis an Karl den<br />

Grossen zu bedenken gegeben, dass die<br />

Rede von der Schöpfung aus dem Nichts<br />

korrekterweise dahingehend verstanden<br />

werden müsse, dass sich die Schöpfung<br />

aus etwas vollzogen habe. Als Grund für<br />

dieses Verständnis macht Fredegisius geltend,<br />

dass der Ausdruck ‹Nichts› (nihil)<br />

ein Name sei und mithin für etwas stehe.<br />

Diese Auffassung ist für heutige Begriffe<br />

falsch. Denn ‹nihil› ist sicher keine Name.<br />

Logisch betrachtet dient der Ausdruck<br />

zur Negierung bestimmter Sätze wie ‹Etwas<br />

ist vor der Tür›. Offensichtlich hat<br />

sich Fredegisius wie viele Denker nach<br />

ihm von der Überzeugung täuschen lassen,<br />

dass bedeutungshafte Zeichen ipso<br />

facto für etwas stehen, von dem sie ihre<br />

Bedeutung her beziehen. Dieses vielleicht<br />

früheste Dokument aufkeimenden Denkens<br />

in Karolingischer Zeit zeigt zugleich,<br />

Abb. 1: Die sieben Artes Liberales<br />

(durch Frauen dargestellt)<br />

ziehen bzw. schieben einen Wagen,<br />

auf dem die Sacra Theologia<br />

sitzt (in den Händen das<br />

Haupt Christi); die Frauen werden<br />

von einem geisselschwingenden<br />

Mann angetrieben, der<br />

als Magister Sentenciarum Magister<br />

Petrus Lombardus ausgewiesen<br />

ist. (Kolorierte<br />

Federzeichnung aus dem 15. Jahrhundert,<br />

Unibibliothek Salzburg, M III 36)<br />

dass die Philosophie als Reflexion auf die<br />

sprachlichen Bedingungen unserer Aussagen<br />

Gestalt gewinnt. Sieht man von dem<br />

Iren Scotus Eriugena ab, dem ein wirklich<br />

spekulatives Werk zu verdanken ist,<br />

so scheinen sich die philosophischen Bestrebungen<br />

auf den Versuch begrifflicher<br />

Klärungen beschränkt zu haben.<br />

Ein anderes Beispiel für diesen sozusagen<br />

sprachlogischen Ursprung der mittelalterlichen<br />

Philosophie führt uns in die Zeit<br />

um 1090. Damals hat Roscelin, der Lehrer<br />

des brillanten Dialektikers Abaelard,<br />

in die Diskussion um die Trinität eingegriffen<br />

und geltend gemacht, Vater, Sohn<br />

und Heiliger Geist seien drei von einander<br />

unabhängige (ab invicem separatas)<br />

Personen bzw. Gebilde (Substanzen). Zu<br />

dieser Auffassung gelangte er wohl auf<br />

Grund der Überlegung, dass die gegenteilige<br />

Position problematisch sei: Hätten<br />

wir es mit einer Sache (una res) und mithin<br />

einer Substanz zu tun, so wäre Jesus<br />

Christus als Eigenschaft eben dieser Sache<br />

zu begreifen. Diese Annahme würde aber<br />

die Menschwerdung Gottes unbegreiflich<br />

machen. Denn in diesem Fall müsste<br />

die Eigenschaft einer Sache getrennt von<br />

UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

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