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Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein

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der Volkswirtschaftsschule Thüringen,<br />

<strong><strong>eine</strong>r</strong> volkshochschulähnlichen Einrichtung<br />

für Betriebsräte und Gewerkschaften,<br />

147 im Herbst und Winter<br />

1923/24 entstanden. In der knappen<br />

Einleitung zu �Die Rohstoffe der Erde�<br />

legte er ein wirtschaftspolitisches Credo<br />

ab: 148 ��Wir haben [durch den Krieg]<br />

gelernt, mehr aus den Tatsachen der<br />

Wirtschaft heraus zu denken, als über<br />

sie zu reflektieren. Wir sind mehr als<br />

früher bemüht, uns im Feld ihrer Wirklichkeit<br />

zurecht zu finden, bevor wir<br />

uns an Gedanken ihrer möglichen<br />

Umordnung wagen. Wir wissen deutlicher,<br />

... solche Möglichkeiten ... sind<br />

nur insofern wirklichkeitsreif, als sie<br />

wirtschaftsnotwendig sind ...Um ...<br />

[der] Wichtigkeit [der Wirtschaft] willen<br />

müssen wir ihre Entwicklung beachten;<br />

wir müssen ein einfaches naives Verhältnis<br />

149 zu ihr fassen und das Gespenst<br />

ihrer Selbstherrlichkeit verschwindet.<br />

Sie hat dann wieder ihren<br />

rechten Ort und dort ihre Bedeutung<br />

.... Die eigentliche Revolution des beginnenden<br />

Jahrhunderts wurde angesponnen<br />

in der immer engeren Verknüpfung<br />

der wirtschaftenden Völker<br />

zur �Weltwirtschaft��� Die Sicht auf die<br />

(gesamte) Welt war offensichtlich in<br />

den 20er Jahren üblich geworden;<br />

Victor Klemperer etwa schrieb in s<strong>eine</strong>m<br />

�Curriculum vitae�: 150 � �Nach dem<br />

Weltkrieg � gab es gar k<strong>eine</strong> Fernen<br />

mehr. Es gab k<strong>eine</strong> isolierte deutsche<br />

Politik und Wirtschaft mehr, kaum <strong>eine</strong><br />

europäische � nur Weltpolitik und<br />

Weltwirtschaft, und davon waren alle<br />

Zeitungen ... übervoll.� Gegen die früheren<br />

�abgeschlossenen Völkerwirtschaften�<br />

sich wendend, stellte <strong>Reichwein</strong><br />

1924 fest: �Wir stehen damit an<br />

der Schwelle des neuen Reiches der<br />

ringer Staatsverlag Weimar 1924. Im Vorwort<br />

vom Februar 1924 erläutert <strong>Reichwein</strong>,<br />

das Buch sei durch �genossenschaftliche<br />

Arbeit� entstanden, �<strong>eine</strong> Gruppe von jungen<br />

Kameraden� der Schule habe den<br />

Druck besorgt. Vgl. a. Amlung, wie Anm.<br />

38, S. 178f.<br />

147 1922 gegründet, vgl. insbesondere Rei-<br />

mers, wie Anm. 56.<br />

148<br />

Rohstoffe, S. 5-7.<br />

149<br />

Vgl. Wunder, Bedeutung, Anm. 34, S.<br />

35.<br />

150<br />

Victor Klemperer, Curriculum vitae. Jugend<br />

um 1900, Berlin 1989, S. 415.<br />

reichwein forum Nr. 15 Juni 2010<br />

37<br />

Wirtschaft, die sich entpolitisiert und<br />

damit <strong>eine</strong>n neuen hoffnungsvollen<br />

Blick eröffnet: Auf die Arbeitsteilung<br />

und Arbeitsgemeinschaft der Völkerwirtschaften�.<br />

Die Dynamik der Weltwirtschaft<br />

ergab sich für <strong>Reichwein</strong><br />

wesentlich aus der Dynamik der Rohstoffwirtschaft.<br />

Im zitierten Text sind<br />

unschwer sozialistische Vorstellungen<br />

der Wirtschaftslenkung erkennbar, was<br />

ein Brief an Gardiner vom 24. April<br />

1924 indirekt bestätigt. 151<br />

1926 kommt im �Gewerkschafts-<br />

Archiv� s<strong>eine</strong> Studie �Weltwirtschaft�<br />

heraus, nicht als Buch, sondern als<br />

Aufsatz in zwei aufeinanderfolgenden<br />

Heften des Gewerkschafts-Archivs �<br />

parallel zur Vorbereitung s<strong><strong>eine</strong>r</strong> USA-<br />

<strong>Reise</strong>. Dort schreibt er kühn und naiv:<br />

�Diejenige Form der Weltwirtschaft<br />

wird am leistungsfähigsten sein, die ihre<br />

Bestimmung planetarische Gemeinschaftsarbeit<br />

am besten erfüllt. Ihre<br />

technische Erfüllung geschieht durch<br />

<strong>eine</strong>n künftigen neuen planmäßigen<br />

Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch.�<br />

152 Der 28jährige <strong>Reichwein</strong><br />

