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Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein

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<strong>Reichwein</strong>s<br />

reformpädagogische<br />

Goethe-Schule in<br />

Tiefensee<br />

Ein Dank an Heinz Schernikau für<br />

s<strong>eine</strong>n tiefgründigen und hellsichtigen<br />

<strong>Reichwein</strong>-Aufschluss<br />

Hans-Christoph Berg<br />

Beim Durcharbeiten dieses grossartigen<br />

<strong>Reichwein</strong>buches hat sich m<strong>eine</strong><br />

Rezension derart ausgewachsen, dass<br />

ich sie nicht mehr pünktlich zum Redaktionsschluss<br />

ausfertigen konnte.<br />

Aber mit der vorliegenden Kostprobe<br />

will ich doch gerne den Diskurs über<br />

Heinz Schernikaus Opus Magnum<br />

wachhalten helfen � und zum Herbst<br />

wird dann auch der kl<strong>eine</strong> Rest nachgeliefert.<br />

Versprochen!<br />

Einleitung mit Leseprobe<br />

Schernikaus 300seitiges <strong>Reichwein</strong>buch<br />

in s<strong>eine</strong>m eigenen dreiseitigen<br />

Konzentrat (S.278-281), gegliedert<br />

gemäss s<strong>eine</strong>m dreistufigen<br />

Buchtitel<br />

Bei der als Einleitung fungierenden<br />

Leseprobe habe ich nur die von mir als<br />

zentral beurteilten Seiten um ein Drittel<br />

gekürzt und habe dann den dreistufigen<br />

Buchtitel aufgeteilt und als Zwischenüberschriften<br />

eingefügt. Dadurch<br />

deutet sich bereits in diesem dichten<br />

Kurztext Schernikaus Doppelthese an:<br />

Natürlich gilt es zunächst, das Phänomen<br />

Tiefensee genau ins Auge zu fassen,<br />

es gewissermassen fotografisch<br />

zu erfassen. Um dieses Phänomen<br />

aber zu verstehen, müssen wir es in<br />

die Landschaft der Reformpädagogik<br />

einordnen, es gewissermassen geografisch<br />

erfassen. Aber erst <strong>eine</strong> noch<br />

tiefergehende Analyse � erst der gewissermassen<br />

geologische Blick �<br />

kann den Geist der deutschen Klassik<br />

als wahres Fundament und entscheidende<br />

Tiefenkraft des Schulmodells<br />

Tiefensee wirklich erfassen.<br />

reichwein forum Nr. 15 Juni 2010<br />

60<br />

�Tiefensee�<br />

Worin aber ist das Spezifische der reformpädagogischen<br />

Landschullehrer-<br />

Lehrkunst <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s zu sehen?<br />

Antwort mag zunächst das ebenso si-<br />

gnifikante und beziehungsreiche Bild<br />

erteilen, das Bohnenkamp in s<strong>eine</strong>n<br />

�Erinnerungen� vom Leben, Lernen<br />

und Lehren in Tiefensee zeichnet:<br />

�Ich kenne k<strong>eine</strong> Stelle, welche die<br />

Gedanken der deutschen �pädagogischen<br />

Bewegung� inniger befolgt und<br />

schöner bestätigt hätte als Tiefensee.<br />

Im Sommer war der Garten mit s<strong>eine</strong>n<br />

selbstgezimmerten Tischen und Bänken,<br />

aber auch mit s<strong>eine</strong>n Beeten und<br />

Bäumen, und waren weiter Feld, Wald<br />

und Seeufer wichtiger als die Schulstube.<br />

<strong>Wenn</strong> man aber winters in die<br />

Klasse kam, fand man sich wie in <strong><strong>eine</strong>r</strong><br />

Familienwerkstatt: es roch nach Leim<br />

und Spänen; Materialien und entstehende<br />

Gebilde - Brauchgut und Modelle<br />

- lagen auf Tisch und Bord.<br />

Zeichnungen und Bilder bedeckten die<br />

Wände. Von kl<strong>eine</strong>n und großen Händen<br />

wurde gefalzt und geklebt, geknetet<br />

und gemalt, geschnitzt und gehobelt,<br />

gehämmert und gelötet, geschnitten<br />

und gewebt mit Fröhlichkeit<br />

und Rücksicht auf den Nebenmann. In<br />

<strong><strong>eine</strong>r</strong> Ecke stand <strong>eine</strong> Gruppe in Betrachtung<br />

oder Besprechung vertieft,<br />

während <strong>eine</strong>s der großen Mädchen<br />

mit den Kleinsten rechnete und<br />

schrieb. <strong>Adolf</strong> war überall zugleich,<br />

beantwortete Fragen, griff helfend zu,<br />

gab stumme Winke, sammelte hie und<br />

da die ganze Schar zu <strong>eine</strong>m besinnlichen<br />

Gespräch und sorgte, daß die<br />

Stücke <strong>eine</strong>s vielgliederigen, elastischen<br />

Zeitplanes ohne Lücke ineinandergriffen.<br />

<strong>Wenn</strong> er mittags die Kinder<br />

entlassen hatte, begannen für ihn<br />

Kontrolle und Rechenschaft, Probieren<br />

und Planen. Nachmittags kamen immer<br />

Kinder, um weiter zu basteln,<br />

Stücke zu üben, den nächsten Morgen<br />

vorzubereiten, und abends saß <strong>Adolf</strong><br />

bis in die Nacht über Büchern und<br />

Heften, Zeichnungen und Tabellen<br />

oder Schraubstock und Feile.�<br />

Hier gewinnt das Lernen im Medium<br />

der Werktätigkeit ein ebenso schlaglichtartiges<br />

Profil wie die begleitende<br />

oder gesonderte Übung der Fertigkeiten<br />

in der Stillarbeit der Gruppe. Vor<br />

allem aber demonstriert diese Momentaufnahme<br />

nicht den vor der Klasse<br />

stehenden Akteur und die dramaturgische<br />

Figur s<strong>eine</strong>s Handelns im<br />

kollektiven Lehr-Lernfeld der Klasse,<br />

sondern den in der Klasse sich bewegenden<br />

Inter-Akteur, der in scheinbar<br />

zwangloser Form Lernhilfen eingibt<br />

oder Lernkontrollen durchführt. (�)<br />

Die hier vorherrschende Form der<br />

Lehrkunst ist nicht szenischer oder<br />

dramaturgischer Art, sondern von<br />

struktureller Qualität, da ihr das<br />

Kunstwerk des zuvor entwickelten<br />

�elastischen Zeitplans� zugrunde liegt,<br />

der ermöglichen soll, im Rahmen <strong>eine</strong>s<br />

Vorhaben-Themas in gruppenteiliger<br />

und individualisierter Form zu arbeiten<br />

und überdies die Könnerschaft, mit<br />

souveräner Sachkompetenz und Improvisationsgabe<br />

überall anregend und<br />

helfend eingreifen zu können.<br />

Lehrkunst dieser strukturellen Form<br />

liegt vor, wenn es <strong>eine</strong>m Lehrer in der<br />

Art <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s gelingt, die anstehende<br />

Werkarbeit sach- und materialgerecht<br />

für s<strong>eine</strong> Schüler aufzubereiten<br />

und in lernergiebiges kooperatives<br />

Arbeiten umzusetzen, wenn es<br />

ihm möglich ist, aus der Einzel- und<br />

Gruppenarbeit Anregungen aufzugreifen<br />

und in organisch-genetischer

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