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vgbe energy journal 7 (2022) - International Journal for Generation and Storage of Electricity and Heat

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News from Science & Research<br />

Man verwendet Wärme, um eine chemische<br />

Reaktion auszulösen. Dabei entstehen<br />

energiereiche chemische Verbindungen, die<br />

problemlos und ohne Energieverlust monatelang<br />

gelagert werden können. Bei Bedarf<br />

lässt sich dann die chemische Reaktion umkehren,<br />

dabei wird die Energie wieder freigesetzt.<br />

So kann man etwa Abwärme von<br />

Industrieanlagen oder auch Sonnenwärme<br />

im Sommer speichern, um damit den Winter<br />

hindurch Gebäude zu heizen. Die chemische<br />

Reaktion und der dafür speziell entwickelte<br />

Suspensionsreaktor wurden nun patentiert.<br />

Im Sommer speichern,<br />

im Winter nutzen<br />

Es gibt viele Methoden, Energie zu speichern,<br />

doch alle haben ihre Nachteile: Man<br />

kann Batterien aufladen, doch ihre Kapazität<br />

ist begrenzt. Man kann mit elektrischem<br />

Strom Wasserst<strong>of</strong>f herstellen, doch er kann<br />

nur schwer langfristig gelagert werden. Die<br />

neue Methode der TU Wien beruht auf einem<br />

ganz <strong>and</strong>eren Prinzip – der Umw<strong>and</strong>lung<br />

von Wärmeenergie in chemische Energie<br />

und wieder zurück.<br />

„Es gibt unterschiedliche chemische Reaktionen,<br />

die man für diesen Zweck nutzen<br />

kann. Wir verwenden etwa Borsäure, ein<br />

festes Material, das wir mit Öl vermischen“,<br />

erklärt Pr<strong>of</strong>. Franz Winter vom Institut für<br />

Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und<br />

technische Biowissenschaften der TU Wien.<br />

„Diese ölige Suspension kommt in einen Reaktor,<br />

dessen W<strong>and</strong> auf eine Temperatur<br />

zwischen 70 °C und 200 °C aufgeheizt wird.“<br />

Viele Prozesse in der Industrie finden in diesem<br />

Temperaturbereich statt, daher ist diese<br />

Methode optimal geeignet, um Abwärme<br />

von Industrieanlagen zu nutzen, die sonst<br />

einfach verlorengehen würde. Man kann<br />

solche Temperaturen aber auch einfach erreichen,<br />

indem man Sonnenlicht bündelt.<br />

Durch die Hitze kommt es zu einer chemischen<br />

Reaktion – so wird etwa Borsäure in<br />

Boroxid umgew<strong>and</strong>elt, und dabei wird Wasser<br />

freigesetzt. Die ölige Boroxid-Suspension<br />

kann man dann in Tanks lagern. Wenn<br />

man dieser Suspension dann wieder Wasser<br />

zuführt, läuft die chemische Reaktion umgekehrt<br />

ab, und die gespeicherte Wärme<br />

wird wieder freigesetzt.<br />

„Damit ist der Kreislauf geschlossen und<br />

die Suspension kann ein weiteres Mal verwendet<br />

werden“, erklärt Franz Winter. „Im<br />

Labor haben wir gezeigt, dass auf diese Weise<br />

problemlos viele Auf- und Entladungsvorgänge<br />

möglich sind.“<br />

Viele Vorteile gleichzeitig<br />

Die Technologie wurde bereits patentiert,<br />

nun soll noch genauer untersucht werden,<br />

wie sie sich am besten und effizientesten<br />

anwenden lässt. „Für unterschiedliche Anwendungsbereiche<br />

werden unterschiedliche<br />

Reaktorgrößen optimal sein“, sagt Franz<br />

Winter. „Man muss diese Reaktoren immer<br />

als Teil eines Gesamtsystems sehen. Je nachdem,<br />

welche Wärmemengen bei welchen<br />

Temperaturen etwa in einer Industrieanlage<br />

anfallen und welche <strong>and</strong>eren energietechnischen<br />

Einrichtungen es dort bereits gibt,<br />

muss man den Prozess optimal anpassen.“<br />

Neben Borsäure können auch <strong>and</strong>ere Chemikalien<br />

eingesetzt werden – auch Salzhydrate<br />

wurden untersucht. Borsäure und<br />

Salzhydrate vereinen gleich mehrere Vorteile:<br />

Sie sind kostengünstig und einfach verfügbar,<br />

relativ ungefährlich und über viele<br />

Zyklen hinweg stabil und können beliebig<br />

lange aufbewahrt werden. Die Reaktortechnologie<br />

kann auf industrielle Maßstäbe<br />

hochskaliert werden. Das verwendete Öl<br />

erlaubt optimalen Wärmetransfer und<br />

schützt gleichzeitig den Reaktor während<br />

der Reaktion und die Festst<strong>of</strong>fe während der<br />

Lagerung.<br />

Einen genauen Wirkungsgrad des Prozesses<br />

kann man derzeit noch nicht angeben –<br />

er wird stark davon abhängen, wie der Speicher<br />

mit <strong>and</strong>eren Technologien gekoppelt<br />

