Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein
Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein
Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
wenn es erforderlich werden sollte.<br />
Wenige Tage vor Freyas Tod konnte<br />
Ulrike ihr diesen Wunsch noch erfüllen.<br />
Am folgenden Morgen waren wir beide<br />
wieder dermaßen in unser Gespräch<br />
vertieft, dass wir nicht genügend auf<br />
die Zeit achteten. Um 10.10 Uhr klingelte<br />
bei Ulrike das Telefon, und Freya<br />
fragte besorgt wo ich denn bliebe. Da<br />
mir Ulrike in diesen Tagen ihr Auto<br />
lieh, konnte ich sofort zu Freya eilen,<br />
die sich schließlich von mir noch <strong>eine</strong><br />
Fahrt durch ihre bezaubernde Umgebung<br />
wünschte.<br />
Beim Abschied am Abend führte mich<br />
Freya in ihr Gästezimmer und sagte:<br />
"Du kannst auch hier übernachten, das<br />
Bett ist für Dich gemacht".<br />
Drei Monate später, im Januar 2007,<br />
begab sich Freya ein letztes Mal mit<br />
95 Jahren auf die weite <strong>Reise</strong> nach<br />
Berlin und Kreisau, weil sie an den<br />
Feiern zum 100. Geburtstag für ihren<br />
Mann teilnehmen wollte, die die<br />
Evangelische Akademie Berlin-<br />
Brandenburg mit <strong><strong>eine</strong>r</strong> äußerst interessanten<br />
und gelungenen Tagung im<br />
Adam-von-Trott-Haus in Wannsee<br />
veranstaltete. Zunächst wollte sie der<br />
Einladung nicht folgen. Sie glaubte,<br />
nicht mehr genug Kraft für diese Unternehmung<br />
zu haben. Aber sie wurde<br />
daraufhin von so vielen Menschen gebeten,<br />
sich doch noch einmal an diesem<br />
besonderen Fest zu Ehren ihres<br />
Mannes Helmuth James zu beteiligen,<br />
dass sie doch noch dem Ruf ihrer<br />
Freunde folgte, sich sehr beeindruckt<br />
von der besonderen und äußerst gelungenen<br />
Feier zeigte und schließlich<br />
glücklich war, sich doch noch für diese<br />
entschieden zu haben.<br />
Als ich endlich die Gelegenheit erhielt,<br />
Freya auch in der Menge der Gäste zu<br />
begrüßen, sagte sie in ihrer bisweilen<br />
etwas provozierenden und forschen<br />
Art zu mir: "wir haben uns ja grade erst<br />
ausführlich gesehen!" Mir gefiel auch<br />
diese direkte und ehrliche Art an ihr,<br />
und außerdem hatte sie Recht. Ich<br />
fügte mich und überließ den anderen<br />
gelassen den Vortritt.<br />
Damals begann allerdings schon mein<br />
Abschied auf Raten von ihr, geprägt<br />
reichwein forum Nr. 15 Juni 2010<br />
18<br />
von Wehmut und dem Gefühl, sie wohl<br />
nicht mehr wiederzusehen.<br />
Danach habe ich immerhin noch ein<br />
wenig für sie tun und nicht lassen können.<br />
Ich wollte sie unbedingt mit den typischen<br />
und von ihr immer so geschätzten<br />
Quitten-Leckereien aus unserem<br />
Wannseer Garten verwöhnen.<br />
Das <strong>eine</strong> Mal schmuggelte Agnieszka<br />
von Zantier (Geschäftsführerin der<br />
"Freya von Moltke-Stiftung für das<br />
Neue Kreisau") <strong>eine</strong> Kostprobe vom<br />
Quitten-Gelee für mich durch den<br />
amerikanischen Zoll, und beim zweiten<br />
Mal brachte Caspar s<strong><strong>eine</strong>r</strong> Mutter die<br />
obligatorische Unicef-Postkartenschachtel<br />
mit, die nun ich mit Quittenbrot<br />
gefüllt hatte.<br />
Früher hatte m<strong>eine</strong> Mutter ihr alljährlich<br />
diese "Romai-Spezialität" als<br />
Weihnachtsgruß per Luftpost zugeschickt.<br />
Jetzt hatte ich es gewagt, in<br />
die Fußstapfen m<strong><strong>eine</strong>r</strong> Mutter zu treten.<br />
Als das Telefonieren mit Freya wegen<br />
ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit<br />
komplizierter wurde, gewann ich den<br />
Eindruck, dass sie anfing, sich allmählich<br />
zurückzuziehen.<br />
Von nun an begann das Ende ihrer<br />
Lebensphase immer mehr dem m<strong><strong>eine</strong>r</strong><br />
Mutter zu ähneln, die sich während ihres<br />
letzten Lebensjahres zunehmend<br />
in sich zurückzog.<br />
Freya sagte schon vor Jahren einmal<br />
"Vielleicht ist es ja undankbar. Aber ich<br />
habe eigentlich genug gelebt. - Ein<br />
gutes Leben". Ähnlich hatte sich auch<br />
m<strong>eine</strong> Mutter geäußert.<br />
Beide Frauen sahen ihr langes Leben<br />
trotz allem als ein Schönes und Erfülltes<br />
an, das nun zu Ende gehen könne.<br />
Sie starben beide in ihrem 98. Lebensjahr,<br />
ganz natürlich, aus Schwäche,<br />
blieben aber bis fast zum letzten<br />
Tag in ihrem Geist hellwach. Sie starben<br />
im Kreis ihrer Familie, von der sie<br />
sich noch verabschieden konnten.<br />
Die schwerste Zeit ihres Lebens hatten<br />
sie gemeinsam erlebt und bewältigt<br />
und sie hatten sich gegenseitig vertraut,<br />
gestärkt und unterstützt, nicht<br />
nur in Kreisau sondern auch während<br />
ihres weiteren Lebens nach Deutschlands<br />
Zusammenbruch, in dem sich ihre<br />
Wege immer wieder zwischen Berlin,<br />
Kreisau und Vermont kreuzten. Sie<br />
waren faszinierende und sich gegenseitig<br />
ergänzende unterschiedliche<br />
Charaktere. Für m<strong>eine</strong> Mutter sei<br />
Freya immer ein Vorbild gewesen. Das<br />
Gleiche sagte Freya über m<strong>eine</strong> Mutter.<br />
Für mich wurden beide Frauen zu bedeutenden<br />
Vorbildern und durch Freya<br />
gewann ich Kreisau/ Krzy�owa endgültig<br />
als zweite Heimat zurück.<br />
Während der Gedenkfeier am 23.<br />
März im Berliner Französischen Dom<br />
war Freya noch einmal in außergewöhnlicher<br />
Weise präsent, denn die<br />
Redner zeichneten jeweils ihr ganz<br />
persönliches Bild von Freya auf berührende<br />
Weise. Durch zahlreiche Äuße-