unilex 1–2/2007 - ULV
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christian scholz / das bologna-Fiasko: bitte endlich hinschauen<br />
UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong> 2<br />
Die Verfechter von Bologna wollen mit „BA + MA + ggf.<br />
MBA“ ein einheitliches System einführen und die „alten“<br />
(und deshalb automatisch schlechten) Studiengänge vollkommen<br />
abschaffen. Dies ist aber eine Zentralsteuerung,<br />
wie sie als Prinzip selbst in vielen Teilen von Osteuropa abgeschafft<br />
wurde. Gleichzeitig – und dies widerspricht in sträflicher<br />
Form jeglicher seriöser Reform – soll durch die totale<br />
Abschaffung der „alten“ Systeme verhindert werden, dass<br />
sich „der Markt“ gegen die Bologna-Struktur entscheidet<br />
und den Bologna-Unsinn als solchen entlarvt. Also: Zentralsteuerung<br />
statt offener Markt!<br />
Wie grotesk der gesamte Bologna-Prozess eigentlich ist, wird<br />
deutlich, wenn man sich den offiziellen „Bericht über den<br />
Stand der Umsetzung der Bologna-Ziele in Österreich <strong>2007</strong>“<br />
anschaut. Dort liest man im Vorwort „Der Bologna-Prozess<br />
.... macht junge Menschen wettbewerbsfit und eröffnet ihnen die<br />
einmalige Chance internationale Erfahrungen zu sammeln.“<br />
Was das genau bedeutet, kann man in diesem imposanten<br />
Zahlenband auf Seite 101 nachlesen: Danach gingen 2006<br />
im Rahmen der diversen Mobilitätsprogramme von österreichischen<br />
Universitäten gerade einmal 3.143 Studierende ins<br />
Ausland – eine Steigerung von 29 (!) Studierenden gegenüber<br />
dem Vorjahr und in der Summe nahezu unerheblich,<br />
wenn man sie auf die über 200.000 Studenten an österreichischen<br />
Universitäten bezieht. Und: Das Vorwort beginnt<br />
mit folgender, äußerst bemerkenswerter Feststellung: „Der<br />
Bologna-Prozess ist das wahrscheinlich vorbildlichste Beispiel für<br />
eine freiwillige Kooperation von Hochschuleinrichtungen ...“.<br />
Die Hochschulen in Deutschland und Österreich machen<br />
also den ganzen Zauber wirklich freiwillig?<br />
Was bedeutet dies für die betroffenen?<br />
Studierende müssen davon ausgehen, dass sie zumindest in<br />
den nächsten zehn Jahren mit verschlechterten Lehrkonzepten<br />
rechnen müssen. Die Verschulung in exakt abzuarbeitende<br />
Vorgaben, die Verbürokratisierung, die Aufsplitterung<br />
in Einzelveranstaltungen, die allenfalls im Modulhandbuch<br />
verbunden sind, die nahezu beliebigen Kombinationen von<br />
Kursen zu wohlklingenden, aber schlecht gefüllten BA- und<br />
MA-Studiengängen, wird nicht nur den Spaß aus dem Studium<br />
nehmen, sondern auch das eigentliche Ziel verfehlen: Lernen,<br />
selber zu denken, über den Tellerrand zu schauen, sich<br />
angst- und stressfrei mit Themen beschäftigen zu können, die<br />
einen interessieren. Wenn wir nicht einmal mehr das unseren<br />
Kindern ermöglichen können und die Hochschulen zu grotesk-tayloristischen<br />
Abarbeitungsmaschinen umfunktioniert<br />
sind, spätestens dann sollten die Betroffenen aufwachen und<br />
nicht nur gegen die Studiengebühren protestieren.<br />
Unternehmen gehen gegenwärtig davon aus, dass ihnen der<br />
Bologna-Prozess rascher einsetzbares Humankapital liefert,<br />
das zudem billiger ist. Das mag auf den ersten Blick und<br />
für einige wenige BA-Absolventen zutreffen, ist aber ansonsten<br />
ein gefährlicher Irrtum, der für die Unternehmen<br />
teuer werden wird: Alleine durch Bologna werden sich bei<br />
der entsprechenden Zielgruppe die Kosten für die Personalentwicklung<br />
langfristig mindestens verdreifachen. Denn auf<br />
Unternehmen kommt in dreifacher Hinsicht erheblicher Aufwand<br />
zu: (1) Die Bologna-Absolventen/innen sind derartig<br />
„dünn“ ausgebildet, dass rasch erheblicher Nachschulungsbedarf<br />
entsteht. (2) Die Bologna-Absolventen/innen verfügen<br />
ausschließlich über sofort einsetzbares Spezial-Wissen,<br />
nicht aber über ein breiteres Meta-Wissen, das ihnen eine<br />
Einarbeitung in andere Felder erlaubt; deshalb sind sie nicht<br />
multifunktional einsetzbar. (3) Die Bologna-Absolventen/<br />
innen werden durch die entmündigende Verschulung nicht<br />
mehr lernen, selber in eigener Sache über sich und die eigene<br />
Employability nachzudenken; das Unternehmen muss<br />
ihnen also das Denken abnehmen. Ob die Unternehmen<br />
überhaupt in der Lage und zudem bereit sind, eine derartige<br />
Aufrüstung ihres Personalmanagements vorzunehmen, muss<br />
bezweifelt werden.<br />
Hochschulleitungen sind die eindeutigen Gewinner. Sie<br />
erhalten Autonomie gegenüber den Ministerien und absolutistische<br />
Durchgriffsrechte in ihrer Hochschule. Hier haben<br />
Lobby-Vereinigungen wie das CHE und die Deutsche Hochschulrektorenkonferenz<br />
als Standesvereinigung der Hochschulleitungen<br />
ganze Arbeit geleistet.<br />
Die Politik freut sich darüber, durch BA/MA-Umstellungen<br />
ihre Innovationsbereitschaft und Europaorientierung beweisen<br />
zu können. Was bei der ganzen Euphorie übersehen wird:<br />
Europa als Ganzes und jedes einzelne Land stehen unter<br />
einem global immer intensiver werdenden Wettbewerb. Vielleicht<br />
gibt es Länder in Europa, die von Bologna profitieren.<br />
Für Deutschland und Österreich bedeutet diese Reform aber<br />
qualitativer Abstieg. Dass einige wenige Politiker dies inzwischen<br />
begriffen haben, sieht man an der Einführung von<br />
Exzellenz-Inititativen, womit aber kaum der Bologna-Schaden<br />
gekittet werden kann. Zudem muss bezweifelt werden,<br />
ob die Bologna-Nivellierung und vor allem die Bologna-<br />
Verschulung probate Mittel im internationalen Wettbewerb<br />
sind. Denn zumindest aus einigen asiatischen Ländern ist<br />
bekannt, dass derartige Bildungsmaschinen letztlich keinen<br />
Wettbewerbsvorteil für ein Land produzieren.<br />
... und für hochschullehrer/innen?<br />
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich vor Augen<br />
halten, warum man überhaupt Hochschullehrer wird. Es ist<br />
sicher nicht wegen des Geldes. In Deutschland verdient ein<br />
unverheirateter Universitätsprofessor (W3) mit 40 Jahren<br />
nach Abzug von Steuern und Abgaben rund 30.000 Euro<br />
pro Jahr. (Zwar gibt es formal manchmal Leistungsprämien,<br />
die aber wegen Budgetknappheit kaum zur Auszahlung