wird. Der große Vorteil ist, die langfristige<br />

Speichermöglichkeit von Wärmemengen,<br />

die sonst einfach verlorengehen würden,<br />

und deren bedarfsorientierte Nutzung.<br />

„Wir wollen nun, auch gemeinsam mit Industriepartnern,<br />

intensiv an dieser Technologie<br />

weiter<strong>for</strong>schen“, kündigt Franz Winter<br />

an. „Wir sind überzeugt davon, dass mit<br />

dieser Erfindung ein wichtiger Schritt nach<br />

vorne gelungen ist, der in den nächsten Jahren<br />

auch den Schritt in die industrielle Anwendung<br />

finden wird.“<br />

LL<br />

www.tuwien.at (222341255)<br />

Neue Erdbebenanalysen<br />

stärken die Katastrophenvorsorge<br />

in Europa<br />

(gfz) Im 20. Jahrhundert haben Erdbeben in<br />

Europa mehr als 200.000 Todesopfer ge<strong>for</strong>dert<br />

und Schäden in Höhe von über 250<br />

Milliarden Euro verursacht. Umfassende<br />

Analysen der Erdbebengefährdung und des<br />

Erdbebenrisikos spielen eine bedeutende<br />

Rolle, wenn es darum geht, die Auswirkungen<br />

katastrophaler Erdbeben zu verringern.<br />

Das kürzlich veröffentlichte aktualisierte<br />

Erdbebengefährdungsmodell sowie das erste<br />

Erdbebenrisikomodell für Europa stellen<br />

die Grundlagen bereit, um die Erdbebenprävention<br />

zu stärken und die Bevölkerung widerst<strong>and</strong>sfähiger<br />

zu machen. Die Modelle<br />

verbessern das Verständnis darüber, wo<br />

starke Erschütterungen am ehesten auftreten<br />

und welche Auswirkungen künftige Erdbeben<br />

in Europa haben werden. Seismologinnen,<br />

Geologen und Ingenieurinnen aus<br />

ganz Europa entwickelten die Modelle, mit<br />

Beteiligung von Mitarbeitenden des Deutschen<br />

GeoForschungsZentrums Potsdam<br />

(GFZ). Die Forschungsarbeiten wurden<br />

durch das Forschungs- und Innovationsprogramm<br />

Horizon 2020 der Europäischen<br />

Union gefördert.<br />

Hintergrund zu<br />

Erdbebengefährdung und -risiko<br />

Erdbeben können weder verhindert noch<br />

genau vorhergesagt werden. Erdbebengefährdungs-<br />

und Erdbebenrisikomodelle ermöglichen<br />

es jedoch, wirksame Vorsorgemaßnahmen<br />

festzuschreiben und damit die<br />

Auswirkungen auf Gebäude und ihre Bewohner<br />

erheblich zu verringern. Die Europäischen<br />

Erdbebengefährdungs- und Erdbebenrisikomodelle<br />

2020 beschreiben, wo<br />

durch Erdbeben ausgelöste Erschütterungen<br />

zu erwarten sind, wie stark und wie<br />

häufig diese auftreten und welche möglichen<br />

Auswirkungen sie auf die bebaute Umwelt<br />

und auf Menschen haben. Zu diesem<br />

Zweck wurden alle den Modellen zugrundeliegenden<br />

Datensätze aktualisiert und harmonisiert<br />

– ein komplexes Unterfangen angesichts<br />

der riesigen Datenmengen und der<br />

stark unterschiedlichen tektonischen Gegebenheiten<br />

in Europa. Eine solche Harmonisierung<br />

ist unabdingbar, um wirksame länderübergreifende<br />

Strategien zur Katastrophenvorsorge<br />

zu etablieren, wie beispielsweise<br />

die Festlegung von Versicherungskonzepten<br />

oder die Bestimmung von zeitgemässen<br />

Bauvorschriften auf europäischer (z. B.<br />

Eurocode 8) und nationaler Ebene. In Europa<br />

beschreibt Eurocode 8 die empfohlenen<br />

Normen für eine erdbebengerechte Bauweise<br />

von Neubauten und für die Ertüchtigung<br />

bestehender Gebäude mit dem Ziel, die Auswirkungen<br />

von Erdbeben einzudämmen.<br />

Das aktualisierte Europäische Erdbebengefährdungsmodell<br />

sowie das neue Erdbebenrisikomodell<br />

sind frei zugänglich inklusive<br />

der ihnen zugrundeliegenden Datensätze.<br />

Erweiterte Datensätze verbessern<br />

das aktualisierte Erdbebengefährdungsmodell<br />

Die Erdbebengefährdung beschreibt potenzielle<br />

Bodenerschütterungen durch<br />

künftige Erdbeben und beruht auf dem Wissen<br />

über vergangene Erdbeben, der Geologie,<br />

Tektonik und den lokalen Bedingungen<br />

an beliebigen Orten in ganz Europa. Das<br />

kürzlich publizierte Europäische Erdbebengefährdungsmodell<br />

2020 (ESHM20) ersetzt<br />

das Vorgängermodell aus dem Jahr 2013.<br />

Die erweiterten Datensätze, welche in die<br />

neue Version des Modells integriert worden<br />

sind, ermöglichen eine umfassendere Beurteilung<br />

der Erdbebengefährdung in Europa.<br />

Diese hat zur Folge, dass die Einschätzungen<br />

<strong>vgbe</strong> <strong>energy</strong> <strong>journal</strong> 7 · <strong>2022</strong> | 27

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