nahm die sozialistische Utopie <strong><strong>eine</strong>r</strong><br />

globalen Wirtschaftslenkung ernst.<br />

Der Ertrag der USA-<strong>Reise</strong>, das neue,<br />

umfangreiche, außerordentlich nüchtern<br />

153 geschriebene Werk �Die Rohstoffwirtschaft<br />

der Erde� (1928, 624<br />

Seiten) �will in erster Linie Material<br />

vermitteln. � Hier ist der Versuch gemacht,<br />

zwar auf Grund ausgedehnter<br />

Einzelstudien, aber ohne die Absicht<br />

der Sinngebung einfach zu beschreiben.<br />

Es handelt sich also um <strong>eine</strong><br />

Vorarbeit,� durch Beschreibung der<br />

Rohstoffwirtschaft zur Offenlegung der<br />

151 Pallat Nr. 39; Amlung, wie Anm. 38,<br />

sieht dies ähnlich (S. 179).<br />

152 Vgl. Anm. 133.<br />

153 Der wirtschaftsgeographische Fachmann<br />

Erich Obst schrieb hingegen in s<strong><strong>eine</strong>r</strong><br />

lobenden Rezension (in: Zeitschrift für Geopolitik<br />

V. Jg. 1928, S. 887f.): �in <strong>eine</strong>m<br />

Maße interessant gestaltet, dass man tatsächlich<br />

mit Spannung von <strong>eine</strong>m zum andern<br />

Kapitel übergeht�. Obst war Mitherausgeber<br />

der Zeitschrift (zu ihm s. später<br />

im Text). Auch der Geograph Alfred Rühl<br />

schreibt in s<strong><strong>eine</strong>r</strong> kurzen im ganzen lobenden<br />

Rezension in Schmollers Jahrbuch 55.<br />

Jg., I. Halbband, Leipzig 1931, S. 187: �und<br />

bringt höchst anschaulich, eindringliche<br />

Schilderungen einzelner Fragen, die man<br />

mit großem Vergnügen liest.�<br />

Dynamik der Weltwirtschaft zu kommen.<br />

Zugleich formuliert er in dieser<br />

knappen Einleitung s<strong>eine</strong> Absichten:<br />

�Neben die Sinngebung der Weltwirtschaft,<br />

ihre Vermenschlichung in der<br />

Theorie, neben die wirtschaftliche<br />

Ordnungslehre im weitesten Sinne,<br />

soll <strong>eine</strong> umfassende Lehre von den<br />

Rohstoffen treten, mit denen die künftige<br />

erdräumige Wirtschaftsordnung<br />

rechnen kann.� Das Ziel lag für ihn auf<br />

der Hand: �Eine wirkliche Bewirtschaftung<br />

der Rohstoffe ist heut <strong>eine</strong><br />

der ersten Sorgen der praktisch und<br />

führend in der Wirtschaft Tätigen.� 154<br />

Noch die Aufsätze in der �Deutschen<br />

Rundschau� während der NS-<br />

Herrschaft weisen auf die weltwirtschaftliche<br />

Verflochtenheit der Rohstoffpolitik.<br />

In �Rohstoffe im Kräftespiel<br />

der Zeit� (1936) lautet der Schlusssatz:<br />

�Jede Sorge um <strong>eine</strong> wirkliche [gesperrt]<br />

Knappheit der Rohstoffe (ist)<br />

unbegründet, weil die Reservemöglichkeiten<br />

... außerordentlich groß sind<br />

und ihre Nutzung lediglich abhängt von<br />

unserer, der menschlichen, politischen<br />

Gestaltungskraft.� In �Umschwünge<br />

der Wirtschaft� (1937) prophezeit er<br />

�ein neuartiges künftiges Zusammenspiel<br />

[der Großräume]�, das man, mit<br />

der Einschränkung, dass es nicht �frei�<br />

oder �liberal� sein wird, wieder weltwirtschaftlich<br />

nennen könnte; unter der<br />

Voraussetzung straff geplanter Großraumwirtschaften<br />

und staatlich in irgend<strong><strong>eine</strong>r</strong><br />

Form kontrollierten Außenhandels.�<br />

155<br />

Die Spezifizität des Sachgebietes<br />

Rohstoffwirtschaft weist auf <strong>eine</strong>n<br />

Charakterzug <strong>Reichwein</strong>s hin. S<strong>eine</strong><br />

Sache war nicht die Theorie, sondern<br />

die Vielfalt der Erfahrung, die �Dingliebe�.<br />

Bereits vor der AV in Marburg<br />

hatte <strong>Reichwein</strong> 1924 vorgetragen:<br />

�Die �Dingliebe�, das Hingeben an die<br />

Dinge, so wie sie in Wirklichkeit sind,<br />

ist das wichtigste Erfordernis für politische<br />

Bildung.� 156 Im Vorwort der �Erlebnisse�<br />

postuliert er: �<strong>Wenn</strong> wir die<br />

154 <strong>Reichwein</strong>, Rohstoffwirtschaft, wie Anm.<br />

37, S. VII.<br />

155 Zu den Aufsätzen vgl. Anm. 37. Zitate:<br />

Rohstoffe S. 112, Umschwünge S. 104.<br />

156 Wunder, Bedeutung, wie Anm. 34, dort:<br />

Anm. 163.

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