88 Kunst / Arte – Landschaftsfotografie 4 5 März Marzo 2006 <strong>turrisbabel</strong> <strong>69</strong>
<strong>turrisbabel</strong> <strong>69</strong> März Marzo 2006 Landschaftsfotografie – Kunst / Arte 89 Nationalpark Stilfser Joch 2003: 4 Seitenmoräne innen 5 Randmoräne Fotos Johannes Inderst rismus sind in einigen der zitierten Skigebiete annähernd erreicht. Diese Skigebiete würden mit aller Wahrscheinlichkeit – wie es Jost Krippendorf formuliert – noch viel mehr Tourismus vertragen, ohne zusammenzubrechen. Es gibt jedoch auch eine visuelle Landschaftsbelastung: Die einst schöne Landschaft wird immer hässlicher und verliert an Attraktion. Meine Fotos erzählen folglich von den Parkplätzen an den Talstationen, den Zufahrtstraßen, den Beschneiungs- und Aufstiegsanlagen, von Warnschildern an der Piste, von schwindenden Gletschern, vom Verkehr auf den Passstraßen und den „Wunden“ im Sommer. Alle meine Bilder zeigen zumindest Spuren zivilisatorischer Eingriffe, viele sind völlig menschenleer, oder der Mensch verschwindet in seiner Umwelt. Oft werde ich gefragt, warum ich denn keine schönen Landschaftsbilder machen würde. Ich muss da ehrlich sein, mich reizen diese touristischen Stereotypen schon lange nicht mehr, es gibt andere Welten und eine andere Art von Fotografie, wie es Luigi Ghirri vor Jahren schon treffend formuliert hat. (Text: Leonhard Angerer) Minimale Landschaften (gekürzte Fassung) In den neuen Arbeiten von Johannes Inderst sind die Menschen verschwunden. Statt Menschen stehen jetzt menschenfeindliche Gletscherlandschaften und unterholzartige Wälder im Mittelpunkt, doch die spezifische Sicht auf die Dinge, die er in seinen Fotografien entwirft, ist die gleiche geblieben. Inderst sucht ihre Nähe, ein Bild muss körperlich spürbar werden. Das gilt für die Waldaufnahmen, die er rigoros von Romantik und jeglichem Mystizismus reinigt, noch mehr aber für die Gletscherbilder. Inderst sucht nicht die idyllischen Plätze der Natur, nicht einmal die spektakulären, aber auch nicht die von Menschen zugerichteten Touristenlandschaften. Seine Aufnahmen sind kein Dokument der Anklage, das Dokumentarische ist als Hintergrund vorhanden, doch das ist allenfalls ein Nebeneffekt der Bilder. Hinweise auf Raum und Ort sind ausgeblendet, dafür sind sie mit extremer Tiefenschärfe und einem bestechenden Blick für Struktur und Ausschnitt des Motivs auf- genommen. Letztlich sucht er Un-Orte auf, die sich aber durch gestalterische Maßnahmen in seinen Bildern zu Orten wandeln. An solch heterogenen Orten immer wieder homogene Ordnungen zu finden, ist die spezifische Leistung dieser Fotografien. Und dies muss immer wieder aufs Neue gelingen. Zu sehen sind Motive, die Ausschnitte aus einem Irgendwo, einem endlosen Konglomerat aus Eis, Steinen und Geröll darstellen. Panoramen, der große Über-Blick auf die Physiognomie einer Landschaft, der Griff in die Wolken und auf die phallisch aufragenden Felsformationen hingegen fehlen fast völlig. Anstelle der Vertikalen dominieren fließende, wellenförmige, „weibliche“ Formen, und dennoch bleibt die Landschaft schroff, unwegsam und gefährlich. Natur, das „Gleichgültig-Tödliche“ (Thomas Mann), ist bei Inderst ein widerspenstiges und bewegtes, kräftedurchdrungenes System, weit entfernt von der unverbrüchlichen tektonischen Ordnung und der Erhabenheit des Panoramas. Landschaft lebt bei Inderst vom Minimum. Diese Präsentation entspricht der subjektiven Sicht des Sujets, die die Dynamik einer statischen Natur vorzieht. Inderst nimmt die Perspektive des Bergwanderers ein, nicht des eiligen Reisenden, der sich die Natur visuell zu Füßen legt. Was er aufnimmt, ist nicht Landschaft als distanzierte Gesamtsicht, sondern beinahe als Innensicht. Der Blick wandert von Detail zu Detail einer Gletscherformation und hält ihre komplexen, geradezu kalligrafischen Strukturen fest. Diese Nähe des Blicks und die Großformate erzeugen einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Seine Aufnahmen setzen ein menschliches Maß, und das ermöglicht einen unmittelbaren Körperbezug dazu. Ein Abgrund, eine Bruchlinie oder eine Farbe fesseln den Blick, aber dann verliert er sich wieder in der Fläche. Kompositorisch sind die Bilder häufig mit flächigen, ins Abstrakte gehenden Strukturen im Vordergrund gestaltet, während der Horizont am oberen Rand nur erahnt werden kann. Dabei lockt uns der Fotograf immer wieder ins Bild, als ob man in diese Aufnahmen quasi 1:1 „hineingehen“ könnte. Und doch belässt er es letztlich dabei: In die Natur dringt der Mensch nicht ein, trotz der unübersehbaren Spuren, die er hinterlässt. (Text: Heinrich Schwazer)