02.03.2013 Aufrufe

unilex 1–2/2007 - ULV

unilex 1–2/2007 - ULV

unilex 1–2/2007 - ULV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

enate Wieser / Gender trouble – wider die Natur des Geschlechts<br />

UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong><br />

man dann den Ausschluss der Frauen aus dieser Konzeption?<br />

Exemplarisch sei an dieser Stelle Rousseau 4 angeführt, der<br />

die Zweideutigkeit des Naturbegriffs dafür nutzte, eine Vorstellung<br />

des Geschlechterverhältnisses zu etablieren, die es<br />

möglich machte, Frauen den Zugang zu vollen Menschen-<br />

und Bürgerrechten zu verwehren. Einerseits knüpft er mit<br />

der Verwendung des Naturbegriffs an den naturrechtlichen<br />

Diskurs der Aufklärung an, also an den Gedanken, dass alle<br />

Menschen von Natur aus gleich und frei geboren sind und<br />

darum auch die gleichen Rechte haben. Andererseits stellt er<br />

in seinem Geschlechterentwurf die „Wirkmacht der Natur“<br />

über die „Zuständigkeit des Rechts“ und wendet sich damit<br />

im Grunde gegen den aufklärerischen Rationalismus und dessen<br />

Konzeption einer Rechtsnatur als universaler Berufungsinstanz<br />

des Vernunftrechts und der Menschenrechte. Der normative<br />

Bezugspunkt seiner Geschlechterordnung liegt in der<br />

Natur und diese lässt – ihm zufolge – geschlechtsdifferenzierte<br />

naturwüchsige männliche und weibliche Anlagen erkennen.<br />

Insofern kann die Ungleichheit der Rechtslagen von Mann<br />

und Frau in dem Maße als legitim erachtet werden, als sie ihren<br />

unterschiedlichen Geschlechtsnaturen entspricht. Durch<br />

die Entkoppelung von Natur und Recht gelingt hier die neuerliche<br />

Verbannung der Frau in die familiäre Privatsphäre<br />

und die Beschränkung der Ausübung bürgerlicher Rechte auf<br />

das männliche Geschlecht. Rousseaus berühmter Ausspruch<br />

„Zurück zur Natur“ bedeutete für Frauen nicht mehr und<br />

nicht weniger als ein philosophisches „Zurück an den Herd“ 5 .<br />

In diesem Zusammenhang expliziert Friederike Kuster: „Der<br />

Rückgriff auf die Natur befördert im Fall des Mannes Ziele<br />

der politischen Emanzipation: nämlich Freiheit und wechselseitige<br />

Anerkennung im Konzept der Gleichheit. Im Falle der<br />

Frau wird jedoch dasjenige als ihre Natur festgeschrieben, was<br />

sie im Rahmen des bürgerlichen Staates als Rolle übernehmen<br />

soll, nämlich eine sich ihrer ausschließlichen Pflichten als<br />

Gattin und Mutter bewusste Frau zu sein“ 6 .<br />

Um Frauen also die volle Teilhabe an den Bürger- und<br />

Menschenrechten auch weiterhin vorenthalten zu können,<br />

wurde im 18. Jahrhundert das naturhafte Wesen der Frau, die<br />

Konzeption von der biologisch begründeten assymetrischen<br />

Komplementärität der Geschlechter, kreiert 7 . Dazu der Historiker<br />

Thomas Laqueur: „Man erfand zwei biologische Geschlechter,<br />

um den sozialen eine neue Grundlage zu geben“ 8 .<br />

Durch die Fixierung des Wesens der Frau bekommt das Geschlechterverhältnis<br />

den Charakter eines naturwüchsigen, der<br />

Veränderbarkeit entzogenen Binnenbereichs der bürgerlichen<br />

Gesellschaft. Damit bleibt aber auch das revolutionär liberale<br />

Gedankengut der Aufklärung hinter sich selbst zurück.<br />

Die seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts breit einsetzende<br />

