114 DAS MITTELALTER - Universität Bern
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Das Riesenreich im Osten<br />
Pax Mongolica<br />
Das mongolische Weltreich verband im 13. und<br />
14. Jahrhundert Europa und Asien miteinander. Politische<br />
Stabilität, ein funktionierendes Post- und Kurierwesen,<br />
offene Handelswege sowie die religiöse Toleranz<br />
der mongolischen Herrscher ermöglichten kulturellen<br />
Austausch und Handelsbeziehungen.<br />
Es mag zunächst erstaunen, in einem dem<br />
europäischem Mittelalter gewidmeten<br />
Themenheft einen Beitrag zu den Mongolen,<br />
einem zentralasiatischen Nomadenvolk,<br />
zu finden. Was haben die Mongolen<br />
mit unserem Mittelalter zu tun? Die<br />
Antwort ist einfach: die Mongolen gestalteten<br />
im 13./14. Jahrhundert die politischen,<br />
ökonomischen und auch kulturgeschichtlichen<br />
Gegebenheiten Europas mit.<br />
So wie in der Neuzeit Asien und Europa<br />
keineswegs zwei in sich geschlossene Kulturräume<br />
darstellen, so bildete im europäischen<br />
Mittelalter das mongolische<br />
Weltreich mit Europa einen gemeinsamen<br />
Kulturraum. Eine Geschichte Europas im<br />
13./14. Jahrhundert, die ohne die Einbeziehung<br />
der Geschichte des mongolischen<br />
Weltreichs und seiner in der Folgezeit entstandenen<br />
Teilreiche geschrieben wird,<br />
bleibt ein Torso und in zahlreichen kulturellen,<br />
religiösen und wirtschaftlichen Aspekten<br />
unverständlich.<br />
Pax Mongolica – der Titel weckt Assoziationen<br />
zur Pax Romana. Und in der Tat<br />
stellte auch das mongolische Weltreich<br />
ein übernationales Imperium dar, das in<br />
Abb. 1: Chinggis Khan. (Mongolia. The Legacy of Chinggis Khan, S. 26)<br />
wesentlichen Aspekten von einheitlichen<br />
Grundsätzen getragen wurde. Im Folgenden<br />
sollen die Entstehung dieses riesigen<br />
Reichs sowie seine kulturgeschichtliche<br />
Bedeutung für das mittelalterliche Europa<br />
im 13. und 14. Jahrhundert geschildert<br />
werden.<br />
Die Entstehung des<br />
mongolischen Weltreichs<br />
Die Geschichte der Mongolen als Volk ist<br />
mit dem Namen Chinggis Khans verbunden,<br />
der nicht nur die einzelnen Klans der<br />
«Monggol» zu einer Föderation zusammenschloss,<br />
sondern auch eine Reihe anderer<br />
mongolischer und türkischer Stammesgruppen<br />
durch sein Charisma an sich<br />
zu binden verstand. Temüdschin, der spätere<br />
Chinggis Khan, wurde in den sechziger<br />
Jahren des 12. Jahrhunderts im Klan<br />
der Bordschigid geboren. Nach einer entbehrungsreichen<br />
Kindheit und Jugend gelang<br />
es ihm, sich die benachbarten turkmongolischen<br />
Stämme zu unterwerfen.<br />
Auf einem Quriltai, einer Versammlung<br />
der Stammesfürsten der verschiedenen<br />
Steppenstämme, im Jahre 1206 wurde<br />
er zu ihrem Herrscher erhoben, die neunschwänzige<br />
Standarte als sichtbares Symbol<br />
seiner Herrschermacht wurde aufgepflanzt<br />
und der Titel Chinggis Khan<br />
wurde ihm verliehen. In den folgenden drei<br />
Jahren reorganisierte er die soziale Ordnung<br />
der nun «Monggol» genannten Stammesverbände,<br />
indem er die bisherige, an<br />
Deszendenzlinien orientierte Sozialstruktur<br />
zugunsten einer politisch-militärischen<br />
Ordnung ersetzte, die in Zehntausendschaften<br />
untergliedert war. Führungspositionen<br />
wurden allein nach Verdienst und<br />
Leistung vergeben. Die neue Sozialstruktur<br />
erwies sich als ausserordentlich flexibel<br />
und ermöglichte es, immer neue Völker<br />
dem mongolischen Reich einzugliedern.<br />
Nach Feldzügen gegen die Tanguten und<br />
das chinesische Chin-Reich wandte sich<br />
Chinggis Khan 1218 nach Westen und<br />
eroberte das Reich der Kara-Kitai, dann<br />
Buchara und Samarkand, Balch und Chorasan.<br />
1223 schlugen die mongolischen<br />
Truppen ein vereinigtes Heer von Kumanen<br />
und Russen an der Kalka und stiessen<br />
UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />
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