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unilex 1–2/2007 - ULV

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kommen). Diese Entlohnung ist viel, wenn man es mit dem<br />

Sozialhilfesatz vergleicht, aber wenig in Relation zum Gehalt<br />

ähnlich qualifizierter Manager. Wenn man dann noch<br />

bedenkt, dass ein/e Assistent/in mit 29 Jahren, der/die eine<br />

halbe Stelle hat, nach TVÖD vor Steuern etc. auf 1.400 Euro<br />

pro Monat kommt, wird klar, dass Geld sicherlich nicht der<br />

Motivator ist!<br />

Grund für diese Berufswahl ist im Regelfall Spaß an Lehre<br />

und Forschung, kombiniert mit einem hohen Grad an Autonomie.<br />

Alles dies wird den Hochschullehrern/innen gegenwärtig<br />

genommen: In der Bologna-Struktur kann Lehre<br />

keinen Spaß mehr machen, wegen der ganzen Bürokratie<br />

bleibt keine Zeit mehr für Forschung, und die Autonomie<br />

ist bei den neuen top-down-Zentralplansystemen ausradiert.<br />

Unter dieser neuen Prämisse kann kein intelligenter Mensch<br />

mehr in Deutschland und Österreich Hochschullehrer/in<br />

werden – leider!<br />

Da hilft es auch nicht, wenn man die Einstiegshürden für<br />

Dozenten/innen absenkt, in dem man Promotionen vereinfacht<br />

und Habilitationen de facto abschafft. Auch die sich<br />

bereits abzeichnende Tendenz ist kein probates Mittel, bei<br />

entsprechender Entgeltabsenkung die Anzahl von Lektoren/<br />

innen zu vergrößern, die nicht einmal einen MA-Abschluss<br />

vorweisen können.<br />

Was aber wird geschehen? Jüngere Kollegen/innen und<br />

Nachwuchswissenschaftler/innen werden in dieser „adverse<br />

selection“ in Unternehmen oder ins Ausland gehen. Letzteres<br />

fällt insofern leicht, weil man seit Jahren predigt, möglichst<br />

nur in Englisch und möglichst nur im Ausland zu publizieren.<br />

Ältere und nicht-mehr-vermittelbare Kollegen/innen<br />

werden in die innere Kündigung gehen, Golf spielen lernen,<br />

endlich die vielen Bücher lesen, zu denen man bislang nicht<br />

gekommen sind, und werden das Ganze durch Scheinaktivitäten<br />

und Demutsgesten so kaschieren, dass dieser Zustand<br />

der inneren Kündigung nicht als solcher erkennbar wird.<br />

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass nach der Bologna-Reform<br />

die „Guten“ nicht mehr an der Hochschule<br />

zu halten sind, sondern einen lukrativen Job im Ausland<br />

oder in der freien Wirtschaft bevorzugen werden. Damit<br />

stellt sich allerdings die Frage, wer die zukünftigen High<br />

Potentials ausbilden soll. Auf diese Frage ergibt sich aber für<br />

die Bologna-Verfechter/innen eine simple Antwort, deren<br />

fatale Plausibilität man in einigen europäischen Ländern beobachten<br />

kann: Danach sind weder das Abwandern von<br />

Hochschullehrern/innen noch die innere Kündigung ein<br />

wirkliches Problem, da man in der neuen Struktur mit dem<br />

niedrigen Ausbildungsniveau kaum noch Hochschullehrer/<br />

innen braucht. Es reicht ein mittelmäßig ausgebildetes Heer<br />

an Lektoren/innen. Wenn die Politiker/innen und Hochschulleitungen<br />

in den nächsten Jahren tatsächlich Top-Professoren/innen<br />

bekommen oder halten wollen, werden sie<br />

Gehälter signifikant erhöhen müssen, um die Demotivationseffekte<br />

des Bologna-Prozesses durch ein entsprechendes<br />

„Schmerzensgeld“ auszugleichen.<br />

Wie wird es weitergehen?<br />

Man stelle sich ein Autorennen vor: Einige Rennwagen haben<br />

zu wenig Luft in den Reifen und können praktisch nicht<br />

fahren. Daraufhin will die Rennleitung eine Harmonisierung<br />

und nimmt auch bei den schnellen Wagen die Luft aus den<br />

Reifen. Ab diesem Zeitpunkt liegt die Verantwortung dafür,<br />

dass die Rundenzeiten schlechter werden, objektiv nicht mehr<br />

bei den Fahrern. Deshalb ist die Feststellung wichtig, dass die<br />

Verantwortung für die Schwierigkeiten mit dem Bologna-<br />

Prozess sowie die qualitativen Einbrüche bei Forschung und<br />

Lehre eindeutig bei den Politikern und Hochschulleitungen<br />

liegt, die uns in diese Situation gebracht haben. Auf diesen<br />

Tatbestand ist immer wieder hinzuweisen!<br />

Ein Umdenken ist nötig und wird früher oder später auch<br />

einsetzen, sobald die Prozessgläubigkeit („da kann man<br />

sowieso nichts machen“) nachlässt. Vor allem ist die Umstellungsbereitschaft<br />

in Europa weit weniger groß, als die<br />

Bologna-Protagonisten behaupten: Wenn beispielsweise Irland<br />

„auf dem Weg nach Bologna“ schon relativ weit ist, so<br />

liegt das nicht daran, dass dort viel geändert wurde. Vielmehr<br />

war bereits vor Bologna ein entsprechendes System etabliert.<br />

Nur Deutschland und Österreich stellen radikal um<br />

und gefährden dadurch ihre internationalen Wettbewerbsvorteile.<br />

Da die Bologna-Nivellierung aktuell nicht mehr<br />

zu stoppen ist, muss nach Alternativen jenseits des Fiaskos<br />

gesucht werden. Wir müssen den Bologna-Prozess hinter<br />

uns lassen, nach vorne schauen, die Fehler korrigieren und<br />

neue Ideen für ein wettbewerbsfähiges Hochschulsystem in<br />

Europa entwickeln. Hier gibt es zwei Anatzpunkte:<br />

Zum einen läuft 2010 der Bologna-Prozess mit allen seinen<br />

traurigen Facetten aus und die zuständigen Minister/innen<br />

wollen „2010 als Gelegenheit begreifen, unsere Hochschulsysteme<br />

neu (!) auf einen Kurs einzustellen, der die Hochschulen<br />

in die Lage versetzt, sich den Herausforderungen zu<br />

stellen, die unsere Zukunft bestimmen“. Dieser Kurs muss<br />

anders aussehen als das, was man 1999 anvisiert und zum<br />

Glück nicht ganz erreicht hat. Hierzu brauchen wir mehr<br />

Diskussion mit dem Zieldatum 2010. Vor allem aber dürfen<br />

wir nicht wieder die Hochschulreform den Politikern/innen<br />

und ihren Exekutoren überlassen. Zudem ist zumindest für<br />

Deutschland klar, dass Gremien wie das CHE und die Hochschulrektorenkonferenz<br />

allenfalls Lobbygruppen für zentralistische<br />

Hochschulleitungen und fantasielose Politiker/innen<br />

sind, in keiner Weise aber auch nur ansatzweise Interessensvertretungen<br />

von Hochschulen, also von Studierenden oder<br />

Hochschullehrern/innen. Hier müssen neue Gruppierungen<br />

geschaffen oder aber bestehende Gruppierungen ihre Ver-<br />

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2<br />

UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong>

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