feministische Theoriebildung hat diese herrschaftslegitimierende<br />

Funktion bürgerlicher Geschlechtertheorien<br />

aufgedeckt und aus diesem Grund gelten den diversen feministischen<br />

Theorien auch Biologismen, Naturalisierungen<br />

und Ontologisierungen des Geschlechts, also die Herleitung<br />

eines weiblichen Charakters aus der weiblichen Anatomie,<br />

als zutiefst ideologieverdächtig.<br />

Daher ist die feministische Denkbewegung seit Beginn mit<br />

dem Problem befasst, wie wir von „Frau“ und „Mann“ sprechen<br />

können, ohne biologistisch zu sein, das heißt: Wie wir<br />

von „Frau“ und „Mann“ sprechen können, ohne eine „frauliche“<br />

oder „männliche“ biologische Substanz anzunehmen,<br />

die definier- und vorschreibbar macht, was Frauen tun und<br />

wie sie sind bzw. was Männer tun und wie diese sind. Die<br />

Notwendigkeit, für dieses Problem eine Lösung zu finden,<br />

resultiert – wie gesagt – daraus, dass die Unterdrückungsgeschichte<br />

von Frauen zumindest in der Neuzeit wesentlich<br />

auf der Annahme eines weiblichen Geschlechtscharakters<br />

basiert, der determiniert, was und wie eine Frau ist, was sie<br />

deshalb tun darf und wie sie es tun muss.<br />

Inzwischen ist die feministische Theoriebildung zu einem fast<br />

unüberschaubaren Feld geworden, doch so unterschiedliche<br />

die einzelnen Theorieansätze auch sein mögen, sie treffen<br />

sich in folgenden Punkten:<br />

1. in der Einschätzung, dass es sich mit der heute etablierten<br />

Geschlechterordnung um eine gesellschaftlich institutionalisierte<br />

Deformation menschlicher Existenzmöglichkeiten<br />

handelt; es ist eine Geschlechterordnung, die Frauen wie<br />

Männern, die Hetero-, Homo- wie Transsexuellen nicht die<br />

volle Entfaltung ihrer menschlichen Potenziale erlaubt.<br />

4 Vgl. Doyé/ Heinz/ Kuster, Einleitung, in: dies., Philosophische Geschlechtertheorien, 26–29 und Friederike Kuster, Die Erfindung des<br />

bürgerlichen Geschlechterverhältnisses, in: Doyé/ Heinz/ Kuster (Hg.), Philosophische Geschlechtertheorien, 158–164.<br />

5 Das Ertragen von Zwang, die Tendenz zur Unterwerfung, habituelle Sanftmut und Duldsamkeit sind – nach dem „Differenztheoretiker“<br />

Rousseau – die spezifisch weiblichen Tugenden, in denen sich die weibliche Natur vollendet. – vgl. Kuster, Die Erfindung des bürgerlichen<br />

Geschlechterverhältnisses, in: Doyé/ Heinz/ Kuster (Hg.), Philosophische Geschlechtertheorien, 161.<br />

6 Kuster, Die Erfindung des bürgerlichen Geschlechterverhältnisses, in: Doyé/ Heinz/ Kuster (Hg.), Philosophische Geschlechtertheorien,<br />

164.<br />

7 Die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts einsetzende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, welche eng an die Differenzierung von<br />

Erwerbs- und Familienleben beim Übergang zur Moderne gekoppelt ist, verstärkt diese Polarisierung der Geschlechter noch. – vgl.<br />

Isolde Karle, „Da ist nicht mehr Mann noch Frau“. Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz, Gütersloh 2006, 24.<br />

8 Zit. nach: Astrid Deuber-Mankowsky, Natur/Kultur, in: Christina von Braun/ Inge Stephan (Hg.), Gender@Wissen. Ein Handbuch der<br />

Gender-Theorien, Köln 2005, 200–219, 209.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!