Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
15./16. Juni 2013 / Nr. 24 ROM UND DIE WELT<br />
DIE WELT<br />
leicht gab es Leute, die eigentlich<br />
keine Kunden des IOR hätten sein<br />
dürfen – aus ethischen, juristischen<br />
oder anderen Gründen. Allgemein<br />
gesagt: Um Änderungen beim IOR<br />
oder anderen vatikanischen Einrichtungen<br />
durchzuführen, braucht es<br />
eine genaue Analyse der Lage.<br />
Viele Menschen, Kleriker wie Gläubige,<br />
erwarten, dass Franziskus die<br />
Strukturen im Vatikan verändern<br />
wird. Wie sieht es damit aus?<br />
Er hat vor allem angekündigt,<br />
dass er mit acht Kardinälen aus allen<br />
fünf Kontinenten ab Oktober eine<br />
Kurien reform angehen will. Gleichzeitig<br />
hat Franziskus betont, dass er<br />
nicht schnell und unüberlegt alles<br />
ändern will. So sind alle Kongregationspräfekten<br />
und Ratspräsidenten<br />
im Vatikan in ihren Ämtern bestätigt<br />
worden. Aufräumen heißt für<br />
Bergoglio nicht, schnell beseitigen<br />
oder zerstören, sondern Änderungen<br />
durch Konsens durchführen.<br />
Den ersten Hinweis auf die Volksnähe von Papst Franziskus lieferte das Foto, das ihn einen Tag nach seiner Wahl beim Bezahlen<br />
seiner Zimmerrechnung im Gästehaus Santa Marta zeigt. Das Bild ging um die Welt.<br />
Foto: KNA<br />
Mit der Schlagzeile „Der Papst der<br />
Armen“ waren Presse und Gläubige<br />
schnell bei der Hand. Inwiefern hat<br />
Franziskus die Erwartungen, die mit<br />
dieser Bezeichnung zusammenhängen,<br />
bisher erfüllt oder enttäuscht?<br />
Er hat nicht nur darüber gesprochen,<br />
sondern gerade durch seinen<br />
Lebensstil als Papst bewiesen, dass er<br />
das ernst meint. Er wohnt nicht in<br />
der großen Papstwohnung im Apostolischen<br />
Palast, benutzt nicht die<br />
Luxusautos und meidet auch Kleider,<br />
die pompös wirken. Auch hat er<br />
schon die „Mutter-Teresa-Schwestern“<br />
und ihr Obdachlosenheim<br />
beim Vatikan besucht. Ein besonderes<br />
Zeichen war auch sein erster<br />
Besuch in einer römischen Pfarrei:<br />
Statt einer „reichen“ Gemeinde im<br />
Zentrum besuchte er die nördlichste<br />
und wohl eine der ärmsten Gemeinden<br />
der Ewigen Stadt.<br />
Skizzieren Sie bitte die wichtigsten<br />
Eckdaten in den vergangenen 100<br />
Tagen, seit Jorge Mario Bergoglio<br />
zum Papst gewählt wurde.<br />
Alles beginnt mit der Wahl am<br />
13. März und dem „Buonasera“<br />
(Guten Abend), das der neue Papst<br />
an die auf dem Petersplatz versammelten<br />
Menschen richtete. Es folgten<br />
die ersten „Hingucker“, wie<br />
seine Fahrten mit den anderen Kardinälen<br />
im Bus statt der gepanzerten<br />
Papstlimousine. Dazu kommt noch<br />
das mittlerweile weltweit berühmte<br />
Foto, auf dem zu sehen ist, wie er an<br />
der Rezeption des Gästehauses sein<br />
Zimmer bezahlt.<br />
Am 17. März feierte Franziskus<br />
eine Messe in der vatikanischen<br />
Kapelle Sant‘Anna; im Anschluss<br />
wollte er allen – inklusive Touristen<br />
– die Hände schütteln. Das war der<br />
Beginn des „menschennahen Papstes“.<br />
