Wenn einer eine Reise tut... - Adolf-Reichwein-Verein

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meiner ost- und südostasiatischen Reise finanziert. Meine Sorge war nämlich immer, die Zeit auf hoher See, dem ganzen Zweck meiner Reise entsprechend, so viel als möglich auszunutzen. Es war ein tolles und intensives Leben und es geht mir wie einem Fisch, der in seinem Element schwimmt. � Kennen sie eigentlich Alaska? Gewaltig zur Winterszeit! Diese Eis- und Schneepaläste. Reste der alten frontiers, die die Staaten gebaut haben. Letzte Front gegen Elemente. Und Einsamkeit. Die Reise in den Staaten � 17000 km im selbstgesteuerten Auto � war intensiv genug, um das Bücherbild radikal zu zerstören. Wie falsch wird Amerika von den Europäern beurteilt, die, mit dem evening dress bewaffnet, die Neu-England-Staaten �besichtigen�, sich dann in den Pullman nach San Francisco setzen, und dazwischen heißts eben: �Rechts sind Bäume, links sind Bäume und dazwischen Zwischenräume.� Und dazwischen liegt der Kern! Aber Sie kennen das ja. In San Francisco übrigens indische Beziehungen, über die ich hier nichts weiter sagen will, da das Schicksal eines Briefes leider nicht in den Sternen gelesen werden kann. Japan war mit ebenfalls eine große Überraschung. Scharfe, und keineswegs nur akute, Krise, vor allem trifft das die Massen der Kleinbauern. (Interessant das immer wieder auftauchende festlandasiatische Kolonialproblem; Konfliktspunkt mit Kanton.) Dann Schanhai [!], wie die Briten Gesicht verlieren; gute Einführungsbriefe, Hinterkulissenspiel und dann der Vorstoß auf Nanking. Keine Nacht aus den Kleidern, immer unterwegs, Bauern� [unleserlich, Lochung] Philippinen. Unabhängigkeitsbewegung, �[unleserlich]llen von Java, das bald am Siedepunkt. Phil. Regierungsstellen sehr freundlich, hilfsbereit. � Kurz � jetzt ist der rechte Zeitpunkt für Sie, den Globus noch einmal zu umschreiten, denn er bewegt sich doch! doch! Halten Sie es für möglich, daß ich in Frankfurt ein paar Vorträge halte? Ich frage darnach nicht nur, weil ich inter- reichwein forum Nr. 15 Juni 2010 46 essiert bin meine Erfahrungen weiterzugeben und gewisse Ideologien zu zerstören � beträfen sie nun das Land nördlich des Rio Grande oder südlich oder den Osten � sondern weil ich nach meiner Rückkehr auch gewisse finanzielle Anstrengungen machen muß. Es käme zweierlei für solche Vorträge in Frage (was dementsprechend auch an verschiedenes Publikum zur richten wäre): 1) Mitteilungen aus den wissenschaftlichen Ergebnissen meiner Reise: wirtschaftliche Situation 2) Darstellung der Gesamtsituation (politisch im weitesten Sinn, Herstellung von Bezügen.) Ersteres würde kleinere, letzteres vielleicht größere Kreise interessieren. Es ist natürlich auch beides möglich. Die Themenstellungen ließen sich natürlich mehr oder auch minder spezialisieren. Am genauesten weiß ich über Probleme und Tatbestände in den Vereinigten Staaten Bescheid, weil ich dort 8 Monate herumkutschiert bin und jeden Tag für meine Studien ausgenutzt habe. Unter den ganz zusammenfassenden Themenstellungen liegt mir jetzt, besonders nachdem ich den Südosten und Mexiko gesehen habe, als sehr wichtiges Problem � allerdings in erster Linie wirtschaftspolitischer Natur � nahe: der Aufeinanderprall stationärer und dynamischer Wirtschaftsformen in