02.03.2013 Aufrufe

unilex 1–2/2007 - ULV

unilex 1–2/2007 - ULV

unilex 1–2/2007 - ULV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

enate Wieser / Gender trouble – wider die Natur des Geschlechts<br />

UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong><br />

Die 1956 in Cleveland/Ohio geborene Judith Butler wächst<br />

in einer jüdischen Familie auf und kommt schon sehr früh mit<br />

philosophischen und theologischen Schriften in Berührung;<br />

seit den 90er Jahren des 20. Jh. gilt sie durch ihre Werke<br />

„Gender trouble“ (Das Unbehangen der Geschlechter) und<br />

„Bodies that matter“ (Körper von Gewicht), welche in mehr<br />

als 20 Sprachen übersetzt wurden, als einer der Superstars<br />

der feministischen Theoriebildung; derzeit ist sie Professorin<br />

für Rhetorik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der<br />

Universität Berkeley/Kalifornien.<br />

Butler wurde jedoch – wie kaum eine andere feministische<br />

Theoretikerin vor ihr – kontrovers und hochemotional diskutiert.<br />

Und das wohl vor allem deswegen, weil sie die feministische<br />

Forschung auf ihre grundlegenden Kategorien<br />

hin befragt 15 :<br />

1. In ihrem einflussreichen Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“<br />

(1991; Originaltitel: „Gender Trouble. Feminism<br />

and the Subversion of Identity“) wirft sie der feministischen<br />

Forschung vor, dass diese „Frauen“ fälschlicherweise als homogene<br />

Gruppe mit gemeinsamen Merkmalen und Interessen<br />

betrachtet, in deren Namen dann feministische Praxis und<br />

Theorie die Aufhebung von patriarchalen Unterdrückungsstrukturen<br />

fordert. Butler hingegen hinterfragt eben jene Annahme<br />

einer als homogen und einheitlich gedachten Gruppe<br />

„Frau“. Denn diese Annahme habe nicht nur trennende<br />

kulturelle, klassenspezifische und ethnische Differenzen zwischen<br />

Frauen übersehen lassen, sondern darüber hinaus noch<br />

das binäre System der Geschlechterbeziehungen bestätigt, in<br />

dem Menschen in zwei deutlich voneinander unterschiedene<br />

Gruppen, nämlich in Männer und Frauen, geteilt werden.<br />

Zwar habe der Feminismus im Namen der Frauen die Vorstellung<br />

abgelehnt, dass Anatomie Schicksal sei, dabei aber<br />

gleichzeitig die Auffassung verfestigt, ein binäres System der<br />

Zweigeschlechtlichkeit sei kulturell unvermeidlich.<br />

Butler macht mit dieser Anfrage an die feministische Theoriebildung<br />

eine Aporie, eine philosophische Ungereimtheit, die<br />

schon Simone de Beauvoirs Werk als Moment der Unruhe<br />

eingeschrieben ist, radikalisiert zum Thema: „Was bedeutet<br />

die Erkenntnis, dass ‚die Frau nicht existiert‘, das heißt eine<br />

‚Erfindung‘ ist, für das feministische Projekt, eine Theorie<br />

sexueller Differenz, eine Theorie des Unterschieds der Geschlechter<br />

zu schreiben“ 16 . Steht also feministische Theo-<br />

riebildung, deren Forschungsbereich „Männer und Frauen“<br />

und die „Geschlechterordnung“ umfasst, nicht in dem Dilemma,<br />

in der eigenen Theoriebildung den Dualismus von<br />

Natur und Kultur zu wiederholen, ergo selbst naturalisierend<br />

zu wirken, eine Natur des Geschlechts vorgängig zu setzen<br />

und darum anstelle die dual-hierarchisch strukturierte Geschlechterordnung<br />

begrifflich aufzulösen, sie auch noch zu<br />

verfestigen? Anders: Solange feministische Theoriebildung<br />

von „Frauen“ als Gruppe und „Männern“ als Gruppe ausgeht,<br />

solange ist sie selbst noch in der Geschlechterordnung<br />

gefangen, die sie doch eigentlich an- und hinterfragt.<br />

2. Butlers zweite Anfrage gilt der in der feministischen Forschung<br />

spätestens seit den 70er Jahren des 20. Jh. etablierten<br />

Unterscheidung zwischen „sex“ und „gender“, also zwischen<br />

biologischem und sozialem Geschlecht. Ihrer Meinung nach<br />

greift diese Unterscheidung zu kurz, da sie die Grenze zur<br />

Biologie, zum biologischen Körper ja nur verschiebt und<br />

nicht aufhebt. Der biologische Pol der Geschlechteridentität,<br />

also „sex“, besteht weiterhin und damit auch die Tatsache,<br />

dass ein Teil der Geschlechteridentität, nämlich eben der als<br />

biologisch gedachte, jedem Zugriff entzogen bleibt.<br />

Butler selbst versucht nun zu analysieren, wie es geschehen<br />

konnte, dass eine bestimmte kulturelle Konfiguration und Ausformung<br />

der Geschlechtsidentität die Stelle des Wirklichen<br />

und Normalen einnehmen konnte. Dabei ist es ihr primäres<br />

Ziel, die Kategorie des „Menschlichen“ so auszuweiten, dass<br />

Individuen, die aus welchen Gründen auch immer nicht in die<br />

gesellschaftliche Norm von „männlich“, „weiblich“ oder „heterosexuell“<br />

passen, sich nicht mehr als sozial ausgeschlossen erleben<br />

müssen. Der ethische Impetus, aus dem sich ihr kritisches<br />

Forschen und Denken speist, besteht also in der Ausweitung<br />

der Normen, die es Menschen ermöglichen, ein lebenswertes<br />

Leben in sozialen und öffentlichen Räumen zu führen 17 .<br />

Dafür stellt Butler die Existenz einer eigentlichen Natur des<br />

Geschlechts in Frage.<br />

1. So problematisiert sie zunächst einmal die voraussetzungsvolle<br />

Annahme einer notwendigen Kohärenz zwischen den<br />

verschiedenen Dimensionen des Geschlechts. Nach den Vorgaben<br />

hegemonialer und heterosexueller Norm/alität folgt<br />

ja aus „sex“ (biologisches Geschlecht) notwendigerweise ein<br />

entsprechendes, identisches „gender“ (soziales Geschlecht)<br />

und aus diesen beiden notwendig das Begehren nach einem<br />

15 Vgl. zum Folgenden: Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991. Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven<br />

Grenzen des Geschlechts, Berlin: 1995. Hannelore Bublitz, Judith Butler zur Einführung, Hamburg 2. ergänzte Aufl.2005.<br />

16 Sabine Hark, Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt/M. 2005, 279.<br />

17 „Critique is not developed merely for the pleasure of the question; far from it, since if anything may be said to characterize Butler´s<br />

work as a whole, it is its ethical impetus to extend the norms by which ‚humans‘ are permittet to conduct liveable lives in socially<br />

recognized public spheres.“ – in: Sara Salih, Introduction, in: dies. with Judith Butler (Hg.), The Judith Butler Reader, Malden<br />

(MA) u.a. 2004, 1–17, 4. „Butler’s work is always politically and ethically motivated, and her autocritiques valorize contingency, unknowingness,<br />

and unrealizability themselves as components of a radical democratic project that seeks both to resist and to extend the<br />

discursive norms by which subjects are currently defined.“ – in: Salih, Introduction, in: dies. with Butler, The Judith Butler Reader, 6.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!