Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein
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war. Deshalb bestanden immer enge<br />
Verbindungen zwischen den �Leuchtenburgern�<br />
und ihrer Leipziger Gruppe.<br />
Dem Leuchtenburg-Kreis gehörte<br />
er bis zu dessen Selbstauflösung im<br />
Mai 1933 an. 1928 trat er mit diesem<br />
Kreis der Deutschen Freischar bei und<br />
gleichzeitig persönlich in die SPD ein,<br />
und war von 1930 bis 1933, ebenso<br />
wie <strong>Reichwein</strong>, Mitarbeiter der �Neuen<br />
Blätter für den Sozialismus�. Angesichts<br />
der Fülle von Ereignissen und<br />
Daten, über die er berichtet, muss man<br />
annehmen, dass er bei der Abfassung<br />
s<strong>eine</strong>s Berichtes, trotz s<strong><strong>eine</strong>r</strong> Emigration<br />
�aus politischen und rassischen<br />
Gründen� nach England von 1934 bis<br />
1947, über eigenes oder fremdes Archivmaterial<br />
verfügte, falls er nicht ein<br />
phänomenales Gedächtnis besaß. Jedenfalls<br />
erscheint sein Bericht gut und<br />
gründlich recherchiert.<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> taucht in s<strong>eine</strong>m Bericht<br />
erstmals 1928 auf: �Im September<br />
1928 diskutierten <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> und<br />
Fritz Borinski auf <strong><strong>eine</strong>r</strong> Arbeitswoche<br />
der Jungmannschaft des Sachsengaus<br />
der Deutschen Freischar unter Kurt<br />
Mothes über Arbeiterbewegung und<br />
Arbeiterbildung. Es war in Geyer im<br />
Erzgebirge.� (S. 36) Das nächste Mal<br />
tritt <strong>Reichwein</strong> anlässlich des Ersch<strong>eine</strong>ns<br />
des 1. Heftes der �Neuen Blätter<br />
für den Sozialismus� im Januar 1930<br />
auf. Herausgeber waren Prof. Eduard<br />
Heimann (Hamburg), Fritz Klatt<br />
(Prerow) und Prof. Paul Tillich (Frankfurt<br />
a.M.). Schriftleiter war der Hofgeismarer<br />
Jungsozialist August<br />
Rathmann, Beiräte waren u.a. Emil<br />
Blum, <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>, die Professoren<br />
Emil Lederer, <strong>Adolf</strong> Löwe, Hendrik<br />
de Man, Hugo Sinzheimer und der<br />
Reichstagsabgeordnete Wilhelm Sollmann<br />
(SPD). (S. 43) Später berichtet<br />
Borinski über ein Gespräch zwischen<br />
Mitarbeitern der �Neuen Blätter� und<br />
Führern der �Schwarzen Front� (linke,<br />
antikapitalistische Nationalsozialisten<br />
unter Otto Strasser), das Anfang September<br />
1932 im Ausflugslokal �Onkel<br />
Toms Hütte� an der Krummen Lanke in<br />
Berlin stattfand und an dem auch<br />
<strong>Reichwein</strong> teilnahm, das war also kurz<br />
vor s<strong>eine</strong>m Volkshochschulkurs in<br />
reichwein forum Nr. 15 Juni 2010<br />
55<br />
Prerow. �Otto Strasser berichtete über<br />
die Erfahrung s<strong><strong>eine</strong>r</strong> Freunde mit <strong>Adolf</strong><br />
Hitler und s<strong>eine</strong>n Unterführern, über<br />
die persönlichen und materiellen<br />
Kräfte der NSDAP, aber auch über die<br />
Ziele der Schwarzen Front und ihre<br />
praktischen Vorstellungen von der<br />
deutschen Revolution. <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>,<br />
der an diesem vierstündigen Gespräch<br />
teilnahm, war erschüttert über<br />
die Verruchtheit der Spitzen der Hitlerpartei,<br />
war kritisch gegen die naivphantastischen<br />
Geschichtstheorien<br />
und gesellschaftlichen Ziele Strassers,<br />
aber auch überrascht und beeindruckt<br />
von manchen s<strong><strong>eine</strong>r</strong> praktischaktivistischen<br />
Ansätze.� (S. 60)<br />
Danach vereinbarte Borinski mit<br />
Strasser, dass dieser Anfang Oktober<br />
als Diskussionspartner an <strong>eine</strong>m<br />
Treffen auf der Leuchtenburg über<br />
Marxismus teilnehmen werde, über die<br />
