unilex 1–2/2007 - ULV
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das bologna-Fiasko: bitte endlich hinschauen<br />
christian scholz 1<br />
Der Autor dieses Beitrages ist seit über 20 Jahren Hochschullehrer<br />
und hat die Entscheidung für diesen Berufsweg<br />
bis heute nicht bereut. Hochschulen müssen sich laufend<br />
weiter entwickeln und neuen Ideen öffnen: Vor diesem Hintergrund<br />
durfte der Autor bereits vor 15 Jahren an seiner<br />
Heimathochschule in Saarbrücken einen MBA-Studiengang<br />
einrichten, damals (seines Wissens nach) den ersten an einer<br />
deutschen Universität. Was allerdings gegenwärtig unter dem<br />
Etikett „Bologna-Reform“ diskutiert und in der Hochschullandschaft<br />
implementiert wird, könnte kontraproduktiv für<br />
alle anstrebenswerten Ziele einer Hochschule sein. Es führt<br />
gleichzeitig dazu, dass man in der gegenwärtigen Situation<br />
niemandem mehr raten kann, sich in Deutschland oder<br />
Österreich für das Berufsziel Hochschullehrer/in zu entscheiden<br />
- wobei wir in dem sich abzeichnenden System aber<br />
sowieso nur noch wenige Hochschullehrer/innen brauchen<br />
werden. Der nachfolgende Beitrag bezieht sich auch in diesem<br />
Punkt auf Deutschland und Österreich gleichermaßen,<br />
weil sich die Akteure in beiden Ländern im Hinblick auf den<br />
Bologna-Prozess weitgehend ähnlich verhalten.<br />
Was ändert sich wirklich?<br />
Hinter dem Schlagwort „Bologna-Prozess“ stecken fünf, teilweise<br />
zunächst voneinander unabhängige Bewegungen:<br />
> Die erste Veränderung ist die so genannte „Bologna-Reform“,<br />
bei der ein gesamteuropäischer Hochschulraum<br />
geschaffen werden soll. Zentrales Kernstück dieser Idee<br />
ist die flächendeckende Umstellung von Universitäten,<br />
Fachhochschulen, pädagogischen Akademien, Berufsakademien<br />
und diverser anderer Einrichtungen auf die Abschlüsse<br />
„Bachelor und Master“.<br />
> Die zweite Veränderung bezieht sich auf die Hochschulorganisation.<br />
Hier werden in der Aufbauorganisation<br />
dezentrale, teilautonome (Markt-)Entscheidungen ersetzt<br />
durch eine zentrale Gesamtsteuerung. Dies hat vor allem<br />
in Deutschland zu drastischen Verschiebungen geführt:<br />
Die Autonomie der Hochschulleitung gegenüber dem<br />
Ministerium wird erhöht, gleichzeitig die Autonomie der<br />
Fakultäten und Professoren/innen gegenüber der Hoch-<br />
schulleitung drastisch reduziert. So kann praktisch der<br />
Präsident/Rektor alleine über Berufungskommissionen,<br />
Berufungslisten, Fächer, Lehrinhalte, Forschungsinhalte,<br />
Entwicklungsrichtungen und über sämtliche Personalfragen<br />
von Besoldung bis hin zur Ernennung von Dekanen/innen<br />
entscheiden. Diese Machtfülle impliziert<br />
ein fachliches und menschliches Anforderungsprofil, das<br />
nicht leicht zu erfüllen ist.<br />
> Die dritte Veränderung ist die Institutionalisierung von<br />
externen Evaluatoren/innen. Egal, ob es sich hierbei um<br />
Einrichtungen wie das Centrum für Hochschulevaluation<br />
(CHE) oder um die vielfältigen Akkreditierungsagenturen<br />
handelt: Immer sind es hochschulferne Institutionen mit<br />
einer hochschulfernen Sicht, die gleichermaßen Regeln<br />
für Hochschulen aufstellen und die Einhaltung dieser<br />
Regeln bewerten.<br />
> Die vierte Veränderung ist als unausweichliches Ergebnis<br />
der oben genannten drei Veränderungen eine Steigerung<br />
der Bürokratie. Hierzu gibt es in der Ablauforganisation<br />
unzählige Vorschriften plus Akkreditierungsagenturen<br />
plus Qualitätssicherungseinheiten, die man angesichts der<br />
erwarteten Qualitätsprobleme vorsorglich installiert hat.<br />
Hinzu kommt ein Moloch aus unterschiedlichsten EU-<br />
Institutionen zur Bologna-Standardisierung. Statt einer<br />
Verschlankung von Studiengängen gibt es – so berichten<br />
leidgeprüfte Kollegen/innen – inzwischen umfangreichste<br />
Modulhandbücher, die alles festlegen und keinerlei Spielraum<br />
mehr lassen.<br />
> Die fünfte Veränderung ist die Einführung von Studiengebühren.<br />
Hierfür gibt es offizielle und nicht offizielle<br />
Begründungen. Zu letzteren gehört die simple Tatsache,<br />
dass die vier zuvor genannten Veränderungen massiv Geld<br />
kosten.<br />
Bereits der letzte Punkt lässt ahnen, was der Auslöser für<br />
den „Bologna-Prozess“ war und ist: Der Staat will Geld<br />
sparen! Gleichzeitig gibt es Druck aus der Wirtschaft auf<br />
leichter verwertbare Absolventen/innen und dann natürlich<br />
den Regierungswunsch in Richtung auf einen gemeinsamen<br />
Bildungsraum in Europa.<br />
1 Univ.-Prof. Dr. Christian Scholz, seit 1986 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal- und<br />
Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sowie Gründungsdirektor des dortigen MBA-Programms,<br />
seit 1995 Honorarprofessor für Personalmanagement an der Universität Wien.<br />
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UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong>