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114 DAS MITTELALTER - Universität Bern

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Der Dagulf-Psalter und das kirchenpolitische Umfeld seiner Entstehung<br />

Der König als Priester<br />

Der Austausch von Geschenken gehört zum Protokoll<br />

politischer Diplomatie. Dies war auch im Mittelalter nicht<br />

anders. Würde ein Staatspräsident heute allerdings dem<br />

Papst eine Bibel schenken, wäre das Erstaunen wohl gross.<br />

Genau dies jedoch plante Karl der Grosse. Er beabsichtigte,<br />

Papst Hadrian I. den am Aachener Hof fertiggestellten<br />

Dagulf-Psalter anlässlich der Frankfurter Synode von 794<br />

zu übergeben. Weshalb damit trotzdem keine Eulen nach<br />

Rom getragen worden wären, lässt sich mit einem genaueren<br />

Blick in die Handschrift nachweisen.<br />

Der «Goldene Psalter», wie der Dagulf-Psalter<br />

1 wegen der für die gesamte<br />

Handschrift verwendeten Goldfarbe auch<br />

genannt wird, ist ein Bild- und Schriftzeugnis<br />

für das Bemühen um die Bewahrung<br />

des reinen Prophetenwortes. Nach<br />

Meinung der mittelalterlichen Theologen<br />

soll der Mensch am Wort Gottes, dem seiner<br />

Propheten oder Evangelisten, da als<br />

Offenbarung gleichsam in Stein gehauen,<br />

nicht kritzeln. Der Mensch darf nur, ja er<br />

muss sogar, die «Ablagerungen» fälschlicher<br />

Überlieferungen entfernen.<br />

Kunstvoller Einband<br />

aus Elfenbein<br />

Der als Geschenk an den Papst gedachte<br />

Dagulf-Psalter wurde von Hoftheologen<br />

Karls des Grossen unter der Leitung des<br />

Iren Alkuin zusammengestellt. Die Redaktoren<br />

signalisieren bereits mit dem<br />

Elfenbein-Einband, dass sie eine originalgetreue<br />

Abschrift der Psalmen Davids<br />

vorlegen wollen. Die Vorderseite der<br />

kunstvoll gefertigten Tafeln zeigt auf der<br />

oberen Bildhälfte, wie David vier Schreiber<br />

mit grosser Geste beauftragt, seine Gesänge<br />

gleichsam «live» mitzuschreiben,<br />

und unten, wie dieser Auftrag ausgeführt<br />

wird (Abb. 1, linke Tafel). Auf der Rückseite<br />

des Einbands wird Hieronymus von<br />

einem Boten des Papstes beauftragt, den<br />

in der Zwischenzeit nicht mehr originalen,<br />

sondern korrumpierten Psalmentext zu re-<br />

1 Der nach dem Schreiber Dagulf benannte Psalter<br />

ist eine kleinformatige (12x19cm) Prachthandschrift<br />

der Psalmen aus dem Alten Testament. Im<br />

Unterschied zur neuzeitlichen Bibelauslegung<br />

glaubte das Mittelalter, dass die hochpoetischen<br />

Lob-, Dankes- und Klagelieder allesamt von David<br />

stammen würden.<br />

44 UNIPRESS<strong>114</strong>/OKTOBER 2002<br />

digieren. Im unteren Bildfeld diktiert Hieronymus<br />

seinen verbesserten Text einem<br />

Schreiber (Abb. 1, rechte Tafel).<br />

Geschenk für den Papst<br />

Auf einem Einzelblatt, noch vor den Vorreden<br />

und dem eigentlichen Psalmentext<br />

eingebunden, finden sich zwei Widmungsgedichte.<br />

Dank dem ersten Widmungsgedicht<br />

(siehe Kasten «Erstes Widmungsgedicht»<br />

und Abb. 2 ) weiss man, dass Karl<br />

der Grosse das schmuckvolle Bändchen<br />

Papst Hadrian I. schenken wollte. Es blieb<br />

allerdings bei der Absicht. Der Papst hat<br />

die Gabe vor seinem Tode am ersten Weihnachtstag<br />

795 wohl nicht mehr erhalten.<br />

Weshalb jedoch beabsichtigt ein weltlicher<br />

Herrscher, dem geistlichen Oberhaupt<br />

eine Psalmenhandschrift zu schenken?<br />

Das Werk des Schreibers Dagulf ist<br />

wahrscheinlich eine Verdankung der zahlreichen<br />

Handschriften, welche Hadrian I.<br />

Abb. 1: Der Einband des Dagulf-<br />

Psalters aus Elfenbein.<br />

ins Frankenreich geschickt hatte. Indem<br />

der Papst die Buchwünsche des Königs<br />

er-füllte und sowohl kirchenpolitisch als<br />

auch pastoral bedeutsame Texte als Dauerleihgabe<br />

freigab, ermöglichte er diesem,<br />

weit-greifende liturgische Reformen<br />

einzuleiten. Bekanntestes Beispiel dieser<br />

Reformen ist die im Namen Karls an<br />

den fränkischen Klerus gerichtete Mahnschrift<br />

mit dem Titel Admonitio generalis<br />

von 789. Darin fordert er, «dass jedes<br />

Kloster darum bemüht sein soll, mit grösster<br />

Sorgfalt den Wortlaut der Psalmen authentisch<br />

wiederzugeben und, wenn notwendig,<br />

von den besten Theologen und<br />

Schreibern originalgetreue Abschriften<br />

der Psalmen anfertigen zu lassen».<br />

Gegen die byzantinische<br />

Bilderverehrung<br />

Der Dagulf-Psalter könnte folglich auch<br />

ein Schriftbeweis für die erfolgreich<br />

durchgeführte Verbreitung orthodoxer<br />

Schrifttradition sein und den Absender<br />

vor dem Papst als Hüter der Rechtgläubigkeit<br />

erscheinen lassen. Dies ist um so<br />

naheliegender, als der König genau in jenen<br />

Jahren mit beinahe schon päpstlichem<br />

Eifer an zwei Fronten als Verteidiger der<br />

katholischen Lehre auftrat: Auf der Synode<br />

von Frankfurt 794 kämpfte Karl<br />

der Grosse einerseits gegen die byzantinische<br />

Bilderverehrung und andererseits<br />

gegen die spanische Irrlehre des Adoptianismus<br />

2 . Der Dagulf-Psalter ist nicht<br />

nur ein Beweis vom treuen Schaffen, er<br />

trägt auch explizite Spuren dieser beiden

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