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unilex 1–2/2007 - ULV

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Privatisierung statt Gleichstellungspolitik –<br />

Neoliberale selbstregulation der Geschlechter 1<br />

Gabriele Michalitsch<br />

Der Mensch als des Menschen Wolf – Hobbes’ für die<br />

Moderne letztlich paradigmatische Definition menschlicher<br />

„Natur“ findet im Prinzip ökonomischer Konkurrenz ihren<br />

zivilisierten Ausdruck, galten Handel und die damit einhergehende<br />

kapitalistische Wirtschaftsweise in ihrer Frühzeit<br />

doch stets als Friedensbringer. Neoliberale Diskurse und Politiken,<br />

„die Etablierung monetaristischer und anti-etatistischer<br />

Zielwerte verschärf(en) Konkurrenzkämpfe“ (Kreisky:<br />

47). Konkurrenzfähigkeit avanciert, gepaart mit Selbstverantwortung,<br />

zur gesellschaftlichen Leitidee, die nicht zuletzt<br />

Anforderungen an die Einzelnen bestimmt. Vor dem „permanenten<br />

ökonomischen Tribunal“ (Foucault, in Lemke:<br />

249) von Leistungsdruck, ökonomischer Verwertbarkeit,<br />

Erfolgszwang und Versagensangst gestalten sich soziale Beziehungen<br />

ebenso wie individuelle Selbstverhältnisse zunehmend<br />

als privatistische Relationen Vereinzelter.<br />

Neoliberalismus, gegenwärtig dominanter, auf ökonomischer<br />

Selbstregulation basierender, gesellschaftlicher Deutungs-,<br />

Ordnungs- und Entwicklungsentwurf, zielt folglich nicht<br />

nur auf Restrukturierung von Ökonomie, Staat und Gesellschaft,<br />

sondern bedeutet einen Wandel der „Regierung“, die<br />

stets Zugriff auf Denkweisen und Ausrichtung des Subjekts<br />

impliziert: Während sich Marktprinzipien als organisierende<br />

und regulierende Modi von Staat und Gesellschaft etablieren,<br />

wird das Individuum als unternehmerisches und<br />

konkurrenzielles Subjekt redefiniert, seine Rationalität auf<br />

marktorientiertes Nutzenkalkül verengt (vgl. Lemke: 240ff,<br />

Michalitsch, Gerlach, Hondrich, Sennett). Geschlecht und<br />

Geschlechterverhältnisse bleiben davon nicht unberührt.<br />

Privatisierung bildet eine grundlegende Strategie neoliberaler<br />

Transformation. Deren geschlechtsspezifische Implikationen<br />

stehen im Zentrum des vorliegenden Beitrags und werden<br />

abschließend im Kontext von Selbstregulation als neoliberaler<br />

Regierungsrationalität beleuchtet.<br />

Geschlechtsspezifische Privatisierung<br />

Das Dispositiv von Öffentlichem und Privatem durchzieht<br />

die Geschichte der Moderne, es markiert – je nach Deutung<br />

– die Grenze zwischen Politik und Ökonomie oder Haushalt<br />

und Unternehmen (vgl. Elshtain, Pateman, Kerchner/Wilde,<br />

Weber) und fungiert als soziale Beziehungen regulierendes,<br />

gesellschaftliches Organisations- und Wahrnehmungsmuster<br />

(Sauer: 5), als „symbolische Ordnung, die eine spezifische<br />

Repräsentation des sozialen Raums organisiert“ (Demirović:<br />

13).<br />

Öffentlichkeit bezieht sich auf Staat, Parteien, Kunst, Medien,<br />

während Privatheit, stets an Persönliches geknüpft,<br />

Ehe, Familie, Freundschaften umfasst. Doch die Zuordnung<br />

bleibt arbiträr, gilt der Markt aus Staatsperspektive doch als<br />

privat, aus Sicht der Versorgungsökonomie als öffentlich.<br />

In seiner idealtypischen liberalen Fassung wird das Private<br />

als dem Öffentlichen komplementär jenseits des Politischen<br />

verortet. Doch Privatheit ist nicht von staatlich-politischer<br />

Öffentlichkeit getrennt, sondern vielmehr deren Kehrseite,<br />

asymmetrisch mit dieser verbunden. Wird Öffentlichkeit mit<br />

Freiheit, Demokratie, Rationalität, Universalität, und Männlichkeit<br />

assoziiert, so figuriert das Private als mit entgegengesetzten<br />

Attributen wie irrational, freiheitsbeschränkend,<br />

undemokratisch, weiblich verknüpfter Bereich. Obgleich die<br />

Dichotomie von Öffentlichem und Privatem als „zu ungenau,<br />

um deutlich abgrenzbare Sphären zu bezeichnen“ (Demirović:<br />

13), gilt, firmiert sie im feministischen Diskurs als<br />

zentraler Topos von Macht, Herrschaft und Unterdrückung,<br />

denn sie verbindet sich mit „historisch flexible(n) Be- und<br />

Entgrenzungsprozesse(n), die Zweigeschlechtlichkeit je neu<br />

konstituieren“ (Sauer: 6). Stets bildet sie ein geschlechtliches<br />

Trennungdispositiv, an das sich Hierarchie, Exklusion und<br />

Unterordnung knüpfen (vgl. Elshtain, Pateman).<br />

Wie die Kategorien von Privatem und Öffentlichem unterliegt<br />

auch deren Relation zueinander einem durch Privatisierung<br />

charakterisierten Redefinitionsprozess. Privatisierung<br />

bezieht sich folglich nicht nur auf Überführung öffentlichen<br />

Eigentums in privates oder die Schaffung privatrechtlicher<br />

Unternehmensgrundlagen, sondern meint die weit darüber<br />

hinausgehende Reorganisation des Dispositivs Öffentlich/<br />

Privat.<br />

1 Der hier veröffentlichte Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung von Gabriele Michalitsch: Selbstregulierte Subjekte.<br />

Privatisierung und Geschlechter-Regierung. In: Marlen Bidwell-Steiner/Ursula Wagner (Hg.): Freiheit und Geschlecht. Offene<br />

Beziehungen, Prekäre Verhältnisse. Innsbruck 2008, 63-75.<br />

1<br />

UNILEX <strong>1–2</strong>/<strong>2007</strong>

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