An den Mittwochsaudienzen<br />
auf dem Petersplatz nahmen jeweils<br />
immer über 70 000 Menschen teil.<br />
Eine Million Menschen waren am<br />
19. März bei der Messe zur Amtseinführung<br />
dabei. Es folgte die<br />
Osterzeit mit der Fußwaschung in<br />
einem römischen Jugendgefängnis.<br />
Die wohl wichtigste Ankündigung<br />
von Papst Franziskus war die Einberufung<br />
einer achtköpfigen Kardinalsgruppe,<br />
die sich ab Oktober mit<br />
ihm um eine Kurienreform bemühen<br />
wird.<br />
Auch durch die katholische Kirche in<br />
Deutschland schien eine frische Brise<br />
zu ziehen, als klar war, wer der neue<br />
Papst ist, von Aufbruchsstimmung<br />
war gar die Rede. Was ist davon übriggeblieben?<br />
Wir haben in Rom viele Reaktionen<br />
aus Deutschland erhalten.<br />
Positiv wurde vor allem aufgenommen,<br />
wie Franziskus das Papstamt<br />
wahrnimmt und lebt. Viele warten<br />
nun ab, wie er sich zu „heißen Eisen“<br />
äußern wird. Ich glaube, seine<br />
erste große Auslandsreise wird uns<br />
viele Überraschungen bieten. Die<br />
Reise nach Brasilien anlässlich des<br />
Weltjugendtags wird richtungsweisend<br />
sein, so wie es bei Benedikt die<br />
Reise nach Köln und bei Johannes<br />
Paul II. nach Mexiko und Polen in<br />
den 1980er Jahren war.<br />
Was sind Ihrer Ansicht nach die<br />
stärksten spirituellen Impulse, die<br />
von Papst Franziskus ausgehen?<br />
Er hat sein Pontifikat der Muttergottes<br />
von Fatima gewidmet. In seinen<br />
Predigten und Reden geht er immer<br />
wieder auf die Schwierigkeiten<br />
im Leben der Menschen ein und hat<br />
sich in dieser Hinsicht auch nicht gescheut,<br />
über den Teufel zu sprechen,<br />
der ja sogar bei vielen Gläubigen<br />
nicht mehr als Bedrohung oder überhaupt<br />
als existent betrachtet wird.<br />
Auch kritische Stimmen bleiben natürlich<br />
nicht aus. Angeblich soll Franziskus<br />
bei einer Audienz einen Exorzismus<br />
an einem behinderten Mann<br />
aus Lateinamerika durchgeführt haben,<br />
was vor allem in Ländern wie<br />
Deutschland skeptisch beurteilt wird.<br />
Aber auch aus besonders konservativen<br />
Kreisen wurde gerade zu Beginn<br />
seiner Amtszeit Kritik laut. Wie sieht<br />
die Situation jetzt aus?<br />
Es gab keinen Exorzismus auf<br />
dem Petersplatz. Das hat der Vatikan<br />
dementiert und auch der TV-<br />
Sender bestritten, der das ursprünglich<br />
behauptet hatte. Er hat sich für<br />
die Falschinformation entschuldigt.<br />
Das war doch das große Problem im<br />
Pontifikat Benedikts, und ich hoffe,<br />
dass es nicht mehr vorkommt:<br />
Falschinformationen verbreiten und<br />
keine Richtigstellungen veröffentlichen<br />
ist ein Problem für die Kirche,<br />
die doch die Wahrheit verkünden<br />
will. Sicherlich wird der eine oder<br />
andere mit Papst Franziskus unzufrieden<br />
sein, das ist menschlich.<br />
Aber es geht ja beim Papstamt nicht<br />
um die Person, sondern um die Botschaft,<br />
die er verbreitet: die Frohe<br />
Botschaft – und die macht alle froh.<br />
Interview: Christine Paul-Eger