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unilex 1–2/2007 - ULV

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UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong><br />

die Universitäten in der Wissensgesellschaft<br />

Konrad Paul Liessmann<br />

Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Dieser Satz beflügelt<br />

Bildungspolitiker und Pädagogen, Universitätsreformer und<br />

EU-Kommissare, er bewegt Forscher, Märkte und Unternehmen.<br />

Wissen und Bildung sind, so heißt es, die wichtigsten<br />

Ressourcen des rohstoffarmen Europa, und wer in<br />

die Bildung investiert, investiert in die Zukunft. Mit nicht<br />

geringem Pathos wird das Ende der industriellen Arbeit beschworen<br />

und alle Energie auf die „wissensbasierten“ Tätigkeiten<br />

konzentriert.<br />

Der Begriff „Wissensgesellschaft“ ist allerdings ein Euphemismus.<br />

Vieles von dem, was unter diesem Titel propagiert<br />

und proklamiert wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen<br />

als eine rhetorische Geste, die weniger einer Idee von Bildung,<br />

als handfesten politischen und ökonomischen Interessen<br />

geschuldet ist. Weder ist die Wissensgesellschaft ein<br />

Novum, noch löst sie die Industriegesellschaft ab. Eher noch<br />

lässt sich diagnostizieren, dass die zahlreichen Reformen des<br />

Bildungswesens auf eine Industrialisierung und Ökonomisierung<br />

des Wissens abzielen, womit die Vorstellungen klassischer<br />

Bildungstheorien geradezu in ihr Gegenteil verkehrt<br />

werden. Der flexible Mensch, der, lebenslang lernbereit,<br />

seine kognitiven Fähigkeiten den sich rasch wandelnden<br />

Märkten zur Disposition stellt, ist nicht einmal mehr eine<br />

Karikatur des humanistisch Gebildeten, wie ihn Wilhelm<br />

von Humboldt in seiner knappen Theorie der Bildung des<br />

Menschen skizziert hatte, sondern dessen krasses Gegenteil.<br />

Bei allem, was Menschen heute wissen müssen und wissen<br />

können - und das ist nicht wenig! -, fehlt diesem Wissen jede<br />

synthetisierende Kraft. Es bleibt, was es sein soll: Stückwerk<br />

- rasch herstellbar, schnell anzueignen und leicht wieder zu<br />

vergessen.<br />

Welche Rolle spielen in diesem Prozess die Universitäten?<br />

Sie machen mit. Durch die unter dem Vorwand der Internationalisierung<br />

in einem Anflug geistiger Selbstkolonisierung<br />

vorgenommene Umstellung der Studienstruktur auf das Bachelor-Master-System<br />

wird eine gravierende Neudefinition<br />

universitärer Bildung inszeniert, die deren Ende bedeuten<br />

könnte. Durch die verpflichtende Einführung dreijähriger<br />

Bachelor-Studien für alle Fächer sollen die Universitäten die<br />

Aufgabe erhalten, primär eine protowissenschaftliche Berufsausbildung<br />

zu leisten. Auf kaltem Wege wird der Sinn der<br />

Universität als Stätte der wissenschaftlichen Berufsvorbildung,<br />

die ihre Voraussetzung in der Einheit von Forschung und<br />

Lehre hat, liquidiert. Der wissenschaftspolitische Sinn des<br />

Bakkalaureats, der es für viele Bildungsminister so attraktiv<br />

erscheinen läßt, liegt auf der Hand: Verkürzung der Studienzeit<br />

und Hebung der Akademikerquote - auch wenn unter<br />

der Hand mitunter zugegeben wird, dass man damit den<br />

Studienabschluß für Studienabbrecher geschaffen hat. Wie<br />

auch immer: die flächendeckende Einführung berufs- und<br />

bedarfsorientierter Kurzstudien, die die Lehre weiter marginalisiert,<br />

wird das Bild der Universität nachhaltiger verändern<br />

als alle anderen Reformen zuvor.<br />

Betrachtet man schon existierende oder projektierte Studienprogramme<br />

neuen Typs, fällt allerdings eines auf: Alles, vom<br />

Bachelor über den Master bis zum PhD, wird nun durchstrukturiert,<br />

als modularisiertes „Programm“ angeboten. War<br />

es bislang, zumindest in den Geistes- und Humanwissenschaften,<br />

möglich, spätestens im Doktoratsstudium und natürlich<br />

in der Habilitation in thematischer Selbstbestimmung und<br />

methodischer Freiheit zu forschen, so führen die vernetzten<br />

Kollegs und vorgegebenen Doktoratsprogramme zu einem<br />

Wissenschaftsverständnis, das durch die Parameter Planbarkeit,<br />

Vernetzung, Standardisierung und Kontrolle gekennzeichnet<br />

ist. Zwar möchte man durch solche Graduiertenprogramme<br />

jungen Wissenschaftlern auch ökonomisch helfen,<br />

sie in bestehende Forschungszusammenhänge einbinden und<br />

so ihre Karrierechancen erhöhen, aber die Möglichkeiten für<br />

individuelle Zugänge, wirklich originelle Forschungsansätze<br />

und unorthodoxe Fragestellungen schwinden damit. Fast<br />

scheint es so, als kennten die modernen Universitätsreformer<br />

nur einen wirklichen Feind: einen unabhängig forschenden<br />

Geist, der sich ihren Vorstellungen von strukturierter und<br />

kontrollierter Wissenschaft entzieht.<br />

Gefordert werden allerdings exzellenzträchtige Forschungsprogramme<br />

- zumindest von jenen wenigen Universitäten,<br />

die sich von der Masse der Ausbildungsstätten durch ihren<br />

Elitestatus abheben sollen. Diese sollen nun nicht mehr den<br />

Binnenmarkt der Hörsaalbesucher, sondern als ausgezeichnete<br />

Forschungsuniversitäten den Weltmarkt der Patente und<br />

Reputationen, der internationalen Rankings und Ranglisten<br />

und die Verschiebebahnhöfe von brain drain und brain gain<br />

bespielen. Durch die in diesem Zusammenhang vorgenommene,<br />

gepriesene Festsetzung vermeintlicher Standards wird<br />

der Wissenschaftsbegriff allerdings selbst normiert. Die Differenzen<br />

unterschiedlicher Wissenschaftskulturen werden<br />

dabei in der Regel ebenso ignoriert wie die Frage nach dem<br />

tatsächlichen Gehalt wissenschaftlicher Leistungen. Und vor<br />

allem: Evaluationen, Bewertungen und Wettbewerbe werden<br />

nach relativ willkürlichen, aber vorher festgelegten Kriterien

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