der Gegenwart (was sich natürlich nicht nur � sagen wir � akademischwissenschaftlich, sondern auch laienmäßig darstellen läßt und mit Erlebnissen belegen), Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mit einigen Frankfurter Herren, etwa um die Frankfurter Zeitung, darüber sprechen könnten, ich schreibe Ihnen gerade und nicht der Zeitung, weil ich weiß, dass Sie gerade in der Beurteilung dieser Dinge besonders erfahren sind. Da ich von Antwerpen aus zunächst nach Berlin fahren muß, um dort im Auswärtigen Amt und bei der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft zu berichten, dort aber auch bereits gewisse weitläufige Dispositionen treffen will, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir ein paar informierende Zeilen nach Antwerpen (untenstehende Adresse!) geben könnten: 1. ob Sie überhaupt Vortrag oder Vorträge wirtschaftspolitischen oder auch rein wirtschaftsdarstellenden Inhalts aus dem Erfahrungsbereich meiner Reise jetzt für angebracht halten. 2. Ob Einzelvortrag oder Zyklus? 3. Enger wissenschaftlich oder auf ein größeres Publikum eingestellt? 4. (wenn möglich?) Wie etwa zu [? Lochung] organisieren (durch eine bestehende Organisation oder wie?), Es lassen sich natürlich auch Einzelproblem herausstellen wie etwa dieses: der imperialistische Kampf um Monopole. Wobei ausgegangen werden könnte von der Antimonopolitik Hoovers (Kautschuk, Kaffee, Kali) und den gleichzeitigen Monopolbestrebungen der Amerikaner selbst (Baumwolle, Weizen, Kupfer und Stahlzusatzmetalle). An solchem Problem ließe sich manches weltwirtschaftlich aktuelle u. interessante mit aufhellen. Bemühe ich Sie zu sehr mit diesen Dingen? Aber am Ende, denke ich, interessieren Sie sich selbst dafür. Näheres müsste natürlich vorher mündlich besprochen werden. Drüben liegt im Dunst mexikanische Küste. Wie das Land seit 1910 erschüttert wird, es ist wie ein immer rollendes Erdbeben, daß die Energia[!] zu aller Tat erdrosselt und von Zeit zu Zeit zu offenem Feuer ausbricht. Ich bin mitten im gegenwärtigen Aufstandsgebiet gewesen und habe seit 10 Jahren zum ersten Mal wieder in diesen Gefechten die Kugeln pfeifen hören. Und Schritt für Schritt die Spuren der Verwesung. Armes schönes Land! Meinen einzigen Mitreisenden, unter dessen Führung ich Mexiko sehen durfte, 183 dem ich eigentlich die mexikanische Erfahrung verdanke, kennen Sie ja von Hellerau. Er wird selbst ein paar Zeilen beilegen. Darf ich etwas von Ihnen in Antwerpen erwarten? Unter der Adresse: August Bulcke u. Co. (Hamburg-Amerika Li- 183 Marinepfarrer Winfried Köhler, vgl. ins- bes. Pallat S. 320.
nie, für Dampfer �Amassia� 184 ) Antwerpen. Wir laufen am 25. Juni voraussichtlich in A. ein. Ich nehme an, dass Sie diesen Brief etwa am 15. Juni haben werden. 184 Zum Schiff vgl. U. Schulz, wie Anm. 45, zu Nr. 83. reichwein forum Nr. 15 Juni 2010 47 Ich freue mich sehr, Sie in Frankfurt wiederzusehen und auszutauschen. Meine Reise ist ja nun viel ausgedehnter geworden (zeitlich und räumlich) als ursprünglich vorgesehen. SS President Madison Schnelldampfer Columbus 1924 Nächster Plan: Asien und zwar denke ich (nach meinen mexikanischen und ostasiatischen Erfahrungen) nicht Auto sondern Flugzeug; sagen wir in zwei Jahren. Herzlichen Gruß! Adolf Reichwein
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