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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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Minnesang der Stauferzeit<br />

Höfische Liebeskunst<br />

als Gesellschaftsspiel<br />

Minnesang ist Gesellschaftskunst. In ihm wird das Wertesystem<br />

der alteuropäischen Adelskultur zelebriert. Er<br />

inszeniert die Liebe als Erfahrungs- und Bewährungsfeld<br />

ästhetisch-ethischer Normen. Doch diese schwerblütige<br />

Erhabenheit wird bald vom ausgelassenen Gegengesang<br />

entzaubert.<br />

Her Walther von der Vogelweide:<br />

Swer des vergêze der tête mir leide:<br />

Alein er wêre niht rîch des guotes,<br />

Doch was er rîch sinniges muotes.<br />

Mit diesen Worten erinnerte drei Generationen<br />

nach dem Tode Walthers der Bamberger<br />

Schulrektor Hugo von Trimberg an<br />

einen der grössten Lyriker deutscher Sprache.<br />

Aber wie könnte man dieses ständig<br />

am Hungertuch nagende Genie der Poesie,<br />

den Schöpfer nobler und mutiger Gedanken,<br />

je dem Vergessen anheim geben,<br />

Walther von der Vogelweide, der wie<br />

kein zweiter Zugang hatte zur Gedankenwelt<br />

der Staufer und gewiss auch zu ihren<br />

Schatzmeistern! Für König Philipp von<br />

Schwaben (1198–1208) tritt er ebenso auf<br />

die politische Bühne wie für dessen jungen<br />

Neffen, den grossen Kaiser Friedrich<br />

II. (1212–1250) – und zwischendurch auch<br />

mal für den welfischen Gegenspieler Otto<br />

IV. von Braunschweig (1198–1218). Aber<br />

wer wollte ihn dafür tadeln, wo doch sogar<br />

der Papst die Fronten wechselte und<br />

ein Poet keine Pfründen besass, sondern<br />

nur das Brot des Gönners, dessen Lied<br />

er sang.<br />

Walther schuf Klanggebilde der verschiedensten<br />

Art und mit den unterschiedlichsten<br />

Themen: das fromme Lob des dreifaltigen<br />

Gottes und der Gottesmutter Maria;<br />

der verwirrende Zauber unnahbarer weiblicher<br />

Schönheit; die verträumte Zärtlichkeit<br />

des liebenden Mädchens; der<br />

bohrende Schmerz des abgewiesenen<br />

Liebhabers; die reuevolle Sorge um das<br />

eigene Seelenheil; die zehrende Melancholie<br />

des altgewordenen Mannes; aber<br />

40 UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

auch: die scharfe Attacke gegen die skandalösen<br />

Missstände im Reich und in der<br />

Kirche; der politische Aufruf zu Umkehr<br />

und Erneuerung.<br />

Imperiale Poesie<br />

Die staufische Aristokratie feierte sich<br />

selbst, wenn sie bei glanzvollen Festen ihren<br />

höfischen Lebensstil zur Schau trug.<br />

Dann blühte sie auf im raffinierten Spiel<br />

mit den ästhetischen Erfahrungen, die der<br />

Die Insignien der<br />

Macht und das<br />

Schriftband präsentieren<br />

Heinrich VI.<br />

als Herrscher und<br />

Autor in der Tradition<br />

des Dichterkönigs<br />

David.<br />

Kult der unerreichbaren Dame auslöste.<br />

Die existentielle Gewalt der Minne, die<br />

gerade im zelebrierten Verzicht auf den<br />

sexuellen Vollzug erotische Kräfte und<br />

spirituelle Energien freisetzte, bildete<br />

das Lieblingsthema dieser hochkultivierten<br />

Rittergesellschaft. Heinrich VI. (1190<br />

bis 1197), der Sohn Friedrich Barbarossas,<br />

hat sich selber als Minnesänger betätigt.<br />

Zu Recht eröffnet daher sein Bildnis die<br />

berühmte Manessische Liederhandschrift<br />

aus Zürich, heute in Heidelberg.<br />

Der Kaiser spricht in einem seiner Gedichte<br />

von einer Liebeserfahrung, die ihn<br />

seine ganze weltliche Macht vergessen<br />

lässt. Immer wenn er von dieser einen Frau<br />

Abschied nehmen müsse, hülfen ihm Herrschaft<br />

und Reichtum nicht das geringste,<br />

um seinen Sehnsuchtsschmerz loszuwerden.<br />

Diese Liebe bedeute ihm so viel, dass<br />

er nicht von ihr lassen könne:

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