Frage: Mit oder gegen Marx zur<br />
Neuformung der deutschen Nation?<br />
�Zunächst waren <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> und<br />
Hans Freyer als Referenten vorgesehen.<br />
Man rechnete damit, dass Freyer<br />
die nationalistische These s<strong><strong>eine</strong>r</strong> 'Revolution<br />
von rechts' vertreten werde.<br />
Aber Freyer sagte einige Wochen vor<br />
der Tagung ab. Ein führender Mitarbeiter<br />
der 'Tat', Dr. Wilhelm Rössle aus<br />
Jena, trat an s<strong>eine</strong> Stelle.� (S. 60)<br />
Ein Rundbrief der Leuchtenburger von<br />
Anfang September 1932 nannte zwei<br />
Aufgaben für das Treffen: �Mitschaffen<br />
an der Neugestaltung des Sozialismus<br />
und Mitschaffen an der neuen Frontbildung<br />
der revolutionären jungen<br />
Kräfte der Arbeiterbewegung, der Bürger<br />
und Bauern�. (S. 60 f.) Die junge<br />
Generation müsse es übernehmen zu<br />
untersuchen, �was an Formulierungen<br />
und Gedanken des Marxismus heute<br />
noch gültig und was überlebt sei. Die<br />
neue Front solle 'die großen Wirklichkeiten<br />
unserer Zeit verbinden: Sozialismus<br />
und Nation'. Deshalb beginne<br />
der Leuchtenburgkreis s<strong>eine</strong> kritische<br />
Arbeit am Marxismus mit der Gegenüberstellung<br />
von Marx und dem Nationalismus.�<br />
(S. 61) Mit der �neuen<br />
Front� war ein linkes parteiübergreifendes<br />
Bündnis, <strong>eine</strong> antikapitalisti-<br />
sche und sozialistische �Volksfront�<br />
von den linken Nationalsozialisten bis<br />
zur SPD und den freien Gewerkschaften<br />
des ADGB gegen den rechten<br />
Nationalsozialismus Hitlers gemeint.<br />
Die Kommunisten werden von<br />
Borinski allerdings nicht erwähnt. Dabei<br />
ging es den Leuchtenburgern auch<br />
um die Rettung der Republik und der<br />
Demokratie, obwohl das nicht hier,<br />
sondern an anderer Stelle betont wird.<br />
Insofern ähneln sich die Argumente<br />
der Leuchtenburger und die, welche<br />
<strong>Reichwein</strong> in dem September-Kurs in<br />
Prerow vorgetragen hat, und auch den<br />
Vorstellungen, die Kurt von Schleicher<br />
in s<strong><strong>eine</strong>r</strong> Zwei-Monatsregierung im<br />
Winter 1932/33 verfolgt hat. Diese ist<br />
nicht zuletzt an Gregor Strasser gescheitert,<br />
der das ihm angebotene Ministeramt<br />
aus Loyalität zu Hitler nicht<br />
annehmen wollte.<br />
Im Folgenden berichtet Borinski ausführlich<br />
über die Vorbereitung und den<br />
Ablauf jener denkwürdigen Veranstaltung<br />
auf der Leuchtenburg. Im Voraus<br />
wurden Thesen zum Nationalismus<br />
und zum Marxismus formuliert und<br />
verschickt. (S. 190-194), die wohl auch<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> erhalten hat. �Am<br />
Abend des 4. Oktober 1932 kamen<br />
über 70 Teilnehmer, darunter 30 Gäste,<br />
im Remter der Leuchtenburg zusammen.<br />
Es war das erste und einzige<br />
Mal, dass der Kreis sich nicht in der<br />
Jugendherberge, sondern in der Burg<br />
selber versammelte. Die Gäste kamen<br />
aus der Freischar und von den Köngenern,<br />
vom Neuwerk und von den Kronachern,<br />
von den Jungdeutschen und<br />
von der Schwarzen Front.� (S. 61)<br />
Aus dem Bericht geht hervor, dass<br />
nach <strong><strong>eine</strong>r</strong> Einführung von Werner<br />
Reinhard zunächst Wilhelm Rössle<br />
sprach und dem integralen Vulgärmarxismus<br />
vor allem drei unzulässige<br />
<strong>Verein</strong>fachungen vorhielt: die Zwei-<br />
Klassen-Theorie, die These <strong>eine</strong>s fundamentalen<br />
Gegensatzes zwischen<br />
Proletariat und Kapitalisten und die<br />
vorgebliche Identität des Sozialismus<br />
mit dem Proletariat. Dagegen setzte er<br />
die Gleichheit von Sozialismus und<br />
Nation. Auf diese Argumente antwor-